
XIX.
HONG-KONG, KAN-TON, MACAO.
VOM 11. NOVEMBER BIS 5. DECEMBER.
D i e Insel 11ong - k o n ('. ist in ihrer Grundform ein Dreieck, dessen
etwa zwei Meilen lange, nach Norden blickende Basis nach innen
gekrümmt und dem Festland zugekehrt ist. An dieser Seite
wurde, nachdem K i - s e n im Januar 1841 die damals von wenigen
Fischern bewohnte Felseninsel an England abgetreten hatte, die
Stadt Victoria gegründet, von welcher die gegenüberliegende Halbinsel
K a u - l u n etwa 4000 Schritte entfernt ist. Oestlich und westlich
nähern sich die Spitzen der Insel dem Festlande; -sie besteht
aus nacktem Felsgebirge, dessen Gipfelhöhe 1600 Fuss betragen
soll. Durch den Frieden von 1860 wurde England auch ein Stück
der Halbinsel K a u - l u n abgetreten, deren Besitz für die Colonie besonders
aus sanitätlichen Rücksichten wiinschenswerth war: das
steile Gebirge im Rücken der Stadt Victoria fängt nämlich den
während des ganzen Sommers wehenden Südwest - Monsun auf, so
dass sie in der heissen Zeit jed e r Erfrischung entbehrt Auf Kai;-
l u n wurden damals Kasernen gebaut; ein Theil der Garnison cam-
pirte dort in' Zelten. — Das Klima ist tropisch und galt, so lange
, durch die vielen Neubauten auf H o n o - k o n g der Boden beständig
aufgewühlt wurde, für äusserst ungesund. Später minderte sich die
Sterblichkeit.
Beim Anblick der Stadt, die damals gegen 100,000 Seelen
zählte, möchte man kaum glauben, dass sie so neuen Ursprungs ist.
Im östlichen Theil bewohnen die Fremden stattliche Paläste; in
den westlichen Strassen geniessen viele Tausend betriebsame Chinesen
unter englischem Schutz eine sichere Existenz. Zahlreiche
Fabriken, Werfte, reizende Anlagen und öffentliche Spaziergänge,
die prunkvolle Einrichtung der Wohnungen und der Mastenwald
im Hafen zeugen vom Blühen der Colonie. Oestlich von der Stadt
sind die Hänge bewaldet,, hier und da wiegen Cocospalmen das
gefiederte Haupt: immer mehr weicht die Dürre des steinigen Bodens
der gestaltenden Cultur. — Abends bietet H o n g - k o n g von
der Rhede gesehen einen reizenden Anblick; aus den terrassenförmig
den dunkelen Bergrücken hinansteigenden Häuserreihen erglänzen
tausend Liehter, die sich flimmernd im Meere spiegeln.
Am Lande war es den Tag über drückend heiss, und der
Aufenthalt an Bord so viel angenehmer, der Verkehr mit der Küste
so leicht und bequem, dass der Gesandte vorzog auf der Arkona
zu wohnen. Man führte trotzdem ein bewegtes Leben. Da ein
grösser Theil der Garnison von T i e n - t s i n sich jetzt, a u f der Heimreise
begriffen, in H o n g - k o n g befand, so fühlten wir uns kaum
fremd; auf Schritt und T ritt begrüsste man alte Bekannte und
lebte fast im gewohnten Kreise.
Als der. Gesandte mit dem Commodor und den Attaches am
12. November an das Land fuhr, um den Gouverneur Sir Hercules
Robinson zu besuchen, grüssten ihn die Geschütze der Strandbatterieen
und eine am Ufer aufgestellte Ehrenwache. Der Gouvernements-
Palast liegt reizend am Bergeshange; eben so schön wohnte der
commandirende General Sir John Mitchell, welchen der Gesandte
an demselben Tage begrüsste. Hohe Camelienbüsche und indische
Ficus umgeben das Haus, dessen luftige Räume auf die Stadt und
die Rhede hinabsehen.
Am Nachmittag des 13. November besuchte der Gesandte
mit dem preussischen Consul für K a n - t o n , Herrn von Carlowitz,
und dem Gonsular - Agenten Herrn Overbeck das von der Berliner
Missionsgesellschaft gegründete Findelhaus, ein stattliches Gebäude
am Bergeshang. Der Hausvater Herr Ladenburg besorgt mit seiner
Gattin, drei Diakonissen und zwei in der Anstalt erzogenen Chinesinnen
die Pflege und den Unterricht der Kinder. Damals waren
zwanzig Mädchen in der Anstalt, das älteste etwa zwölf Jahre, das
jüngste kaum drei Monate alt; je sechs der kleineren versieht eine
chinesische Wärterin, Von der sie zunächst ihre Muttersprache
lernen. Der Unterricht wird chinesisch ertheilt, -doch verstehen die
meisten deutsch und einige reden es auch. —■ Graf Eulenburg besah
die Schul- und Wirthschaftsräume, und wohnte der kurzen Abendandacht
bei: unter Begleitung eines Harmonium sangen die Kinder
ein geistliches Lied und beteten deutsch das Vaterunser. Es war
ein rührender Anblick und eine Freude, die Kleinen so frisch und
zufrieden zu sehn. Nach der Andacht reichten sie den Gästen eine