
bis hoch auf den Berg die schattigen Hänge. Unter breiten schirmenden
Wipfeln kauern die malerischen Häuschen der Todten-
gräber, mit steinbeschwertem Schindeldach, wie in deutschen Gebirgen,
und von wucherndem Epheu umklammert. Selbst grössere
Denkmäler überzieht die feuchte Frische dieser Hänge bald mit
üppigem Grün.41) — Da lagerte man im köstlichen Schatten mit
dem Blick auf die Stadt und die herrliche Bai, wo in jedem Winkel
Tempel und Dörfchen aus dunkelen Büschen vorlugen, auf steile
Felsgestade, stille Buchten und ferne bewaldete Kämme; nur die
höchsten Kuppen sind kahl und mit zackigen Klippen bekrönt. —
Wunderschön bauen sich die hochgelegenen Friedhöfe über mächtigen
Strebemauern auf, wo ein lichter Wald riesiger Kampherbäume
die bemoosten von Erdbeben übereinandergestürzten Steine schirmt.
Auch hier begegnet man Wanderern; denn der Japaner liebt die
Natur ganz wie wir und ergeht sich an schönen Tagen gern mit
Weib und Kind auf den alten Todtenäckern. Oft begegnete es
dem Verfasser, dass feingekleidete Männer aus dem Bürgerstande
ihn dort freundlich anredeten, bei der Hand fassten und eine Weile
neben ihm hergingen;, nur wenige Worte waren ihm verständlich,
aber die innige Freude an der Natur und am Mitgenuss eines Gleichgestimmten
sprach unzweideutig aus jed e r Gebehrde. Die Frau und
Tochter des Lustwandelnden folgten dann etwa in heiterem Gespräch
und wurden oft durch einen Scherz in die Unterhaltung gezogen.
Ih r Wesen zeugte von innigem Familienglück, dem zartesten
Freundschaftsverhältniss und derjenigen Freude an der landschaftlichen
Natur, welche überall nur in höherer Gesittung wurzelt.
Die Pietät des Japaners für die Gräber seiner Lieben wird
mit Recht gerühmt, selbst vor alten bemoosten-Steinen sieht man
frisches Grün und Blumen. Oft belauschte ich an den einsamsten
Stellen Leute aus dem Volk, die in langem stillem Gebet vor den
Gräbern knieten. Eine hübsche junge Frau stellte niedliches Spielzeug
bei der Ruhestätte ihres Kindes auf und schied mit thränen-
schwerem Blick. Das Gewand der Leidtragenden ist weiss wie in
China; die leuchtenden Frauengestalten erscheinen im dunkelen
Schattengrün zwischen den grauen Denksteinen wandelnd oft wundersam
gespenstisch.
41) Schwache Versuche der Darstellung, dieser Landschaften finden sich im II. Bande
dieses Werkes und im V. Heft der Ansichten aus Japan, China und Siam.
Zu weiteren Ausflügen bietet die Umgebung von N a n g a s a k i
reizende Gelegenheit. So führt am Nordufer der Bai von der
Maschinenfabrik des Fürsten von F iz e n ein Pfad über den schmalen
Gebirgskamm, auf welchem in kaum einer Stunde die jenseitige
Bucht zu erreichen ist. Die umkränzenden Felsgestade fallen dort
nördlich zu einer Landzunge ab, auf der ein Städtchen in’s Meer
hinausspringt; dahinter bauen sich schöngeschnittene Massen
auf. — Wo der Pfad das Ufer erreicht, fliesst ein murmelndes Gewässer
in die klare Meeresfluth, deren blinkende Weilchen sacht und
heimlich auf dem weissen Sande plätschern. Schwarze Boote liegen
am Strand. Weiterhin steigt das Ufer in steiler Böschung auf,
einzelne Klippen vorschiebend, deren grauweisses Gestein mit dem
Saftgrün der bewachsenen Hänge reizend contrastirt. — Es war
Abend. Leiser Hauch zitterte auf der spiegelnden See; die Sonne
vergoldete die Camelien- und Lorbeergebüsche, die pinienartigen
Kiefern der Höhen. Den Strand mit den dunkelen Booten deckten
schon kalte tiefe Schatten; höher und höher stieg der Abend die
Berge hinan. Herbstliche Kühle lagerte auf dem dunkelen Wa ld weg
j der mich erst nach dem letzten Verglimmen des Tages wieder
über das Gebirge führte.
Wir lebten auf D e s im a herrlich und in Freuden. Nur
der Gesandte hatte Arbeiten zu vollenden, zu welchen in P e - k in
die Müsse fehlte. Wir anderen verbrachten beim herrlichsten
Wetter den Tag meist im Freien und sammelten den löblichsten
Hunger für das opulente Diner unserer gastfreien Wirthe. Bis in die
späte Nacht sass man in traulichem Gespräch auf dem Altan mit
dem Blick auf das Meer, dessen mondbegläirzte Stille zuweilen ein
knarrendes Ruder störte. Silberne Furchen zogen die Boote auf
der glatten die Gestirne spiegelnden Fläche.
Herr de Witt wusste viel Anziehendes von seiner Reise nach
Y e d d o zu erzählen, die er von N a n g a s a k i aus zu Lande mit dem
englischen Gesandten Herrn Alcock machte. Nur zufälliger Umstände
wegen blieb er in Y o k o h a m a zurück, während Herr Alcock
direct nach Y e d d o reiste und in der folgenden Nacht überfallen
wurde.42) Auch eie Angriff auf Herrn de Witt soll vorbereitet gewesen
sein, der deshalb in Y o k u h am a blieb und erst kurz vor
der Abreise auf dringendes Ersuchen der japanischen Regierung
nach Y e d d o kam. Dort wohnte damals in A k a b a n e Herr von
42) S. Bd. II., 253.