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langem Sträuben 3 Rubel für jedes Maulthier, eine unverständige
Summe nach chinesischem Maasstab für den etwa 45 Li weiten
W e g nach T s a - t a u und zurück.
Der Weg führt von N a m - k a u aus zunächst durch ein Thor,
zu dessen Seiten zerfallene mit Thürmen versehene Mauern die
Berge hinansteigen; hier konnte der Pass geschlossen werden.
Das Thal verengt sich nun zur Breite von 400 Schritt; die 1200
bis 1800 Fuss hohen Felsgipfel zu beiden Seiten sind kahl, die
Hänge nur spärlich mit magerem Grase bewachsen. Mächtige
Quadern, die Reste einer alten Kunststrasse, liegen seitwärts vom
steilen Wege wild übereinandergewälzt, wie Felstrümmer im Bett
eines reissenden Bergstromes. Der steinige Pfad war selbst für die
sicheren Maulthiere so schwierig, dass Dr. Lucius die Möglichkeit
ihn mit Wagen zu machen trotz den Versicherungen seiner russischen
Gefährten bezweifelte, bis einige von Fels zu Fels herabpolternde
Karren bewiesen, dass chinesischen Fuhrleuten Alles möglich
ist. Der H a u p tv e rk ^ r wird aber durch Lastthiere vermittelt;
Reisende lassen sich oft in Sänften befördern, die von zwei Maul-
thieren getragen werden.
Etwa 15 Li von jenem Thore liegt T s u e - r u n - k w a n , je tz t
eine einzige Häuserreihe, früher, nach den Trümmern längs der
alten Kunststrasse und dem zwei Meilen weiten Umfange der Ringmauer
zu urtheilen, eine ansehnliche Stadt. Die Mauer läuft in
weitem Kreise durch das Thal und zu beiden Seiten bis auf die
wohl 1800 Fuss hohen Gipfel hinauf, den Pass durch eine doppelte
Verteidigungslinie schliessend. Nach dem Thal zu fällt sie in
treppenartigen Stufen ab, auf welchen Tausende von Bogenschützen
Platz fanden. — Mitten in der einzigen Strasse steht ein alter steinerner
Triumphbogen mit Stuck-Reliefs, welche G ö tte ru n d Helden
im Kampf und Sieg über feindliche Dämonen darstellen.
Fünf Li von T s u e -n u n - k w a n schneidet der Weg ein kleineres
Fort, dessen Ringmauern, etwa eine Stunde im Umkreis, den Pass
in ähnlicher Weise doppelt sperren; nur wenige bewohnte Häuser
stehen innerhalb. Von da verengt das Thal sich mehr und m e h r;
der Weg biegt scharf nach Westen um und tritt in die wildeste’
Felsöde. Hier steht ein Budda - Tempel; in der Felswand öffnet
sich etwa 40 Fuss über dem Boden eine Grotte mit hölzernem Geländer,
zu welcher in das Gestein gesprengte Stufen hinanführen;
innen steht ein Budda-Bild; ein im Rufe der Heiligkeit lebender
XVII. Die Grosse Mauer. 161
Einsiedler soll dort gehaust haben. Von diesem Punct erblickte
man zuerst auf den Bergrücken die mächtigen Windungen der
Grossen Mauer, welche gelb in der 'Sonne glänzte. Mühsam klimmen
die Thiere den steilen Pfad hinan bis zur Passhöhe.
Die gut erhaltene Mauer ist hier etwa 30 Fuss hoch, aus
Quadern aufgebäut, mit Brustwehren aus grössen Ziegeln nach
beiden Seiten. In Zwischenräumen von 300 bis 400 Schritt stehen
viereckige Thürme in der Mauer, mit drei Geschützpforten über
der Mauerhöhe in jed e r der vier Seiten. Grosse Haufen alter
eiserner Geschützrohre lagen bei dem Doppelthor des Passes und
in den nächsten Thürmen, zu denen bequeme Treppen hinanführen.
Verschlüsse fanden sich nirgends; Thore und Thüren ständen offen.
Bei dem Durchgangsthor stiegen die Reisenden auf die
Mauer, welche hier sieben Schritte breit und mit Steinplatten gedeckt
ist; wo diese auseinanderwichen, drang der Regen ein und
die Mauer zerfiel; hier gewahrt man, dass nur die äussere Bekleidung
aus Quadern, der Kern aber aus Schutt und Steingeröll besteht.
— Dr. Lucius verfolgte den Mauergang bis zum nächsten
Gipfel, fand aber die Steinplatten vom Regen so glatt gewaschen,
dass bei den starken Steigungen und Senkungen der allen Terrain-
Bewegungen folgenden Mauer stellenweise das Gehen sehr beschwerlich
war. Auf der letzten Strecke zum Gipfel, wo sie einen Hang
von über 45 Grad Neigung hinanklimmt, geht der Mauer weg in steile
hohe Treppenstufen über.
Oben ist eine weite Aussicht. Nach Südos.ten senkt sich
das Thal, durch welches die- Reisenden kamen; nach Ost und West
überblickt man viele Meilen weit die massigen Werke der Mauer,
welche, hier in ein Thal verschwindend, dort über 3000 Fuss hohe
Feiskuppen klimmend, der Bodengestaltung zu spotten scheint.
Oft sind launisch die steilsten Linien, die höchsten Gipfel gewählt,
als ob es kein Hinderniss gäbe. Unwillkürlich gemahnt der Bau
an den trotzigen Willen des Despoten, der keine Grenze seiner
Macht erkennt. So erstreckt sich die Mauer viele hundert Meilen
weit und vielfach in doppelter Linie, mit seitlichen Zweigen. Um
214 soll Kaiser S i - h o a n - t i den Bau begonnen haben; spätere Geschlechter
setzten ihn fort, und dass noch in neuerer Zeit für die
Erhaltung gesorgt wurde, beweist der Zustand der Mauer an vielen
Stellen. Sie' sollte ein Bollwerk der chinesischen Gesittung sein
gegen die Eingriffe nordischer Barbaren, ist aber kaum mehr als
w. u