
gekommen sein, an deren Stelle sieh die Tartaren innerhalb der
Ringmauer ansiedelten. Die neuere Chinesenstadt wurde südlich
an jene ältere, je tz t die Tartarenstadt angebaut und ebenfalls mit
einer Mauer umgeben. Der ganze Umkreis soll etwa 1% Meilen betragen.
Vier Thore, die noch heute zur Nachtzeit geschlossen
werden, führen aus der Chinesen-Stadt in die tartarische. —
Bis zum zweiten englischen Kriege war K an- ton der blühendste
Stapelplatz des fremden Handels; auf weitem Landwege kamen die
Ausfuhr - Artikel durch das rauhe Me i - l in - Gebirge aus den entferntesten
Gegenden. Durch Freigebung der nördlichen Häfen und
der Schiffahrt auf dem Y a n - t s e - kian gelangen je tz t die Erzeugnisse
der nördlichen Provinzen auf bequemeren und kürzeren Wegen
in die Hände der Iremd en ; K a n - ton wird sich zur alten Bedeutung
kaum wieder erheben.
Auf dem Uferstreifen südlich von der Stadt waren noch die
Grundmauern der verbrannten Factoreien, die Wege und Rasenplätze
der davorliegenden Gärten sichtbar. Die Stelle, wo Yi’s
Palast stand, hatten die Franzosen ..mit einer Mauer umschlossen;
eine Kirche und ein Missionshaus sollten dort gebaut werden. Der
zur neuen Ansiedlung der Fremden bestimmte Platz am Fluss in
der Nähe der alten Factoreien war mit einem Quai eingefasst. Vor
etwa drei Wochen hatten die englischen Truppen K a n - ton geräumt,
wo den ganzen Krieg durch, so gut wie-in S hang- hae, der
fremde Handel ungestörten Fortgang nahm. Die nähere Berührung
mit den Bewohnern während der langen Occupaiipn trug die heilsamsten
Früchte: ihre alten Vorurtheile schienen überwunden, der
eingewurzelte Fremdenhass völlig ausgerottet. Ueberall begegneten
sie den Fremden mit Höflichkeit und Vertrauen, auch die Haltung
der Behörden liess nichts zu wünschen übrig. Die Deutschen in
K a n - to n , besonders der preussische Consul, wünschten lebhaft,
dass der Gesandte mit dem Vicekönig Lu in Berührung träte; der
Prüfung von 8500 Candidaten wegen hatte sich Dieser jedoch seit
vierzehn Tagen in dem dazu bestimmten Gebäude eingeschlossen
und wollte einige Zeit ungestört bleiben.
Die Bevölkerung von K a n - ton und den Vorstädten soll über
eine Million betragen. Seine Gassen sind düster und winklig, hier
und da so eng, dass man in der Mitte stehend mit beiden Händen
die Häuser berühren kann, für eine chinesische Stadt aber auffallend-
reinlich. » Nach früheren Schilderungen zu urtheilen, muss die
grössere Sauberkeit eine Folge der Occupation sein; die englische
Polizei soll mit unerbittlicher Strenge darauf gehalten haben.
Die Bewohner sehen schmuck und wohlhabend aus, alle Bettler
und Krüppel scheinen auf den Fluss verbannt. »¿A Den Süden
merkt man in den kühlen schattigen Gassen der Chinesenstadt auf
Schritt und T ritt; ihre Häuser sind von Backstein, ohne anderen
Schmuck als die dichtgedrängten Ladenschilder. Die Kaufläden
empfangen ihr Licht von den Strassen und der Hofseite, der ganze
Waarenvorrath ist darin zur Schau gestellt. Den buntesten Anblick
und eine reichere Auswahl, als irgendwo in China, bieten die
Porcelan-Handlungen, wo Alles dem Bedürfniss der Fremden angepasst
ist. Wie in Japan stehen hier vollständige Tafelservice zu
Kauf, aber auch schöne Gefässe von landesüblicher Form. Dem
alten kann sich das heutige chinesische Porcelan nicht entfernt
vergleichen; das Geheimniss der Farben unter der Glasur
scheint verloren zu sein; die Malerei ist bunt, überladen und con-
ventionell, ohne künstlerischen Werth. Zwar wechselt die Mode
beständig, bringt aber nichts Neues und Eigenthümliches mehr.
Auch die Masse des Porcelans soll sich verschlechtert haben. __
Die Elfenbein-, Schildpatt- und Perlmutterarbeiten gleichen den in
H ong-Kong verkauften, nur sind die Lager von K a n - ton viel reichhaltiger.
Von hoher Meisterschaft in der Kunstfertigkeit des
Schnitzens zeugen besonders die Möbel in K a n - to n : die meisten
Stücke sind dem europäischen Gebrauch angepasst, aus chinesischem
Ebenholz sehr reich und prächtig gearbeitet, mit vollem und
durchbrochenem Ornament von höchster technischer Vollendung.
In den Seidenläden findet man schwere geblümte Möbelstoffe
von grösser Schönheit und Crêpe de Chine-Tücher mit prachtvoller
Stickerei.
In der Tartarenstadt sind die Kaufläden seltener, die Strassen
stiller als in der chinesischen, ihr nördliches Ende lehnt sich an
eine Anhöhe. Auf dem höchsten Puncte steht in der Flucht der
Ringmauer die »fünfstöckige Pagode«, ein breites Tempélgebâude
von alterthümlichem Aussehn. Hier warf 1841 der alte Ya n - fan
dem englischen Commandeur seine goldenen Armspangen hinab und
bo t den Frieden. Auf dieser Seite stürmten die Truppen der Verbündeten
auch im December 1857.4S) Der Hügel beherrscht die
ganze Stadt, die von hier aus einem Meer grauer Dächer gleicht;
I f S. Ansichten aus Japan, China und Siam VHI.
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