
wir hier fünf schwere Monate verleben und der höchsten Spannkraft
bedürfen sollten, um dem furchtbaren Klima und dem Unverstände
der Chinesen mit Erfolg die Stirn zu bieten. In Y e d d o
gaben die gesunde stählende Luft, die herrliche Landschaft und
die durch alle Schichten interessante Bevölkerung einer reichen
Haupt- und Handelsstadt für alle Beschwerden und Täuschungen
Ersatz; T i e n - t s in dagegen ist so durch und durch reizlos, als sich
die trockenste Phantasie nur .lusnialen kann. In einer unabsehbaren
Ebene gelegen h a t es den Winter von Upsala und den Sommer
von Kairo. Als Hafen der Hauptstadt empfängt es zwar alle
Erzeugnisse des Südens sowohl zur See durch den P e i - h o , als
durch den hier mündenden Kaisercanal, der, von H a n - t s a u ausgehend,
den Y a n - t s e und den H o a n - h o schneidend, durch acht
Breitengrade und vier grosse Provinzen fliesst; e s versieht ferner
den grössten Theil des Reiches mit Salz, d a s , an der niedrigen
Meeresküste gewonnen, in T i e n - t s in aufgestapelt und verschifft
w ird ; man merkt aber den Handel nur an der ungeheuren Zahl
der Dschunken und der die Umladung besorgenden Arbeiter, welche
die Masse der Bevölkerung bilden. Von Reichthum und Lebens-
verfemerung zeigt sich keine Spur; ansehnliche Kaufläden giebt es
nicht; man sucht vergebens nach den mannigfachen Erzeugnissen
des chinesischen Gewerbfleisses. Einzelne Trödelbuden, welche
allerlei Luxusartikel und Curiositäten, grossentheils aus der Beute
des Sommerpalastes aufwiesen, dankten wohl nur der englischen
Garnison ih r Tfasein. In der T h a t ist T i e n - t s in , auf salpeterhaltigem
Boden an trüben Wassern gelegen, die allen Abgang von
300,000 Menschen aufnehmen, von der Natur dermaassen beschimpft,
dass es Wunder nehmen müsste, wenn Jemand ohne zwingende
Gründe da wohnte;
Das von Ringmauern umschlossene Viereck der Stadt blickt
genau nach den vier Himmelsgegenden und misst in der Richtung
von Norden nach Süden eine englische Meile, von Osten nach
Westen etwa drei Achtel mehr. Die zinnenbekränzte Mauer ist fast
dreissig Fuss hoch und fünfzehn Fuss dick, aussen und innen von
graugelben Luftsteinen gebaut, zwischen diesen Wänden mit Lehm
und Schutt ausgefüllt. In der Mitte jed e r Mauerseite liegt ein gewölbtes
Thor, über welchem ein breiter Festungsthurm von mehreren
Stockwerken steht. Aehnliche Thürme von quadratischem Grundriss
erheben sich auf den vier Ecken der Ringmauer. Eine Hauptstrasse
führt vom nördlichen zum südlichen, eine zweite vom östlichen
zum westlichen T h o r; über ihrer Kreuzung steht im Mittel-
puncte der Stadt ein den Stadtthoren gleichendes massives Gebäude
mit gewölbten Eingängen von den vier Seiten. Dieser Bau
beherrscht ganz T i e n - t s i n , kann aber durch seine Lage keinen
möglichen Nutzen bieten und soll wohl nur, der symmetrischen
Anordnung des Gründers zu Liebe, den Mittelpunct der Stad t bezeichnen;
nicht einmal als Feuerwarte scheint das festungsartige
Gebäude zu dienen, dessen Unterbau genau in der Höhe der-Stadtmauer
massiv aus Luftsteinen g'ebaut is t.. Die oberen Stockwerke
sind, wie bei den Thoren, aus Holz und Luftsteinen aufgeführt,
mit schweren vorspringenden Dächern, die Dachkanten geschwungen
und mit grotesken Thiergestalten verziert. Die vier durch die
Hauptstrassen abgetheilten Stadtviertel bilden ein Labyrinth enger
gewundener Gassen; in der Nähe der Mauern liegen weite Strecken
unbebaut, mit Lachen stagnirenden Wassers. Rechts vom Ostthor
steht der Tempel des Confucius, links ein grosses Theater, damals
von den Engländern zur Kaserne eingerichtet; andere Tempel und
Theater liegen in der Stad t zerstreut.
Ein weit grösseres Areal als diesen mauerumschlossenen
Platz bedecken die Vorstädte, die sich zu beiden Seiten des P e i - h o
und des Kaisercanales ausdelinen. Hier wohnt die handeltreibende
Bevölkerung; die Strassen sind breiter und etwas reinlicher, die
Kaufläden besser als in der Stadt, wo es fast nur Schmutz und
Spelunken giebt. Der Kaisercanal läuft aus Westen her etwa fünfhundert
Schritt von der nördlichen Mauer mit dieser eine Strecke
parallel und macht dann eine Biegung gegen die Nordost-Ecke der
Stadt, wo unter der Mauer nur eine Strassenbreite bleibt. Nicht
weit von da mündet der Canal in den aus Nordvvesten kommenden
P e i - h o , der sich hier scharf nach Süden wendet und etwa sechshundert
Schritt von der Ostmäuer strömt. Die Vorstädte vor dem
Nord- und dem O st-Th o re sind die beste Gegend von T i e n - t s in ;
weiter den Canal hinauf, flussabwärts und jenseit beider Gewässer
giebt es nur enge winklige Gassen und wenig gute Gebäude. Auf
dem linken Flussu'fer liegen am östlichen Ende -der Vorstadt ungeheuere
Salzmassen in freier Luft aufgestapelt. Südlich vom Ostthor
führt eine Schiffbrücke über den P e i - h o ; eine zweite über
den Kaisercanal stö sst auf die vom Nordthor ausgehende Strasse.'
Dort liegen mehrere Theater, und jenseit des Canales ein Tempel,