
Die zwischen den Hauptstrassen der Tartarenstadt liegenden
Viertel sind theils von dichtem Häuserlabyrinth, theils von Gärten
und Tempelgründen ausgefüllt. Im Südwesten steht, der Süd-Mauer
der Gelben Sadt gegenüber, eine nach der Unterwerfung von Tur-
kestan unter K i e n - l o n für die nach P e - k in geführte Turkmanen-
Colonie erbaute Moschee.21) Die Strassenfagade ist arabisch, nur
ih r Dachstuhl chinesisch, und, wie die angrenzenden Wohngebäude
der Turkmanen, in baulichem Verfall. Die Nackommen der Eingewanderten,
welche eine Handwerker-Innung im Dienste des Hofes
bilden sollen, haben chinesische Tracht und Sprache angenommen,
scheinen aber dem Islam treu geblieben zu sein.
Einer der grössten Tempel ist der des »Ewigen Friedens»
im Nordosten der Tartarenstadt, auch Tempel der tausend Lamas
genannt, zu welchem ein reiches Klöster gehört. Man wandelt
durch sieben stattliche Höfe mit colossalen broncenen Löwen und
Rauchgefässen von erlesener Arbeit. Der Tempel ist ein riesiges
altes Bauwerk ohne jeden Schmuck, im Inneren sehr dunkel ;- an
den mächtigen Pfeilern hängen schwarze Holztafeln mit tibetanischen
Schriftzeichen. In der Mitte steht ein kleines Götzenbild, davor
ein Altar, auf welchem zur Zeit unseres Besuches Kerzen brannten;
— es war eben Gottesdienst. Die Mönche — wohl sechs- bis achthundert
— sassen in langen Reihen auf niedrigen Bänkchen, kleine
Tische vor sich, und sangen in einförmig tiefem Ton und gemessenem
Rythmus ihre Litanei, an bestimmten Stellen zwei Kieselsteine zusammenschlagend,
welche sie, vielleicht-um wach zu bleiben, beständig
in den Händen hielten. Alle waren in gelbe Gewänder ge
kleidet und hatten ihre einem grossen Achilleshelm gleichende Kopfbedeckung
aus gelbem plüschartigem Wollenstoä vor sich auf den
Tischen liegen; nur die zwischen den Reihen herum wandelnden
Vorsteher trugen ein dunkelrothes Gewand über dem gelben, und
den Wollenhelm auf dem glattgeschorenen Haupte. Sie empfingen uns
sehr freundlich und zeigten das milde ruhige Wesen friedlicher, dem
Leben versöhnter Männer ohne Wünsche und Leidenschaften. Der
ernste feierliche Ton des Gottesdienstes wurde hier nicht, wie in
anderen chinesischen Tempeln, durch profane Eindrücke entweiht.22)
21) S. Ansichten aus Japan, China und Siam. VII.
22 ) Die Engländer fanden bei späteren Besuchen in diesem Tempel noch zwei grosse
Hallen, die wir nicht sahen. In der einen sitzt ein 72 Fuss hoher weiblicher Budda, in
der anderen der Kriegsgott K wan - t i , welchem bei jedem von chinesischen Truppen erfochtenen
Siege der Dank der Regierung i-n der Zeitung von P e - kin ausgesprochen wird.
— Die Mönche bekennen sich zum tibetanischen Lama-Dienst, übersetzen
mongolische und tibetanische Schriften in das Mandschurische
und Chinesische, und drucken die Uebersetzungen in ihrem Kloster,
dessen schöne Gärten ein weites Areal bedecken.
Nah dabei steht im nordöstlichen Winkel der Tartarenstadt
dicht unter der Ringmauer die russische Himmelfahrtskirche — einst
ein chinesischer Tempel — mit dem Missionshause an einem kleinen
See. Ein kahler Hügel in der Nähe bietet einen hübschen Blick
über diesen Stadttheil: P e - k in gleicht von hier einem grossen Garten,
aus dessen Wipfelmeer nur die Stadtthore und die Dächer einzelner
Tempel und Paläste hervorragen. Der Anblick überrascht um so
mehr, als das Gewühl der grossen Strassen durchaus den Eindruck
einer dichtbewohnten Stadt giebt und die hinter den Häuserreihen
versteckten Gärten garnicht ahnen lässt.
Die katholische Cathedrale, eine stattliche Kirche im Jesuiten-
styl, wurde unter Kaiser K a n - g i nah dem Westthor der Südmauer
erbaut, gerieth bei den Christenverfolgungen in Verfall und wurde
erst nach dem Friedensschluss 1860 mit den übrigen Besitzungen
der katholischen Kirche wieder den Franzosen übergeben, welche
das alte portugiesische Wappen von der Fagade entfernten und den
Bau restaurirten. Vor gänzlicher Zerstörung soll sie nur die Intervention
der russischen Missionare gerettet h ab en , welche der chinesischen
Regierung gegenüber Ansprüche auf die Kirche erhoben.
Chinesisch heisst sieNAN-TAN, die Südkirche, im Gegensatz zu der
Nordkirche, P e - t a n , in der Gelben Stadt.
Unter Kan- oi wurde auch die Sternwarte neu eingerichtet
und den Jesuiten übergeben, in deren Händen sie bis zu ihrer Vertreibung
blieb; sie soll unter den Mongolenkaisern gegründet sein
und liegt im Südosten der Tartarenstadt h a rt unter der Ringmauer.
Viele alte chinesische Instrumente, welche denen der Jesuiten Platz
machten, werden noch heute dort auf bewahrt. — Von der Strasse
öffnet sich die schwere wurmstichige Th ü r auf einen feuchten Hof
mit alten Bäumen und verwitterten Gebäuden, wo der Wächter
wohnt; hier stehen zwei Astrolabien und eine äusserst künstliche
Wasseruhr, mit dickem Rost und Grünspan bedeckt. Als Observatorium
diente ein dicker viereckiger Thurm, der, an die Stad tmauer
gelehnt, dieselbe um zwölf Fuss überragt. Oben stehen auf
drei Seiten der Plateform die astronomischen Instrumente: zwei
Himmelssysteme, ein Azimutal-Horizont, ein Sextant, ein Quadrant