
, Am 26. September besuchte Graf Eulenburg den alten T s u n -
l u e n , welchen ein schleichendes Unwohlsein hinderte, den Gesandten
in dessen W ohnung zu begrüssen. Sein in einer Querstrasse der
Gelben Stadt gelegenes Haus zeichneten weder Eleganz noch
Grösse aus: niedrige Gebäude und enge Höfe, die Zimmer fast ohne
allen Hausrath. In der »Bibliothek«, wo Graf Eulenburg empfangen
wurde, spähte man vergebens nach Büchern; nur war eine der
Wände über und über mit Schriftzeichen bedeckt; vielleicht ein
Katalog? — T s u n - l u e n kam auf zwei Diener gestützt und schien
sehr leidend; er trug den weissen Rock der Halbtrauer mit Kragen
und Aufschlägen von hellblauer Seide; Haupthaar und Bart bleiben
drei Monat ungeschoren. Gleich nach der Begrüssung erschien sein
Sohn, ein wohlgenährter Jüngling von zweiundzwanzig Sommern
mit rundem vergnügtem Vollmondgesicht. Seit zwei Jahren ver-
heirathet wohnte er mit Gattin und Söhnchen bei seinem Vater.
Der Gesandte wurde bald in ein grösseres Gemach geführt
und mit dem üblichen Imbiss bewirthet. T s u n - l u e n erzählte, dass
es der 79. Geburtstag seines Freundes und Collegen K w e i - l ia n sei,
'd e r nun dem Staate seit 55 Jahren diente und in allen achtzehn
Provinzen des Reiches Aemter bekleidet hätte; von allen Würdenträgern
habe er allein sich während dieser ganzen Periode in einflussreichen
Stellungen zu behaupten gewusst, ohne jemals degradirt
zu werden; — gewiss sehr wunderbar, wenn man die Schicksale
von L i n , K i - s e n , I - l i - p u , K i - y in und anderen . Grossen erwä®g t.
die ih r Unglück theils mit dem Tode, theils mit Verbannung oder
Degradirung büssten. Der Vertrag von T i e n - t s i n , China’s grösste
Schmach in den Augen aller Patrioten, wurde 1858 von K w e i -
l ia n unterzeichnet; K i-v in , der ihm entgegentrat, musste sich im
Kerker vergiften.
Auf die Frage des Gesandten, ob- T s e u - t s a u , T s u n - l u e n ’s
Sprössling noch nicht im Staatsdienst sei, erwiederte der Vater,
er könne sich von seinem einzigen Sohn nicht so leicht 'trennen,
wünsche ihn auch selbst in die Geschäfte einzuweihen; Rie erste
wissenschaftliche Prüfung habe derselbe bestanden, die zweite aber
nicht; er bereite sich je tz t zu deren Wiederholung vor. Der b e häbige
Jüngling musste seine Exercitien holen, kurze Sentenzen, in
fusslangen Schriftzeichen auf buntes Papier gemalt. T s u n - l u e n
schien sehr stolz darauf und schenkte dem Gesandten und seinen
Begleitern solche Schriftrollen zum Andenken,
T s e u - t s a u erwiederte den Besuch in Vertretung seines kranken
Vaters und redete ganz verständig. Ofl’en und unbefangen beklagte
er die Missbräuche in der Verwaltung und machte kein Hehl aus
den amtlichen Lügen, mit welchen die Behörden das Publicum
täuschten. So feierte damals die Zeitung von P e - k in den Feldherrn
T s e n - p a o , der die Rebellen in S a n - t u n bekämpfte, durch
glänzende Siegesberichte. T s e u - t s a u aber erklärte rund heraus,
er sei nur ein Maulheld. Die Art, in welcher T s e n - p a o nach
eigenem Geständniss die Provinz beruhigt hatte, giebt ein grausiges
Bild von der kalten Blutgier asiatischer Grossen; er theilte alle
männlichen Bewohner der zurückgewonnenen Bezirke in zwei Kate-
gorieen, gemeine Rebellen und Anführer ; letztere wurden in Stücke
gerissen, erstere nur geköpft, alle Frauen und Kinder nach dem
Amur geschleppt. Beruhigt wurde die Provinz auf diese Weise
gewiss.
T s e n - p a o war es, der im September 1860 bei P a - l i - k a o
eommandirte und wahrscheinlich Capitän Brabazon und den Abbe
de Luc hiririchten liess. Seine zweideutigen Aeusserungen über
deren Schicksal, verglichen mit der Aussage chinesischer Soldaten,
dass er sich der schriftlichen Ertheilung des Befehles geweigert
habe, konnten diese Muthmaassung nur bestärken. — Im Frühjahr
stand T s e n - p a o mit seinen Truppen in P e - k i n ; häufig wurden die
Diplomaten dort durch nächtliche Gewehrsalven aufgestört und erfuhren
auf Befragen, dass diese Kraftäusserung das schlechte Gesindel
schrecken und die Ehrfurcht des Volkes vor der Executive
erhöhen sollte. Gegen die Fremden zeigten T s e n - p a o ’s Truppen
kein Oebelwollen; einige Engländer besuchten sogar ihr Lager im
Süden der Chinesenstadt; aus einem Zuge von Pikenreitern, der
ihnen begegnete, grüssten mehrere ganz ehrerbietig, und als einer
der Officiere die Engländer freundlich anredete, machte der'ganze
Zug ohne Commando Halt; mehrere verliessen ganz unbefangen die
Glieder, um dem Gespräch zu lauschen.
Anfang Mai wurde T s e n - p a o nach D z e h o l berufen und
vom Kaiser angewiesen , zu Unterstützung S a n - k o - l in - s in ’s nach
S a n - t u n z u rücken. Nach P e - k in heimkehrend, gehorchte er so
weit, dass er mit seinen Truppen einen Tagemarsch südlich mar-
schirte, dann aber ruhig nach der Hauptstadt zurückkam, wo seine
Gegenwart nothwendiger wäre. Etwas später musste er doch ins
Feld. S a n - k o - l in - s in war mit seiner Streitmacht zurückgewichen