
aclit Uhr Morgens. T s u n - l u e n eröffnete das Gespräch mit der Aeusse-
rung, dass man aus des Gesandten letztem Schreiben in P e - k ix die grosse
Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen erkennen werde. Dann
drehte sich das Gespräch wieder eine Weile um die wichtige Frage,
oh «Handelsbestimmungen« oder ein »politischer Vertrag« zu vereinbaren
wären; nach langem Sträuben versprach T s u n - l u e n auf Basis
des letzteren zu unterhandeln und trug auf Erörterung der einzelnen
Artikel an: da im übersandten Entwurf viele Bestimmungen
dem englischen und dem französischen Vertrage entnommen seien,
deren Fassung nur der Druck des Krieges rechtfertige, so hätten
die Commissare einen neuen Entwurf ausgearbeitet.
Man schritt zuBerathung der einzelnen Bestimmungen; der Eingang
wurde diesmal nur obenhin berührt. Um ein Bild der Verhandlungen
zu geben, möge diese Unterredung hier im Auszuge mitgetheilt werden.
Artikel 1. lautete in des Gesandten Fassung: »Zwischen
den contrahirenden Staaten soll dauernder Frieden und unwandelbare
Freundschaft bestehen. Die Unterthanen derselben sollen in
den beiderseitigen Staaten vollen Schutz für Person und Eigenthum
geniessen, und es soll dabei für einzelne Personen oder Plätze weder
Unterschied noch Ausnahme gemacht werden.«
Dazu bemerkte T s u n - l u e n : Die chinesische„Regierung kann
den deutschen Unterthanen ihren Schutz nur in den vertragsmässig
geöffneten Handelsplätzen gewähren; daher muss der Zusatz wegfallen,
dass für einzelne Personen oder Plätze weder Unterschied
noch Ausnahme gemacht werden soll.
Der Gesandte. Das ist ein Irrthum. . Schutz muss die
chinesische Regierung deutschen Unterthanen, überall angedeihen
lassen. Unter welchen Bedingungen deutsche Unterthanen sich in
das Innere des Landes begeben dürfen, ist im Vertrage besonders
stipulirt, und geniessen sie dort selbstverständlich den Schutz der
Behörden. Der Artikel lautet fast wörtlich wie der betreffende des
französischen Vertrages.
T s u n - l u e n . Das haben wir nur unter Pression bewilligt.
Der Gesandte. Wollen Sie denn die Deutschen überhaupt
nicht in das Innere lassen, und dieselben in die vertragsmässig
geöffneten Häfen einschliessen?
T s u n - l u e n . Das grade nicht; aber der von deiner Excellenz
vorgeschlagene Artikel wegen der Reisen in das Innere und der dabei
erforderlichen Pässe ist unzulässig.
Der Gesandte. Das h a t ja doch mit dem den Reisenden zu
gewährenden Schutz nichts zu thun. Wird ein Reisender an einem
Orte betroffen, wohin zu gehn er kein Recht h a t, so können die
chinesischen Behörden ihn zwar zurückführen, dürfen ihm aber ihren
Schutz nicht entziehen.
T s u n - l u e n . Lässt sich ein Deutscher an einem unerlaubten
Orte hetreffen, so mag er sich selbst schützen; den einzigen Fall
ausgenommen, dass er schiffbrüchig dahin verschlagen wäre.
Der Gesandte. Das wäre ein sonderbarer Freundschaftsvertrag;
Schutz für die beiderseitigen Unterthanen ist ja die erste
und einfachste Bedingung eines solchen.
T su n - l u e n . Die Reisenden müssen doch immer Pässe
haben.
Der Gesandte. Allerdings. Es ist aber in allen Verträgen
durch einen besonderen Artikel ausgemacht, dass Reisende, selbst
wenn sie irgendwo ohne Pass getroffen würden, nicht schlecht behandelt,
sondern höflich zum nächsten Consulat geführt werden,
also auch dann noch Schutz geniessen sollen.
T sun - l u e n . Reisen im Innern müssen immer m it einem bestimmten
Handelszwecke unternommen werden, und dieser muss ausdrücklich
im Passe angegeben sein.
Der Gesandte. Zu dem Artikel über die Pässe kommen wir
später. Hier handelt es sich nur um den Sehutz, der jedem Unter-
than einer mit China befreundeten Nation eo ipso und überall zusteht.
Der russische Vertrag, der doch nicht die Folge einer Pression
ist, enthält diesen Artikel eben so klar.
T s u n - l u e n . Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen
Ghina und Russland sind aber auch uralt.
Der Gesandte. Ich erkläre positiv, dass der Artikel so stehen
bleiben muss, wie ich ihn vorschlug. Wenn Sie fortfahren, mir bei
jedem einzelnen Artikel Zumuthungen zu machen, die sich mit der
Würde meines Landes nieht vertragen, so breche ich überhaupt die
Verhandlungen ab. Mein aus den anderen Verträgen zusammen-
gestellter Entwurf muss die Grundlage der Verhandlungen bleiben,
wenn sie zum Ziele führen sollen. Ihre Art zu verhandeln ist auch
ganz gegen die wohlwollenden Absiohten des Prinzen von Kun,
der mir, wovon Sie garnichts zu wissen scheinen, s e in e Bedenken
gegen meinen Vertrags-Entwurf auf anderem Wege zukommen liess;
sie waren der Art, dass ich fast in allen Puncten nachgeben konnte.