
der als Zollamt für den fremden Handel eingerichtet ist. — Nach
Süden und Südwesten h a t T i e n - t s in keine Vorstädte; dort blickt
die Stadtmauer auf das freie Feld.
Die äussesrsten Grenzen der Vorstädte bezeichnen flussaufwärts
und abwärts zwei verfallene Festungsthürme, vorgeschobene
Posten aus alter Zeit. Ringsum dehnt sich die unabsehbare
Ebene aus, im Frühjahr kahl und staubig; Bäume giebt.es
wenig und fast nur an den Wasserläufen, wo jenseit der Vorstädte
Nutzgärten liegen. Im mauerumschlossenen Park eines kleinen
Lamaklosters am Kaisercanal stehen schöne Robinien und YVciden.
in deren Schatten wir zuweilen von . der furchtbaren Dürre auf-
athmeten. Weiter hinaus säumen das nördliche Ufer des Canales
kleine Tempel und Sommerhäuser mit hübschen Gärten, welche
nur künstliche Berieselung frisch erhält. In geringer Entfernung
von den Rinnsalen war den Mai hindurch noch Alles kahl; die
Staubstürme liessen kein Pflänzchen wachsen.
Der Erd wall und Graben, den der Mongolenfürst S an -k o -
m n - s in 1860 zum Schutz von T i e n - t s in aufwerfen liess, umgiebt
die Stad t in weiter Runde; der Umkreis mag fünf deutsche
Meilen betragen. Aus lehmigem Erdreich gebaut, hier und da durch
eingerammte Pfähle befestigt, bildet der Wall ungebrochene Linien
ohne jed e Flankirung; den breiten Wallgang schützt eine crenelirte
Brustwehr, die kaum europäischem Gewehrfeuer widerstehen könnte.
Die Linie in ihrer ganzen Ausdehnung zu besetzen, reichten nicht
alle kaiserlichen Heere; S a n -k o - e i n - s in , heisst e s , wollte dazu die
Volkswehr auf bieten, machte aber nach der Niederlage bei T a -k u
nicht einmal den Versuch, sich bei T ie n - t s in z u halten. Wo der
Wall unterhalb der Stadt auf den P e i - h o stösst, vertheidigten den
Zugang zwei starke Bastionen, ähnlich den Ta - kii - I'o rts: gleich
diesen lagen sie bei unserer Ankunft schon halb zerstört: das zum
Bau verwendete Holz diente im Winter sowohl der Garnison als
den Bewohnern zum Heizen; Niemand hinderte den Raub.
Fa st den ganzen Mai durch brausten die Staubwinde. Blaue
Luft sah man nur auf halbe Stunden; gewöhnlich erschien der
Himmel gelbgrau, bei heftigem Sturme gelbroth, die Sonne bläulich
und strahlenlos. Etwa zweimal wöchentlich pflegte der Sturm so
heftig zu wüthen, dass der Tag sich verfinsterte, dass um Mittag
in den Zimmern Licht gebrannt werden musste; die Chinesen unterscheiden
nach dem Grade der Dunkelheit weisse, gelbe, rothe und
schwarze Stürme. Draussen kaute man die Luft; Nase und Ohren
füllten sich mit feinem Staube, der selbst bei dicht verstopften
Fenstern und Thüren in die Häuser drang. Das Schreiben wurde
unmöglich; die Dinte stockte in der Feder, und auf das Papier
lagerte sich im Nu eine Staubschicht.3) Meist war die Luft furchtbar
schwül; aus dem Electrometer des englischen Hospitals strömten
bei heftigem Sturm beständig blaue Flammen; die Eleetricität
wechselte oft zwischen positiver und negativer. Zuweilen kam
dabei ein Wolkenbruch, dass das aufgeweichte Papier in Lappen
von den Fenstern floss und das Wasser fusshoch in den Strassen
stand. Dann regnete es dicken braunen Schmutz, und wen solch
Wetter draussen packte, der kam gepanzert nach Hause. Oft kühlte
die schwüle Luft sich während des Sturmes dermaassen ab, dass
man Winterkleidung brauchte.
Anfang Juni legten sich die Staubwinde; nur zuweilen verfinsterte
sich die Luft noch auf halbe Stunden. Dafür tra t aber,
bei klarem blauem Himmel, arge Hitze ein, die Mitte Juni auf
33° R. stieg; kein Hygrometer zeigte mehr den Wassergehalt der
Luft an, die Haut blieb selbst bei starker Bewegung trocken. In
der zweiten Hälfte des Juni gab es zuweilen erfrischende Regenschauer
und Gewitter, nach denen das Wetter auf einige Stunden
angenehm wurde. Abends genoss man in diesem Monat noch leidlicher
Kühle unter dem prachtvoll glänzenden Sternhimmel; bei
Tage liess sich die Hitze der Zimmer auch durch grosse Eisblöcke
kaum abkühlen; man fühlte sich unbehaglich, zu keiner Arbeit aufgelegt,
viel schlimmer als in feuchten tropischen Gegenden, bei
schwächerer Verdunstung, pflSpm Juli sollte es noch schlimmer
werden.
An gesunden Lebensmitteln mangelte es nicht. Gutes Brod
bereiteten die Bäcker der englischen Garnison ; es gab Hammel-,
Rind- und Schweinefleisch, vorzügliche Bohnen, Spinat, Kartoffeln,
Bataten, nachher auch Brinjals, die Früchte der Eierpflanze (Solanum
Melöngena), ferner den ganzen Sommer durch Birnen und
3)V o n der Menge des von diesen Stürmen mitgefuhrten Sandes giebt folgende
verbürgte Thatsache 'einen Begriff. Am 26.’März 1862 wurde ein den Pet- ho mit
dem P e - tan-FIuss verbindender schiffbarer Canal meilenweit in wenigen Stunden
dermaassen zugeschüttet, dass sich auf lange Strecken kaum noch die Richtung erkennen
liess. Viele kornbeladene Fahrzeuge standen auf dem Trockenen neben dem
verschütteten Bett des Canales ; ' der Sturm hatte sie auf dem darunter angehäuften
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