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Mir fcheint keine diefer Meinungen die wahre zu feyn.
Für die ganze Made, der Sehehügel des Säugthiergehirns können jene
Halbkugeln ihrer Lage und iunern Bildung nach um fo weniger gelten,
da es, wie Ti ed emann mit Recht erinnert hat, zwilchen den Leyden
vordem Hemisphären des Vogelgehirns noch die zwey andern, von mir
die Schenkel der hintern Hemisphären genannten Theile giebt, welche
ihren äufsern Verhältnifsen und ihrer Geflalt nach mit den Sehehügela
der Säugthiere Aehnlichkeit haben. Aber auch mit den Vierhügeln
kommen die hintern Hemisphären keinesweges überein. Gai l hat für
feine Meinung keine andere erhebliche Beweife angeführt als die, dafs ans
jenen Halbkugeln eben fo bey den Vögeln, wie aus dem vordem Paar der
Vierhügel bey den Säugthieren, die Sehenerven entfpringen, und dafs fie
eben fo wie diefe zwifchen der hintern CommiiTur und der Hirnklappe
liegen. Diefe Gründe haben felbft feine Gegner t) gelten laffen, und doch
ift keiner derfelben der Wahrheit ganz gemäfs. Es ift unrichtig, dafs die
Sehenerven der Säugthiere blos, oder auch nur vorzüglich ans dem Vordem
Paar der Vierhügel ihren ürfprung nehmen. Sie emftehen, wie ich
in der Folge näher zeigen werde, zunächft auf dem Organ, wovon alle
frühere Zergliederer die Enthebung derfelben ableiteten, auf den Sehehügeln.
Nur foviel ift wahr, dals fich mit den Markfäden, die zu ihnen
von diefen Theilen gehen, Fafern der Vierhügel verbinden, und dafs die
Fafern, woraus fie gebildet werden, fich auf der G.änze zwifchen den
Seheljügeln und dem vordem Paar der Vierhügel zu gröfsern' Bündeln
vereinigen. Was die Lage der hintern Hemisphären betrifft, fo .ilt diefe
T e n o n , P o r ta i, S a b a tie r , I> Inel und C u v ie r. Rapport fait à lTnftltut
for un Mdm. de M. M, G all et S p u rz h e im , In den Annales du Muf. d’Hift
nat. T. XI, p. 357.
nicht ganz, fondern nur zum Theil hinter der hintern Commiffur. Ti ed e mann’
s Meinung beruhet auf Gründen, die von der Bildung der Vierhügel
beym menfchlichen Foetus hergenommen find. „Die vermeintlichen
„Sehehügel,“ fagt diefer Anatom f) ,-,entfpreehen unverkennbar der Lage
„nach den Vierbügelgebilden im menfchlichen Foetus; auch liegen fie,
„wie im Foetus, bis zum fünften Monat nackt und unbedeckt; fie find
„fehr grofs, abgerundet und glatt, wie im Foetus der frühem Zeit; fie
„enthalten eine Höhle, welche mit der Sylvifchen Wafferleitung in Verbindung
fleht, wie im Foetus; fie belieben aus Markfafern, welche, von
„den Seiten des Rückenmarks fich erheben, fich nach innen umfchlagen,
„und fich durch ein dünnes Markblatt verbinden;.: diefen Markfafern ift
„eine Schichte grauer Subftanz beygemifcbt.“ Gegen diefe Analogie läfst
fich Manches erinnern. Die Lage der hintern Hemisphären des Vogel-
gehirns ift doch im Grunde fehr verfchieden von der der Vierhügel nicht
nur beym Foetus des Menfehen, fondern auch bey allen übrigep Säng-
thieren. Sie liegen weiter von einander entfernt, als irgend eine, von den
Säugthieren entlehnte Analogie anzunehmen geftattet, dafs die Vierbügel
beyder Seiten von einander rücken könnten. Hierzu kömmt, dafs die
Vierhügel des Foetus ip den eilten Monaten feiner Ausbildung noch weiter
nichts als zwey umgebogeue Lamellen find. t). Wenn man alfo von dem
Gehirn des menfchlichen Embryo auf das der Vögel fcbliefsen darf, fo
wird man bey diefen die Vierhügel vielmehr in der Gefialt einer Lamelle,
als in der Form zweyer Halbkugeln zu finden erwarten dürfen.
f) A. a. O. S. 122.
t) T ie d em a n n a. a. O..S. I l5.