
Klarheit darüber schwer zu gewinnen sein. Alles bis je tz t
Publicirte ist nur Stückwerk voll Widersprüche, die vielleicht mehr
in den Einrichtungen selbst, als in den Berichten darüber liegen,
denn oflenbar beruhen die lose geordneten Verhältnisse auf
wandelbarem Herkommen, das der Willkür starker Charaktere
weicht. Nicht einmal von der Sonderung der Stände und der
Stellung der lü r s te n zum Volke gewannen wir deutliche Begriffe.
Grat Eulenburg fragte bei jed e r Gelegenheit den König und die
Grossen aus und erhielt ausführliche Antworten; auch von den
ansässigen Consuln, Missionaren und Kauflenten erfuhren wir Mancherlei;
aber zu klarer Erkenntniss des Organismus gestalteten sich
diese Mittheilungen nicht. Sie mögen trotzdem, wie wir sie empfingen
und ohne eigene Gewähr, als Beitrag zur Kenntniss des
Landes hier wiedergegeben werden. Die Berichte anderer Reisenden
beseitigen keineswegs die Widersprüche, ebensowenig das
Werk des Bischofs Pallegoix, aus welchem die meisten geschöpft
haben, und das trotz manchen Lücken immer noch als die beste
Beschreibung von S iam gelten muss. Die reichhaltigen französischen
Werke aus dem 17. Jahrhundert passen nur theilweise auf die
heutigen Einrichtungen; die Blütheperiode, welche sie behandeln,
erreichte ihr Ende mit der Zerstörung von A y u t ia , und das neue
siamesische Reich, das P h a y a - t a k in B a n k o k gründete, ist von
jenem älteren wesentlich verschieden.
König M a h a - m o n k u t pflegte in komischen Zorn zu gerathen
über geographische Bücher, welche die Verfassung von S iam als
absolut monarchisch bezeichnen71); und doch war er soweit absoluter
H e rr, als nicht die öffentliche Meinung, altes Herkommen,
der Einfluss der Bonzen und die materielle Macht der Grossen ihn
beschränkten. TJeber der letzteren Stellung findet sich nirgend genügende
Auskunft; es scheint ein landbesitzender Adel zu sein, in
dessen Familien alle hohen Staatsämter unter königlicher Bestätigung
erblich sind. Die würdentragenden Häupter dieser Familien
bilden wahrscheinlich den grossen Staatsrath oder S e n a b o d i , der
vorzüglich bei jedem Thronwechsel mitspricht. König M a h a -
m o n k u t erklärte dem Gesandten in deutlichen Worten, dass thron71)
»I have no power, I am n o t absolute. I f I p o in t th e end o f my walking-
stick a t a m an , whom, being my enemy, I wish to d ie , he does n o t d ie , b u t lives
o n , in spite o f my .absolute« will to th e contrary. W h a t does Geographies mean ?
How can I be an absolute monarchy.« S. Mrs. LeonoWens.
berechtigt nur solche Agnaten des Herrscherhauses seien, die auch
mütterlicherseits aus königlichem Blute stammten, d. h. die Söhne
einer zur KöniginGemahlin erhobenen Prinzessin des regierenden
Hauses; dass aus diesen der S e n a b o d i den König erwähle. Pallegoix
sagt, dass die Primogenitur zwar keinen Anspruch auf den
Thron begründe, dass der König aber — nach chinesischer Art —
durch Testament einen seiner Söhne zum Nachfolger einsetze.
Dazu stimmen aber die Thatsachen der neueren siamesischen Geschichte
noch weniger als zu des Königs Aussagen; P h r a T sa o
P r a s a t T o n , der von 1825 bis 1851 regierte, stammte mütterlicherseits
nicht aus dem Königshause, wurde auch weder von
seinem Vater zum Nachfolger eingesetzt, noch vom S e n a b o d i
erwählt, konnte aber gegen dessen Willen seinen Sohn nicht
auf den Thron bringen. Daraus wäre zu schliessen, dass ein
Usurpator eben so sicher herrscht, wie der legitime Erbe, wenn
er die Grossen bezwingt oder zu Freunden h a t, und dass der
legitime Erbe eben so gut deren Zustimmung braucht, wie der
Usurpator.
Ueber des Zweiten Königs Stellung weiss man eben so wenig
Genaues, als über das Alter und die Bedeutung dieser Würde.
Pallegoix behauptet, dass er gewöhnlich den Oberbefehl über die
Kriegsheere führt, dass er in Abwesenheit des Ersten Königs von
der Hauptstadt regiert, dass dieser ihn in allen wichtigen Angelegenheiten
befragt. Das Alles ist unwahrscheinlich.- Die Institution
des zweiten Königthums mag bestimmt se in , die despotische
Alleinherrschaft zu beschränken, sie bietet den Unzufriedenen stets
ein Banner, um das sie sich schaaren können; aber grade deshalb
wird der Zweite König nimmer Einfluss neben dem Ersten gewinnen,
und sich hüten müssen, dessen Argwohn zu wecken. Er
ist das Schwert des Damokles, das stille droht, doch niemals dreinschlägt.
Das war die Lage des Zweiten Königs, den wir sahen,
des rechten jüngeren Bruders des M a h a - m o n k u t , welcher ihn gleich
nach seiner Thronbesteigung mit Zustimmung des S e n a b o d i zu
dieser Würde erhob. Sein Vorrecht vor allen anderen Unterthanen
ist, dass er sich vor dem Herrscher nicht niederwirft,, sondern zum
Gruss nur die Hände erhebt; er leistet ihm aber, wie alle anderen
Grossen, jährlich zweimal den Eid der Treue. E r h a t seine Soldaten
und seinen Hof, und bezieht seine Einkünfte aus dem Schatz
des Ersten Königs unter dessen Genehmigung.