
europäischen Grossmächte zu bestehen. Wenn nun auch andere
Staaten sich für Grossmächte ausgäben, wie solle man das Gegen-
theil beweisen? Die Commissare müssten neue . Befehle einholen
und bäten den Grafen, sie durch eine Denkschrift über die Grossmächte
und die aufzuschiebende Ausübung des Gesandtschaftsrechtes
ins Kläre zu setzen. — Am Schlüsse der Unterredung sagte
T s u n - l u e n : »Wir wussten vor deiner Excellenz Ankunft wenig
von europäischen Angelegenheiten; nun wissen wir Manches und
sehen namentlich, dass der Gesandte ein sehr hebenswürdiger Herr
ist. Was wir sahen und hörten muss aber auch der Prinz von
K u n erfahren, und dann bleibt noch die Schwierigkeit, dass gewisse
Forderungen ganz unerfüllbar scheinen. Man kann unsere
Zugeständnisse einer Tasse Thee vergleichen, die wir halb gefüllt
anbieten; der Gesandte wünscht sie voll. Giebt es aber keinen
Thee mehr, so ist die Erfüllung des Wunsches eben unmöglich.«
Graf Eulenburg dankte für die Schmeichelei und bemerkte scherzend
zu dem Gleichniss, in Ghina könne es doch an Thee nicht fehlen.
Hatte nun auch der Gesandte aus dem wirren Hin- und
Herreden dieser Conferenz die Ueberzeugung gewonnen, dass die
Commissare nicht selbstständig handeln konnten und keiner folgerechten
Schlüsse fähig waren, so erweckten doch ihr Wunsch, den
Prinzen über die Grossmächte zu unterrichten, und ihre sichtliche
Genugthuung über das vorgeschlagene Auskunftsmittel wieder die
Hoffnung, dass trotz aller Hindernisse auf diesem Wege das Ziel
zu erreichen sei. Diese Hoffnung war, wie sich später zeigte, gegründet.
Zum Unglück tra f aber am 19. Juni ein Schreiben des
Grafen Kleozkowski ein, nach welchem trotz der Befürwortung
jenes Vorschlages durch den Prinzen von K u n am 16. Juni aus
D z e h o l der gemessene Befehl gekommen war, Preussen nicht mehr
zu gewähren, als das bisher Gebotene. Nach dieser Mittheilung
glaubte Graf Eulenburg annehmen zu müssen, dass auch auf den
Bericht der Commissare und seine Denkschrift über die Grossmächte
ein ablehnender Bescheid erfolgen werde, und beschloss, als .letztes
Mittel, nach P e - k in z u gehen. E r war sich dabei vollkommen bewusst,
dass dieser Schritt ein gewagter sei, dass er gewärtigen
musste, an den Thoren der Hauptstadt gewaltsam abgewiesen zu
werden. Denn ein Völkerrecht, welches die Gesandten schützt,
kennen die Chinesen nicht; nach ihren Begriffen haben nur die
Vertreter derjenigen Mächte ein Recht zum Aufenthalt in der.
Hauptstadt, welchen es ausdrücklich zugestanden ist. Zwar gingen
aus T i e n - t s in häufig englische Officiere und andere Unterthanen
der Vertragsmächte als Gäste der Gesandtschaften nach P e - k i n ;
aber diesen selbst wurde das üebermaass solcher Besuche schon
bedenklich, und sie trafen mit der Regierung ein Abkommen, dass
Reisende nur mit Pässen der Consuln, visirt von den chinesischen
Behörden in T i e n - t s i n , kommen dürften.8) Die Thorwachen waren
angewiesen jeden anderen Fremden anzuhalten, und den Bewohnern
der Hauptstadt wurde untersagt Ausländer in ihre Häuser aufzunehmen.
Strenge Handhabung dieser Verordnungen durfte man
um so mehr erwarten, als sie damals neu waren. — Das Alles
wusste Graf Eulenburg; nach dem Schreiben des französischen
Secretärs blieb ihm aber keine Aussicht, in T i e n - t s in sein Ziel
zu erreichen ; nur von persönlicher Einwirkung auf den Prinzen
von K u n liess sich noch Erfolg hoffen; es musste gewagt.sein.
Die grösste Schwierigkeit war, ein passendes Unterkommen
zu finden. Weder der englische noch der französische Gesandte
hatten Graf Eulenburg zu sich eingeladen ; der kürzlich ernannte
russische^Minister-Resident, Oberst, von Balluzek, tvar noch nicht
eingetroffen. Die zarten Rücksichten der Gastfreundschaft hätten
auch jedes freie Handeln gehemmt; Graf Eulenburg musste dringend
wünschen, eine eigene Wohnung zu beziehen. Abgesehen von
jenem Verbot waren chinesische Gasthäuser keine angemessene
Stätte, für den Gesandten einer Grossmacht; es blieb also nur
der Versuch übrig, ein anständiges Haus zu miethen und einzurichten.
Mit diesem Auftrag wurden der Attaché von Brandt
und der Maler Berg angewiesen, am 21. Juni Morgens nach P e -
k in aufzubrechen. Sobald ein Haus gemiethet und Meldung darüber
erstattet wäre, wollte Graf Eulenburg mit den anderen Attachés
und dem ganzen Hausstande, nachfolgen. Die Gesandten in
P e - k i n .um Pässe für sich und seine Begleiter zu ersuchen, fand
er nicht angemessen; auch der Attaché von Brandt und der Maler
Berg mussten ohne solche reisen; sie erhielten nur Schreiben an
8) Die Herren Kreyher, Spiess, Heine und Kloekers gingen mit americanischen
Pässen nach P e - kin. Herr Kloekers hatte beschlossen, um jeden Preis der erste
protestantische Missionar zu sein, der in P e - kin öffentlich predigte. Er wurde in
Folge dessen von den Behörden ausgewiesen. Dei’ englische Gesandte fand keine
Veranlassung und war auch durch den Vertrag nicht berechtigt , Herrn Kloekers
nach dessen. Wünschen gegen die chinesische Regierung in Schutz zu nehmen.