
vollgültiges Zeugniss für die Blüthe der chinesischen Kunst unter
K i e n - l o h ; der Styl ist ernst und einfach , die Anordnung klar und
in den Linien harmonisch. Ein verziertes Gesims darüber schliesst
den achteckigen Sockel ab. Oben ru h t der Körper des Denkmals,
eine oben breitere gedrückte Steintrommel mit Figuren in flachem
Relief, auf stufenförmigem Untersatz. Die geringelte Spitze trägt
eine vergoldete Krönung, welche die hohenpriesterliche Haube des
Grosslama darstellen soll. Zierliche- Geländer umgeben den Unterbau,
vor welchem neben der Freitreppe zwei Löwenthiere sitzen.“8)
Das Ganze ist zu willkürlich erfunden, zu sonderbar gegliedert,
um beschrieben zu werden; der rechtwinklige Grundriss wechselt
in den verschiedenen Stockwerken ohne Grund und Nothwendigkeit
mit dem achteckigen und dem runden; man findet kaum Namen
für die einzelnen Theile. Architectonische Schönheit zeigt das Monument
nur in einzelnen Verhältnissen der Profilirung und im Ornament.
Trotzdem wirkt der typisfthe Charakter mächtig. Die Stein-
metzärbeit ist vollendet: in haarscharfer Modellirung hebt sich das
phantastische Ornament vom blauen Himmel ab, der grobkörnige
Marmor glitzert wie frischer Schnee durch den düsteren Hain.
Am 18. September unternahm Frau von Bourboulon einen
Ausflug nach dem nahen Gebirge. Früh um sechs Uhr brach man
auf; der Weg ging durch den westlichen Theil der Tartarenstadt.
Aus dem Th o r tritt man fast unmittelbar in die ländliche Flur;
Vorstädte giebt es auf dieser Seite kaum. Der breite sandige Weg
fü h rt, an den Rändern mit Gebüsch und Bäumen — namentlich
Sophora japonica — bestanden, durch Felder von Hirse, Mais, Sesam
und Hülsenfrüchten. Nördlich liegen. die Hügel von Y u a n -
m in - y u a n , hinter welchen das im Halbkreis gelagerte Gebirge in
die blaue Feme verschwimmt. — Wohlhabende Dörfer und Tempel
unter schattigem Wipfelgrün säumen vielfach die Strasse. Gegen
zehn erreichten wir, nach gemächlichem Ritt, den Fuss des Gebirges,
wo die Pferde zurüekblieben. Hier liegen nun,die sanften
Hänge hinauf Dorf an Dorf und Tempel an Tempel, -in grüne
Gärten gebettet. E rst führte der Weg durch lichte Waldung von
Kiefern und Lebensbäumen; dann nahm uns eine Tempelterrasse
S. Ansichten aus Japan Chipa und Siam VIII. '
auf, von der man auf breiter Freitreppe zu einer zweiten und so
weiter von Tempel zu Tempel stieg. Ihre Mittelgebäude pflegen
den.goldenen Holzgötzen und das übliche Opfergeräth zu bergen;
auf den Seiten liegen, um Höfe und Gärten gruppirt, viele uüregel-
inässige Gebäude, welche die Bonzen theils bewohnen, theils an
Sommergäste vermiethen. Der Ertrag der freundlichen Gartenhäuser,
wo der wohlhabende Städter die heissen Monate in frischer Luft
und ländlicher Stille "verlebt, fliesst in die Taschen der höflichen
Mönche, die ein hübsches Dasein gemessen. Bei einer reizenden
Anlage dieser Art, dem Tempel des Drächenkönigs -s^sL ö n -w a n - tan
— etwa 600 Fuss über der Sohle des Gebirges, machten wir Ha lt; die
Priester räumten gefällig ein hübsches reinliches Zimmer ein, wo das
mitgenommene Frühstück verzehrt wurde. Vom umränkten Altan sah
man in ein schattiges Höfchen hin ab , wie es in Toscana nicht schöner
zu finden ist; dort sprudelt unter mächtigen Pinien und Lebensbäumen
ein klarer eisiger Quell in ein Becken mit Goldfischen, gesäumt
von reizenden Farren; Glycine chinensis und andere Ranken
decken alle Wände, Stämme und Pfosten. Harmonisch und angenehm
wirken sogar die bei aller Einfachheit-in jedem Zollbreit echt
chinesischen Gebäude. Wo ein Baustyl, allen Schmuckes entkleidet,
dem Bedürfniss einfacher Lebensverhältnisse ohne Mangel und
Ueppigkeit dient, erkennt man erst seinen W e rth : alle chinesischen
Bauten dieser Art beweisen aber in den leicht geschwungenen Dachlinien,
der Raumvertheilung an den Wänden, der Profilirung des
Gebälkes, der Pfosten und Einfassungen die harmonische Durchbildung
der Verhältnisse einer in sich vollendeten Gattung. Mit
der Baukunst höher begabter Völker kann sich diese eben sowenig
messen, als überhaupt die chinesische Cultur mit der europäischen;
sie entspricht aber der gereiften Durchbildung ihrer gesunden Elemente.
— So zeigen die ländlichen W ohnungen dieser Priester, die
ein beschauliches, mässiges Leben führen, einen gleich poetischen
Sinn für die Na tu r, wie ähnliche Anlagen in Italien, wo man deren
lebendigen Elemente der Architectur so reizend einzuordnen und
dienstbar zu machen wusste.
Nach dem Frühstück stiegen wir weiter den Berghang hinauf,
zunächst über mehrere Tempelterrassen. Die Abwechselung,
welche die Chinesen auch in diese Anlagen zu bringen wissen,
ihre meisterliche Benutzung des Raumes und der Bodengestalt
für landschaftliche Wirkung wecken Bewunderung. Der daraus