
nur an wenigen Stellen ragt ein höheres Gebäude aus dem Häuserlabyrinth.
Hinter der Stad t schlängelt sich der T s u - k i a n wie ein
silbernes Band durch die grüne Fläche, die näch Südosten unabsehbar,
nach Süden und Westen von fernen Kämmen begrepzt ist.
Von Norden tritt der Fuss des steilen Gebirges h a rt an die Stadt
heran, welche die gegenüberliegenden Höhen völlig beherrschen.
Von da muss 1841 das aufgeregte Landvolk herahgestiegen sein,
das während der Waffenstillstandsverhandlungen den englischen
Truppen in den Rücken fiel. — In der Nähe liegt ein Stadtthor
von der hergebrachten Bauart; die Wache war blau uniformirt, mit
rothem Besatz. Jeder Soldat trug auf der Brust den Namen seines
Regiments und auf dem Rücken in breiten Schriftzügen die Betheuerung,
dass er sehr tapfer sei.
Unter den öffentlichen Gebäuden zeichneten sich die von
dem englischen und dem französischen Consul bewohnten Y amums
durch Grossartigkeit der Anlage aus. Endlose mit Steinplatten belegte
Avenuen führen in grader Linie durch mehrere Portale und
Höfe, wo mächtige alte Bäume stehen; dann folgt eine Halle auf
niedrigem steinernem Sockel, von welcher ein breiter bedeckter
Gang nach dem Hauptgebäude läuft. Die ganze Flucht vom ersten
Portal an mag 600 Schritte lang sein. — Die Bauwerke selbig
gleichen denen der Paläste von P e - k in , sind aber sehr baufällig.
Tempel gieht es in K a n - t o n viele; einer der merkwürdigsten
ist das grosse Pandämonium, welches dem von P i - t u n - t s e im Gebirge
bei P e - k in gleicht. Auch hier stehen Überlebensgrosse Portugiesen,
Engländer und Holländer in komisch knapper Tracht unter
den Wohlthätern der Menschheit; die Menge der Glimmkerzen in
den vor den Götzen aufgestellten Opfergefässen zeugt von der Po pularität
dieses Cultus. Ein anderer Tempel liegt in einem hübschen
Garten mit vielen Teichen, niedlichen Brücken, Pavillons und
künstlichen Felsen, die geschnörkelte Landschaft darstellend, die
man so häufig auf chinesischen Bildern sieht. Von den nordchinesischen
Bauten unterscheidet sich die Tempel-Architectur dieser
Landestheile wesentlich; sie ist bunter, phantastischer, lustiger; die
Ornamentik beruht auf Anwendung von Kacheln, Stuck und Bruchstein.
Pfeiler und Schwellen von sorgfältig behauenem Granit
treten an die Stelle der hölzernen; feine Stückarbeiten an die Stelle
des Schnitzwerks. Gutes Bauholz scheint selten; die den nordchinesischen
und japanischen Tempeln eigene Verschwendung des
Holzes im Dachstuhl und tragenden Gebälk sieht man im Süden
nicht, der Dachstuhl ist leichter; überall tritt der Stein in den Vordergrund.
Von Erfindung, Grazie und Sinn für schönes Verhältniss
zeugt die reiche Profilirung der Pfeiler, Schwellen und Consolen;
die Technik der Steinmetzarbeit ist vollendet. Die bunt geschnör-
kelten Dächer haben alle dieselbe von der nordchinesischen ganz
verschiedene Grundform der Verzierung. In der Mitte der hohen
aus bunten Kacheln gefügten First ragt auf kelchartigeiti Untersatz
eine grosse dunkelblaue Kugel in die Luft, an deren Seiten sich
Schlangen oder Drachen durch Wolken ringeln; daneben zwei
bunte Fische, den Kopf nach unten, den Schwanz hoch in die Luft
geschwungen; das Alles mag symbolisch sein. Die brettartige Dachfirst
selbst zeigt zwei Reihen Reliefs, die obere gewöhnlich in
Kacheln wie die Krönung, die untere in Stuck gearbeitet, theils
figurenreiche Compositionen auf architectonischem Hintergrund,
theils Blumen, Fruchtstücke, musikalische Instrumente und allerlei
Embleme, das Ganze äusserst bunt. Darunter setzt die Bedachung
aus grauen Ziegeln a n , nur die Stirnziegel sind gemustert und bunt.
Die Giebel haben verschiedene willkürliche, zackige, geschwungene,
oft architectonisch widersinnige und unmögliche Formen. Unter
dem Dach läuft gewöhnlich ein ornamentaler Fries von Stuck hin,
der sich in der Krönung der daranstossenden Wände fortsetzt.
Die Zeichnung dieses Mauerschmuckes zeigt oft die sonderbarsten
Verkröpfungen, Verschlingungen, Verschiebungen der Linie; man
staunt über die Extravaganzen der gedankenleeren Willkür; denn
irgend ein Sinn ist in dieser Verzierung nicht zu finden;; die sich
weder auf Anschauungen aus der sinnlichen W e lt, noch auf Symbolik
oder die Ahnung mathematischer Gesetze gründet. — Im
Innern gleichen die kantonesischen Tempel den früher beschriebenen,
nur sind sie wo möglich noch buntscheckiger. Bei den
meisten ist der Mittelraum oben offen, der Hauptgötze sitzt der
Eingangshalle gegenüber; auf den Altären steht das übliche Ge-
rä th , in den Seitenhallen verkaufen die Bonzen ihre Gebetformeln,
Silberpapiere und Glimmkerzen, und bescheinigen den Opfernden
die verrichtete Andacht. Lustig knallen die Schwärmer und dem
Pulverdampf mischen sich die Gerüche der Brand- und Speiseopfer:
— der Reiche bringt ein ganz gebratenes Mastschwein nebst
hundert Schüsseln und bunten Kuchen, schleppt aber wie gesagt
Alles wieder nach Hause, um es selbst zu essen; die abgeschiedene
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