
unsaubere Gestalten. Wehe dem, der einer Sänfte oder einem
Leichenzuge begegnet; er muss umkehren oder sich in die Häuser
drücken. Die Vermögenden werden mit Gepränge bestattet; ein
bunter Haufen schreitet voran, Stangen mit Emblemen, Fahnen,
Elitterkronen und reichgestickt» Baldachine tragend; dann folgen
Musikanten mit Becken, kleinen Trommeln und Gongs, Dudelsäcken
und riesigen Hörnern, welchen gedehnte Trauerklänge entlockt
werden; bei aller Dissonanz wird ziemlich rythmisch gespielt. Den
mit Seidenzeugen verhängten Sarg tragen wohl zwanzig Männer
auf einer Bahre; dahinter folgen die Leidtragenden weissgekleidet
in weiss bezogenen Sänften.
Wo ein Plätzchen frei ist auf der Strasse, sitzt ein Höker
mit Leckereien und einem Glücksspiel; denn die Chinesen sind
eingefleischte Spieler. Das Kind, das einen Heller zu vernaschen
h a t, wagt unfehlbar den wahrscheinlichen Verlust, in der Hoffnung,
über seinen W e rth zu gewinnen. Zuweilen ist es eine Drehscheibe
nach Art des Roulette, gewöhnlich aber ein Becher mit Holzstäben,
ähnlich den Orakelbechern auf den Tempelaltären; am unteren Ende
der Loos-Stäbe steht das Schicksalszeichen. Der Hang zu Glücksspielen
lebt in allen Volksclassen: zu heissen Tagesstunden findet
man in schattigen Winkeln Haufen zerlumpter Bettler, leidenschaftlich
in ihre schmutzigen Karten v ertieft;'o ft setzt es da wüthenden
Zank und Schlägereien. — Das furchtbare Elend, das iD T i e h - t s in
allerwärts zu Tage hegt, veranlasste die englischen Officiere zu
einer Geldsammlung; 900 Dollars kamen zur Vertheilung, bei
welcher mehrere Empfänger erdrückt und zertreten, andere Von
leer ausgehenden Bettlern erschlagen wurden. Dem Nothstand ist
nicht zu steuern, und das Uebergewieht des besitz- und obdachlosen
Proletariates ist für China eine Gefahr, die bei der kleinsten E rschütterung
an das Licht tritt; die Executive wäre nimmer fähig,
diese Massen im Zaum zu halten, wenn sie ihre Kräfte kennten,
bewusste Zwecke und tüchtige Führer hätten. — Es giebt in China
verschiedene Classen von Bettlern. Den vornehmsten Rang behaupten
die rüstigen, gesunden, die-wohl Kraft aber keine Lust haben
zur Arbeit; sie leben in Banden, stehlen — und morden vielleicht
— wo sie können, und beschliessen oft ihre Tage unter Henkers
Hand. Zuweilen sammelt sich solche Schaar vor einem Kaufladen,
verstopft den Eingang, hämmert mit Steinen und Stöcken
auf den Ladentisch oder stimmt ein klägliches Geheul a n , und lässt
keine Käufer durch, bis der gefolterte Krämer sie abfindet. — Die
Wittwen mit vaterlosen Waisen, deren Verwandtschaft wohl nicht
immer zu beweisen wäre, bilden eine andere Gattung; ferner
die Alten, Kranken, Blinden, Lahmen und Verwachsenen, die theils
wirklich Mitleid verdienen, theils ihre Schäden künstlich erzeugen
und pflegen. Dann giebt es Erz äh le r, Sänger und Citherspieler, —
die vielfach blind, durchgängig aber reinlicher und besser gekleidet
sind als die anderen Bettler.
Abends brennen vor Läden und Schenken bunte Laternen;
die Bewohner sitzen schwatzend in den T h ü ren ; das lärmende
Treiben hat aufgehört, und die Gassen machen, in mildes Dämmerlicht
getaucht, den behaglichsten Eindruck. Hier und da versammeln
sich Gruppen um einen Erzähler, der, hinter beleuchtetem
Tische stehend, seine gemessene Deelamation mit emphatisch
graziösen Fächer-Schwenkungen begleitet: man h ö rt ihm andächtig
zu. .
Die ärmeren Classen bewohnen niedrige Häuser aus Lehm
und Holz, theils mit Ziegeln, theils mit Stroh gedeckt, über welchem
eine dicke Lage geglätteten Lehmes liegt; ein Obergeschoss
haben nur wenige. Es giebt auch flache Dächer aus grauem mit
Asphalt gemischtem Mörtel. In den besseren Gassen ist jedes Haus
ein Kaufladen: geschnitzte, vergoldete, gemalte Schilder mit Inschriften
, Ladenzeichen und Emblemen bieten dicht bei einander hängend
den buntesten Anblick; zuweilen stehen hohe Steinpfeiler, das Dach
um das Doppelte überragend, vor den L ä d e n e l e g a n t ge-
meisselten Schriftzeichen und einem Zierrath auf der Spitz,e, der ein
niedliches Häuschen darstellt. — Die besten Kaufläden lagen in der
Hauptstrasse der nordöstlichen Vorstadt; da gab es Kramläden aller
Art, Seiden-, Gold-, Pelz-, Schuh- und Kleiderläden. In letzteren,
wo meist gebrauchte .Kleider verkauft wurden, war fast beständig
Auction; eine gaffende Menge pflegte davor zu stehen; der Ausrufer
hatte einen grossen Kleiderhaufen neben sich liegen, hob, mit lauter
Stimme den Preis hinausschreiend, ein Stück nach dem ändern
in die Höhe und legte es, wenn Niemand bot, auf einen anderen
Haufen. So ging es Tag für Tag, und so kam, obgleich nur Einzelnes
gekauft wurde, wohl an jedes Stück einmal die Reihe.
Mehrere dieser Handlungen liegen oft nebeneinander, und die Ausrufer
trachten einander zu überschreien. Auch Zopfläden giebt es
in dieser wie in allen belebten Strassen chinesischer Städte; denn