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Ufer blinkte Lieht an Licht, eine stattliche Lampenreihe bezeichnete
die neue Ansiedlung der Fremden. Vom nahen Felsufer zur Linken
spiegelten sich dunkele Tannen, ringsumher lagen viele Dschunken
von zauberischem Mondlicht ubergossen. — Noch am Abend kamen
alte Bekannte aus D e s im a herübergerudert.
Der Eindruck von N a n g a s a k i war nach der langen Mühsal
in China, wo nur der Ausflug nach P e - k in einen Lichtpunkt bildete,
noch mächtiger als im Februar, da wir nach stürmischer Seefahrt
die frühlingsgrünen Gestade grüssten. Voller und üppiger prangte
je tz t die Pflanzendecke, dichter und dunkeier das Laubdach der
schirmenden Wipfel, nicht versengt, wie sonst in gleichen Breiten,
von Sommersonnengluth, sondern in strotzender K raft der Entfaltung.
Denn hier regnet es in den heissen Monaten, die Hitze ist feucht
wie in den Tropen.
Der niederländische General-Consul Herr de W itt war kurz
vor unserer Ankunft von Y o k u b a ia zurückgekehrt; seiner gastfreien
Einladung folgend nahmen der Gesandte und der Attache Graf zu
Eulenburg in seinem Hause auf D e s im a Wohnung;, während die
anderen Passagiere der Arkona bei ihren- alten Bekannten freundliche
Aufnahme fanden. Fast heimathlich lachte uns auch das japanische
Volksleben an; nach den selbstzufriedenen, fertigen, trockenen,
stumpfen Chinesen, nach dem Staub und Schmutz und den fauligen
Dünsten ihrer verfallenen Städte war das kluge, frische, aufgeweckte
Wesen des frohen, thätigen Japaners, war die Erhaltung, Ordnung
und Sauberkeit bis in die innersten Winkel der japanischen Häuser
und Tempel eine rechte Erquickung. Man wandelte mit Lust durch
die Strassen. Die anständige Höflichkeit, die gute Laune und Aufmerksamkeit,
die ausgesuchte Reinlichkeit des Körpers und der
Wohnung auch bei den ärmeren Volksclassen machen den angenehmsten
Eindruck. Da sieht man kein zerbrochenes Geräth, keine
beschmutzten Wände oder zerrissenen Fensterscheiben; -auch im
ärmlichen Haushalt ist Alles nett und ordentlich, ja ohne Vergleich
besser und reinlicher gehalten als bei uns unter gleichen Verhältnissen.
Man kann sich der Achtung vor einer Cultur nicht erwehren,
die dem Volke solche Tüchtigkeit, solches Pflichtgefühl
eingeimpft hat. Besonders fiel uns nach dem mumienhaft gleichartigen
Wesen aller Chinesen aus dem Volke die individuelle E n twickelung
der Japaner und die höhere lebendige Gesittung auf, die
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aus dem häuslichen und bürgerlichen Leben spricht. Die Frauen
und Mädchen jeden Alters bewegen sich in den Häusern, auf
den Strassen bei der grössten Decenz mit unbefangener Freiheit;
da ist keine Spur von Prüderie und angewöhnter Zurückhaltung,
die versteckte Rohheit, Gefährdung des Anstandes und der
guten Sitte verriethe. Die Kinder sind lustig, aufgeweckt und wohlerzogen,
unter liebreicher Obhut ihrer Eltern O . 7 oder erwachsener Geschwister.
Unter den älteren Leuten aus dem Volke fällt die grosse
Anzahl gutartiger, angenehmer Physiognomieen von ausgeprägter
Eigenthümlichkeit, der Ausdruck ernsten W ohlwollens und freundlicher
Herzensgüte auf,- der von würdig vollbrachtem Lehen und
innerer Befriedigung, oft auch von tief empfundenen- individuellen
Schicksalen redet. Trotz allen Auswüchsen muss diese Gesittung
auf den gesunden Grundlagen reiner Menschlichkeit fussen; der
Heroismus der Liebe, Freundschaft, des E h r- und Pflichtgefühls
is t bei den Japanern bis zur Entartung ausgebildet; selbst ihre
alten politischen Einrichtungen beruhen doch bei aller Verdorbenheit
auf der natürlichsten Basis der menschlichen Gesellschaft,
dem patriarchalischen Leben, dessen Ausartung sich in der ganzen
Welt als Feudalismus documentirt.
Man verzeihe dem Verfasser diese Abschweifung, zu der ihn
die Erinnerung an die frohen Tage in N a n g a s a k i liinreisst; man
verzeihe auch, wenn hier nochmals die landschaftliche Schönheit
dieses gesegneten Erdenwinkels gepriesen wird, deren Andenken
ihm seine unter dem Zauber der Gegenwart geschriebenen Briefe
erwecken. Bei der köstlichen Herbstluft war es ein Hochgenuss,
auf den die Stadt umkränzenden Höhen, auf den Friedhöfen h erumzustreifen,
welche die Abhänge überall bedecken, wo neben
riesigen Kiefern, Cryptomerien, Taxus, Podocarpus und Lebens-
bäumen der dunkele dichtbelaubte Kampherbaum, zartgefiederte
Bambus, zierliche Palmen, Cicadeen, Bananen und andere Tropenbewohner
grünen, wo saftige Moose und Farrenkräuter zwischen
tausenderlei Gesträuch den Boden mit schwellendem Teppich bedecken
und der Epheu voll und üppig in die Wipfel steigt.
Auf breiten Terrassen thronen Tempel von ernstem würdigem
Ansehn. Ihre Färbung ist tief gesättigt, in voller Harmonie mit
der Umgebung, das Holz werk rothbraun, bis in das Schwarze vertieft,
mit Broncebeschlägen von schöner Patina, die Dächer schwärzlich
grau. Zahllose Grabsteine bedecken die Tempelterrassen und