
Jenseit der Marmorbrücke tlieilt sich die Strasse in zwei Arme, die halbkreisförmig
den Vorhof des Himmelsthores umfassen: eine Budenreihe
am Sockel der Mauer wetteifert in prachtvoller Ausstattung
mit den gegenüberhegenden Läden; hier wirkt die Fülle des bunten
phantastischen Zierraths fast verwirrend, aber in seiner willkürlichen
Anordnung höchst malerisch, In dieser Gegend wohnen die
vornehmsten T rö d le r, bei welchen manches Prachtstück zu finden
war: Schnitzereien in Holz und Bambus, in Jad e , Serpentin, Cor-
nalin und Bergkrystall, Arbeiten von Lack, Bronce, Email und Por-
celan. Vieles stammte aus Y u a n - m in - y u a n , w o chinesische Diebe
die reichste Nachlese hielten. Die Preise waren höher als in T i e n t
s in , besonders für Raritäten; für eine Schüssel aus der M i n -Zeit,
etwa anderthalb Fuss im Durchmesser, auf welcher nur ein Baumzweig
gemalt war, forderte man 120 Dollars. Es giebt eben in
China sammelnde Liebhaber wie bei uns; zudem verlangten die
Händler immer weit höhere Preise als sie nehmen wollten. Die
Engländer von der Gesandtschaft pflegten , nur ein Viertel oder ein
Drittel des Geforderten zu bieten und selten die Hälfte zu zahlen.
Sie hatten aber selbst durch diese Art zu feilschen die Händler
zu übermässigem Fordern getrieben, und gestanden, dass in Läden
der Vorstädte, wo man ihre Art nicht kannte, die üeberforderun'gen
nicht ungebührlich waren. Feilschen will jed e r chinesische Krämer;
erhält er den genannten Preis, so bereut er unfehlbar keinen höheren
verlangt zu haben. Der Geldwerth der bei den Trödlern in P e -
kin angehäuften Schätze muss ansehnlich sein; die kostbarsten Gegenstände
bewahren sie — der Diebesgefahr wegen —; in rückwärts
liegenden Gemächern, zu denen man aus dem vorderen Laden über
ein enges Höfchen gelangt; dieses h a t eine gitterartige Bedachung
entweder aus starken Latten oder aus Drahtgeflecht, an welchen
Hunderte von Glöckchen — gegen Diebe hängen. — Sonderbar
überrascht es, unter den chinesischen Raritäten zuweilen europäische
Fabricate, alte Fernrohre, Jagdflinten, Degen, Pistolen u. s. w. zu
finden; auch Revolver und Enfieldbüchsen, die von der Niederlage
bei Taku 1859 h e rrü h ren , sieht man zuweilen. — Viele der werth-
vollsten Stücke in den Kaufläden waren nicht Eigenthum der
Trödler, sondern von den Besitzern zum Verkauf dort ausgestellt.
In Folge der Invasion der Alliirten und der Flucht des Kaisers ge-
riethen nämlich die vornehmsten Tartaren - Familien, welche ihre
Einkünfte aus den Hofkassen bezogen, in arge Geldnoth, der sie
durch Verkauf von Pretiosen zu steuern suchten. Fast täglich wurden
durch Unterhändler den Mitgliedern der Gesandtschaften die
kostbarsten Arbeiten in Porcelan, Email und Jade angeboten, Familienstücke,
die vielleicht Jahrhunderte lang im Besitz eines vornehmen
Hauses waren, unter anderen ein prachtvoller Thron aus
Ebenholz mit Gedichten eines Kaisers auf eingelegten Emailtafeln
und Zierrathen von ciselirtem Golde; nach Aussage der chinesischen
Literaten durfte nur der Himmelssohn auf solchem Stuhle sitzen^
der Unterhändler bot ihn im Auftrag eines kaiserlichen Prinzen
ersten Ranges an, dessen Apanage in Abwesenheit des Hofes ungezählt
blieb.
So lebhaft das Gewühl der Hauptstrassen, so still ist es in
den engen gewundenen Gassen der dazwischen liegenden Stad tviertel;
viele sind ganz ohne Läden, von Arbeitern bewohnt; andere
dienen ausschliesslich einem bestimmten Handelszweige, so
giebt es ganze Strassen voll Buchläden. — Die südliche Hälfte der
chinesischen Stadt füllen Gärten, Felder und Tempel aus; hier liegt
der See des schwarzen Drachen, H e - lu n - ts a u , mit kleinem verfallenem
Tempel, wo in trockenen Jahren Kaiser und Prinzen
den König der Drachen um Regen anflehen. Das Kloster T a o -
y a n - t in , ein früher von Mandarinen begünstigter Vergnügungsort,
steht auf der Spitze eines Hügels mit anmuthiger Aussicht auf die
ländliche Umgebung. Die Tempel des Himmels und des Ackerbaues
bedecken mit ihren parkartigen Gärten ein grosses Areal;
sie wurden erst nach unserer Anwesenheit den Diplomaten zugänglich.
Nach ihren Schilderungen umgiebt den Tempel des Himmels
ein weiter Park uralter immergrüner Bäume, welchen breite mit
Steinplatten belegte, von Marmorgittern eingefasste Gänge durch-
schneiden. Die dichten Wipfel lassen kaum einen Sonnenstrahl
durch; kein Gräschen gedeiht auf dem mit moderndem Laube fuss-
hoch bedeckten Boden. Kein Geräusch unterbricht die tiefe Stille,
denn ausser den Wächtern und Priestern darf kein Chinese hinein.
Der Umfang des kreisrunden Tempels soll 1500 Fuss betragen; er
h a t zwei übereinandergestülpte Dächer, deren Form einem spitzen
chinesischen Strohhut verglichen wird; die blauen glasirten Dachziegel
schimmern durch dichte Lagen von schwärzlichem Moos.
Das Wandstück zwischen den Dächern ist' mit hellblauen bunt bemalten
Kacheln ^bekleidet. Vier grosse geschnitzte Schilder von
lackirtem Holz, mit Inschriften und dem kaiserlichen Drachen, be