
Das war der einzige Todesfall bei uns in T ie n - t s i n ; mehr
oder weniger aber griff das Klima Alle an; bei Vielen zeigten sieb
die Folg en erst später. Herr Bismarck musste, wie gesagt, Anfang
Juli auf die Arkona gebracht werden und machte eine schwere
Krankheit durch. Der Attache von Brandt und Dr. Lucius litten
seit Mitte Juli an Fieber, und am 28. Juli hatte der Dolmetscher
Herr Marques einen Schlaganfall, der seine linke Seite lähmte. Die
schnelle Hülfe und sorgsame Pflege des Dr. Lucius thaten gute
Wirkung; schon nach wenigen Tagen kehrte Leben in das linke
Bein zurück; für den Dienst jedoch wurde Herr Marques untauglich,
und da der bejahrte Mann nach seiner Familie verlangte, so
schickte der Gesandte ihn am 10. August unter Obhut des Attaché
von Brandt an Bord des englischen Dampfers Feelong, der ihn
nach S h a n g - h a e brachte. Herr von Brandt blieb zu Herstellung
seiner Gesundheit einige Zeit auf der Arkona. — Wie verderblich
das Klima von T ie n t s in wirkte, beweist der Umstand, dass sämmt-
liche als Ordonnanzen zur Gesandtschaft commandirten Seesoldaten
noch vor Rückkehr der preussischen Schiffe nach der Heimath gestorben
sind.
Ende Juli gab es einige Regenschauer; man fühlte sich bei
26° R. seltsam erfrischt, und fröstelte, als das Quecksilber gar einmal
auf 20° R. herabsank; mit geringen Unterbrechungen aber dauerte
die arge Hitze bis zum 20. August. Dann traten starke Güsse ein;
zuweilen durchweichte ein Wolkenbruch die Ebene dermaassen, dass
wir Tage lang von Spazierritten abstehen mussten; die Temperatur
schwankte zwischen 20° und 26° R. Anfang September war es
bald herbstlich kühl, bald drückend heiss. Das Wetter des Jahres
1861 soll in Nord-China abnorm gewesen sein; die Regenzeit fällt
dort gewöhnlich in die Monate Juni und Juli, während August und
September fü r trockene Monate gelten.
Es war eine qualvolle Zeit, besonders für den Gesandten,
dessen Geduld die chinesischen Commissare auf das härteste prüften ;
W ochen lang schien kein Ende der Verhandlungen abzusehen. Das
trostlose T i e n - t s in bot auf die Länge nicht die mindeste Anregung
zu irgend welcher Thätigkeit; die furchtbare Hitze machte jede Verrichtung
zur körperlichen Qual und raubte alle Jiraft zu selbst-
gewählter Arbeit. — Der Besuch von der Arkona, welcher einige
Abwechselung in das häusliche Leben brachte, verliess uns bald
nach dem Erscheinen des herrlichen Kometen, der am Abend des
1. Juli bei Dunkelwerden wie hingezaubert am Himmel stand. Wir
sassen im Hofe grade bei Tisch und konnten den dem Horizonte
nahen Kern nicht sehen; der Schweif aber reichte weit über den
Zenith hinaus. Am 2. Juli blieh der Kern bis nach elf" über dem
Horizont; der Schweif erstreckte sich vom Sternbilde des Luchses
zwischen den Bären durch bis zum Schlangenträger. In den folgenden
Nächten näherte der Kern sich dem grossen Bären; der Schweif
schrumpfte ein, bald erblasste das glänzende Bild. Wir vermutheten
darin den 1264 und 1556 gesehenen Kometen, der nach chinesischen
Annalen auch im 4., 7. und 10. Jahrhundert erschienen wäre.
Der Verkehr mit den englischen Schicksalsgenossen erhielt
neues Leben durch den Besuch einiger höheren Officiere. Anfang
Juli kamen General-Lieutenant Sir John Michell, der Commandeur
der englischen Truppen in China, und Capitän Lord John Hay,
dessen Corvette Odin den eben geöffneten Hafen N iu - t sw a n besuchen
sollte. Sir John Michell verweilte einige Tage in P e -k in ;
nach seiner Rückkehr “fand auf der Ebene südlich von T ie n - t s in
ein grosses Exerciren der Garnison im Feuer sta tt, welchem Graf
Eulenburg und seine Begleiter beiwohnten. Alle Bewegungen wurden
mit grösser Schnelligkeit und Präcision ausgeführt; sie bewiesen,
dass, die englische Armee durchaus nicht hinter den Anforderungen
der verbesserten Feuerwaffen und der dadurch veränderten
Taktik zurückblieb. Sehr malerisch wirkten mehrere Schwärm-
Attaquen von Fane’s Reiter-Regiment, doch gewannen unsere militärischen
Begleiter die Ueberzeugung, dass diese leichte indische
Cavallerie keiner europäischen gewachsen ist. Ihre Attaquen waren
ziemlich ungeordnet, viele Reiter stürzten, ih r Gebrüll mahnte
an den Angriff wilder Horden. — Zu Ehren Sir John Micliell’s
fanden auch ergötzliche Aufführungen im Theater der englischen"
Officiere statt. Auf unsere Geselligkeit wirkte seine lebendige
Unterhaltung sehr anregend; Sir John machte durchaus seinem
Ruf E h re , der ihn als abgehärteten Krieger von seltener Jugend-
frisclie bezeichnete.
Grosse Theilnahme erregte in T i e n - t s in der Besuch des
Major Brabazon, dessen Sohn vor der Schlacht von T s a n - k ia - w a n
mit Herrn Loch in die chinesischen Linien ritt um Consul Parkes
und dessen Gefährten zu suchen, bei Auslieferung der Gefangenen
aber vermisst wurde, während man die Leichen aller zu Tode gemarterten
Engländer erkannte. Allein das Schicksal des Capitän