
sind dunkel und mit sicheren Daten der siamesischen Geschichte
kaum vereinbar. — Zu Anfang dieses Jahrhunderts scheinen die
regelmässigen Gesandtschaften aufgehört zu haben; gelegentlich
gehn noch je tz t siamesische Königsboten mit reichen Gaben nach
P e - k in und müssen natürlich vor dem Kaiser das K o - t o vollziehen;
ein Verbältniss wirklicher Abhängigkeit scheint trotzdem niemals
bestanden zu haben, sondern nur die Unterthänigkeit des geringeren
Mannes gegen den vornehmeren.
Eine Engländerin, Mrs. Leonowens, die gleich nach unserer
Abreise als Gouvernante der Königskinder in den Dienst des alten
M a h a - monkut tra t und trotz aller Schwierigkeiten mehrere Jahre
darin ausharrte, ist tiefer in die Geheimnisse des Palastes gedrungen,
als irgend ein Fremder. Ihre Mittheilungen tragen ungeachtet
mancher Schwankungen des Urtheils durchaus den Stempel der
Treue, und ergänzen die Anschauungen, die sich uns aufdrängten,
zu einem so deutlichen Bilde, dass sie kaum davon zu trennen sind.
So möge denn hier unter Benutzung dieser ergiebigen Quelle über
den siamesichen Königshof Einiges nachgetragen werden, das im
Bericht unserer Erlebnisse keinen Platz fand.
Der Gelehrsamkeit und des reformatorischen Strebens des Königs
wurde schon früher gedacht; er erwarb sich während seiner
Priesterschaft die eingehendste Kenntniss der in Sanskrit und Pali
geschriebenen heiligen Bücher der Brahminen und Buddisten, com-
pilirte aus letzteren eine Liturgie für den Tempeldienst und schrieb
eine Abhandlung, die auf den Beweis ausgehen soll, dass Befreiung
von allen selbstsüchtigen und fleischlichen Leidenschaften das hohe
Ziel des Buddismus sei. E r gründete eine neue Theologenschule,
die den Buddismus von allen Zuthaten des Aberglaubens zu befreien
und auf seinen ethischen Grundlagen eine keineswegs atheistische
Glaubenslehre aufzubauen strebte. Der König glaubte an das Gesetz
der Vergeltung, Seelenwanderung, ein endliches N ip h a n oder
N ir w a n a , mit dem er den Begriff der Seligkeit verband, widerstrebte,
wie er sich ausdrückt, »nur dem Begriff von Gott als ewig
wirkendem Schöpfer, nicht demjenigen einer Göttlichkeit als erstem
Urquell, aus deren Gedanken und Willen alle Formen des Bestehenden
flössen«, und kämpfte vor Allem gegen den Glauben an wunder -
thätige Einwirkung auf die Gesetze der Natur. Ueber die Klarheit
und Berechtigung dieser Anschauungen soll hier nicht abgesprochen
werden; sie zeugen wenigstens von selbstständigem Denken und
Streben nach Wahrheit. — M a h a - monkut schätzte die ethischen
Grundlagen des Christenthumes, verlachte aber die historischen,
und erwiederte einst in ‘komischem Eifer einem americanischen
Missionar, der ihn bekehren wollte: »I hate the bible mostly.« —
Einem anderen sagte er: »Ihr dürft nicht glauben, dass Einer von
uns jemals Christ wird, denn wir können keine Religion annehmen,
die wir für albern halten.« Die göttliche Natur Christi, das göttliche
Wunder der Empfängniss, durch welches das alle Formen
des animalischen und vegetabilischen Lebens durchdringende Gesetz
der Zeugung als unheilig gebrandmarkt- werde, waren ihm
Gräuel. Viel grösser als der christliche Gott - Heiland schien
ihm Budda, weil er aus m e n s c h l i c h e r Kraft im eigenen Hetzen
nach der reinsten Menschlichkeit strebte, die nur eine Form
der Göttlichkeit sei; weil er durch fromme Betrachtung die
menschlichen Leidenschaften überwunden und göttliche Weisheit
erlangt habe.
Auf des Königs Charakter scheinen seine TJeberzeugungen
wenig Einfluss geübt zu haben; Mrs. Leonowens schildert ihn als
launischen, selbstsüchtigen Tyrannen, der an reine Gesinnung nicht
glaubte, jeden Menschen für käuflich hielt und seine Zwecke auf
jede Weise zu erreichen suchte. Tugend und Ehrlichkeit seien
Chimären, die Richtschnur des reinen Bewusstseins verfolge kein
Mensch, Geld sei das einzige Streben; das waren die ausgesprochenen
Ansichten des von kriechenden Sclaven umgebenen Despoten,
auf dessen Schätze Tausende speculirten. Mrs. Leonowens gesteht
aber, dass er gegen Leute, die ihm Achtung einflössten, redlicher
war als seine Grundsätze, dass er oft in wichtigen Fällen die Tiefe
des Verstandes, Klarheit des Urtheils und den echten Edelmuth
practisch bewies, dje seine ethischen Theorieen bedingten. Seine
Kinder,¡i&si Mrs. Leonowens, die, wie gesagt, kurz nach unserer
Abreise kam, fand schon siebenundsechzig vor, — behandelte der
König beständig mit der äussersten Zärtlichkeit, und spielte mit
ihnen, als ob er selbst eines wäre. Die älteste legitime Prinzessin,
ein auffallend schönes Mädchen mit sanften träumerischen Augen
war sein auserwählter Liebling; als sie im Mai 1863 wenig über
acht Jahre alt an der Cholera starb, schrieb der König an Graf