
146 Empfang beim Prinzen von K u n . XVII.
Der Prinz von K un, welcher am 15. September aus Dzehol
zurückkehrte, batte sich bereit erklärt, Graf Eulenburg zu empfangen,
wenn eine passende Form dafür gefunden würde; nach chinesischer
Auffassung war nämlich der Gesandte vor Ratification des
Vertrages zum Aufenthalt in P e -k in nicht berechtigt und nur in-
cognito anwesend. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge;
endlich wurde der Besuch auf den 27. September anberaumt. Graf
Eulenbure ritt mit allen seinen Begleitern, dem o o Grafen Kleczkowski
und Herrn de.Meritens gegen zwei Uhr nach dem im Norden der
Gelben Stad t gelegenen provisorischen Amtsgebäude für die Auswärtigen
Angelegenheiten, einem verfallenen Kloster mit ärmlichem
Eingang. Das lEmpfangszimmer fasste kaum die Gesellschaft, die
Papierfenster und Tapeten waren roh geflickt, die Wände beschmutzt,
alle Ecken voll dicker Spinngewebe. In solchem Raum empfing der
nächste Bruder des seligen Himmelssohnes, der factische Regent
eines Reiches von über dreihundert Millionen den Gesandten einer
europäischen Grossmacht! — Von den anderen Mitgliedern des
Auswärtigen Amtes waren Wen- sian und Han- ki anwesend; der
alterschwache Kwei- lian blieb wegen seiner Taubheit, Tsun- ltjen
als Kranker zu Hause. Des Prinzen Trauertracht unterschied sich
in nichts von der aller anderen, auch der geringsten Mandarinen;
ein bis auf die Füsse reichender Rock aus grobem weissem Baumwollenstoff
mit hellblauen Aufschlägen und Kragen, Stiefel von
schwarzem Atlas, die schwarze Atlasmütze mit steifem aufgekremptem
Rande ohne jed es Abzeichen.
Der Prinz von Kun mag damals kaum dreissig Jahre gezählt
haben; sein blasses Gesicht ist von echt mongolischem Schnitt', das
Auge aber auffallend gross, ernst-blickend und ausdrucksvoll; seine
Züge verrathen Entschlossenheit. Die abrupte Art, wie er anfangs
mit unbeweglicher Miene die Worte ausstiess, hatte etwas kaiserlich
Vornehmes, Unumschränktes; man staunte, als sich die kurz abgebrochenen
Laute im Munde des Dolmetschers zu den verbindlichsten
Reden gestalteten. Im Laufe des Gespräches belebte sich
sein Antlitz zu mildem freundlichem Ausdruck.
Graf Eulenburg dankte zunächst für das Entgegenkommen
der kaiserlichen Regierung und die Stellung, welche der Prinz persönlich
zu den Vertragsarbeiten genommen habe; Prinz Kun erwie-
derte Aehnliches und rühmte vor Allem, dass der Gesandte in rücksichtsvoller
Würdigung der politischen Lage von China in die auf-
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geschobene Ausübung des Gesandtschaftsrechtes gewilligt habe; er
ersuchte ihn, Seine Majestät den König zu versichern, dass
er von hoher persönlicher Achtung für Allerhöchstdenselben beseelt'sei
und dass er sich von der Entwickelung des Verkehrs
zwischen Deutschland und China erspriessliche Folgen für beide
Länder verspreche. BEI Der Prinz drückte wiederholt sein Bedauern
aus, dass die Hoftrauer ihm verbiete, den Gesandten in Gala zu
empfangen. Als Dieser darauf sagte, dass es ihn besonders freue,
die Person des Prinzen kennen gelernt zu haben, dessen Ruf schon
nach Europa gedrungen sei, unterbrach Dieser den Dolmetscher fast
heftig: sein Ruf könne unmöglich so gross sein. *— In der Tliat
rühmten die mit dem Prinzen verkehrenden Diplomaten seine aufrichtige
Bescheidenheit: er sagte ihnen beständig, dass .er bis vor
Kurzem den Geschäften ganz fremd und lediglich auf sein Vergnügen
bedacht gewesen sei; sie möchten seine einfältigen Fragen
entschuldigen, da er von garnichts wisse.. So naiv nun wirklich
seine Fragen oft waren, so gingen sie doch immer auf die Sache
und führten zu Resultaten, welche mit keinem anderen Chinesen
erzielt wurden. •
Man trank einige Tassen Thee; die Unterhaltung wurde mit
jeder Minute ungezwungener, wie zwischen Männern zu geschehen
pflegt, die aneinander Gefallen finden. Zuletzt liess der Prinz sich
lachend die beiden Frevler bezeichnen, die im Juni P e -k in so ruchlos
überfallen hatten. Auch Freund T san, der sie damals so höflich
liinauscomplimentiren wollte, begrüsste uns je tz t mit herzlichem
Lachen. — Der Prinz geleitete den Gesandten bis zur T h ü r ; so
steif der Empfang, so herzlich unbefangen w ar das Scheiden. Ueber
die Persönlichkeit des fürstlichen Herrn hatten wir den Schmutz
der Umgebung ganz vergessen; man th a t wohl deshalb so wenig
für das H au s, weil das neue Amtsgebäude für die auswärtigen Geschäfte
schon vollendet war und nur der Hoftrauer wegen nicht
eingeweiht werden konnte.
Am 28. September erwiederten die Minister Wen- sian und
Han- ki den Besuch des Gesandten. Beide sehen intelligent aus,
besonders der Tartare Wen- sian, dessen Gesichtsbildung fast europäisch
ist- Damals 44 Jahre alt hatte er ein offenes, lebendiges,
resolutes Wesen, das Vertrauen weckte. Die Diplomaten in P e -
kin hielten ihn für den klügsten und ehrlichsten unter allen chinesischen
Grossen,