
Die meisten Mädchen werden im Alter von fünfzehn Jahren
verheirathet; warten die Eltern auf bessere Preise hoifend länger,
so geht die Tochter gewöhnlich durch, kommt nach einigen Wochen
mit ihrem Liebsten wieder und bittet unter dem Beistände von
Verwandten in vorgeschriebener Form um Verzeihung, worauf die
Eltern sich mit dem Schwiegersohn abfinden und die Hochzeit bereiten.
Erfolgt die Einigung nicht, so segnet die Behörde den Ehebund.
Bei der Hochzeit, die bei den Reicheren mit feierlichen
Bootsprocessionen, dramatischen Aufl'ührungen, Musik und allerlei
Spielen gefeiert wird, scheinen 'die Bonzen keine anderen Verrichtungen
zu haben, als den Gesang von Litaneien und die Einsegnung
des Ehebettes.75) Die Zahlung des Kaufpreises — oder der Mitgift
— scheint der die Ehe begründende Act zu sein. Die Grossen haben
viele Nebenweiber, aber nur die Kinder der ersten rechtmässigen
I r a u sind erbberechtigt. — Bei Scheidungen, zu denen das Gericht
den Ehegatten auf der Frau Verlangen zwingen kann, wird die
Mitgift zurückgegeben. Das älteste, dritte und alle Kinder un-
grader Zahl folgen der Mutter, die anderen dem Vater. — Die
meisten Ehen sollen glücklich sein; die Frau wird mit Achtung behandelt,
h a t gebührenden Einfluss auf alle häuslichen Angelegenheiten
und bewegt sich auch ausserhalb des Hauses mit voller
Freiheit.
Wenn es zum Sterben geht, lässt der Siamese die Bonzen
kommen, die ihn unter Geboten mit Weihwasser besprengen und
im letzten Augenblick dem Sterbenden beständig das Wort A r a h a n
Sei frei von Begehrlichkeit — in die Ohren rufen: das soll der
scheidenden Seele Glück auf die Reise bringen. Dann bricht die
ganze Familie in Wehklagen aus. Die Leiche wird gewaschen, in
ein weisses Tuch gehüllt und in den mit Goldpapier beklebten Sarg
gelegt, über den man wo möglich einen Baldachin mit Papierspitzen,
Blumenguirlanden und Goldflitter baut. Nicht durch die Thür,
sondern -durch ein in die WAnd gebrochenes Loch wird die Leiche,
die Füsse voran, heraus und dann dreimal in schnellem Lauf um
das Haus getragen, damit sie den Eingang vergesse und keinen
Spuk treibe. — Nach Pallegoix würde nur das Fleisch Derjenigen,
die es ausdrücklich verlangen, den Geiern vorgeworfen.
76) Die Bonzen besprengen das E h e b e tt mit Weihwasser u n d umwinden es
77 Mal mit F ä d e n ungesponnener Baumwolle, deren Enden sie bei Recitirung der
Segensformeln in den Händen halten.
Viele Siamesen sollen ein hohes "Alter erreichen. Bei Krankheiten,
die meist Dämonen zur Last gelegt werden, kommen mehr
Zauberformeln in Anwendung als Arzneimittel; oft sieht man auf
dem M en a m niedlich aufgeputzte mit Leckereien und Blumen gefüllte
Kästchen heruntertreiben, in welche die Angehörigen eines
Kranken den Kobold unter allerlei höflichen Beschwörungen com-
plimentirt haben, in der Hoffnung, er werde den Rückweg vergessen.
— Die Ueberfülle des Aberglaubens in S iam ist wohl theils
im Volkscharakter, theils im Zusammenfluss so vieler verschiedener
Stämme begründet. Die indischen Brahminen, die Malayen, Chinesen
und die Nachbarvölker der hinterindischen Halbinsel haben
jedes ihre eigenen Mährchen mitgebracht, die in der Phantasiewelt
des entarteten Buddismus üppig fortwuchern und von den Bonzen
schlau benutzt werden. Die Hofastrologen und königlichen" W ah rsager
scheinen jene Brahminen zu sein,' die beim Palaste des Ersten
Königs ihren Tempel haben; sie fungi'ren bei der Krönung und
anderen wichtigen Ceremonieen und werden in jed e r wichtigen Angelegenheit
befragt, sollen aber zuweilen auch Schläge bekommen,
wenn sie falsch gerathen h ab en.pfpDas Volk befragt die Bonzen
und Zauberer bei Krankheiten, Diebstählen und anderen Verlusten,
beim Glücksspiel und jed e r Gelegenheit; für Hochzeit, Haarbeschneidung
und Reisen müssen sie die glücklichen Tage, beim Hausbau die
beste Richtung für Thür und Fenster erforschen. Die Zahl der Zimmer,
Oeffnungen und Treppenstufen muss immer ungrade sein; Teka-
Stämme, das beste Bauholz, dürfen nicht zu Pfosten verwendet werden.
Man glaubt an Zaubermittel, die ganze Familien in Erstarrung
bannen und den Dieben leichtes Spiel geben, an Liebestränke, Mittel zu
Unverwundbarkeit und jeden erdenklichen Unsinn. Bei Ueberschwem-
mungen werden grosse Processionen auf dem Flusse veranstaltet, den
die Bonzen unter heftigen Beschwörungen zu bannen suchen; die Cholera
mussten einst Bonzen auf Befehl des Königs den Fluss hinab in das
Meer hinausjagen, was die meisten mit dem Leben gebüssthaben sollen.
Nach altem Brauch wurden beim Bau von S ta d t- und
Festungsthoren Sclaven geopfert76) , ebenso beim Vergraben von
76) Pallegoix h at davon in Briefen d e r Jesuiten und in den siamesischen Annalen
gelesen, will ab e r d ie 'W a h rh e it nicht verbürgen. — Mrs. -Leonowens e rzäh lt, dass
König M a h a - monkut beim Bau eines Th o re s drei Männer habe aufgreifen und en thaupten
lassen, nachdem er sie bei glänzendem Gastmahl ermahnt h ä t t e , als Schutzengel
das T h o r treulich zu hüten und je d e drohende Gefahr zu melden. —'M a n
d a rf trotzdem daran zweifeln, dass dieser blutige Gebrauch noch h eu t im Schwange ist.