
132 Gute Eigenschaften der Japaner. Ihr Verhältniss zu den Ausländern.
aufopfernder Freundschaft' ” ) und Nächstenliebe, des feinsten Ehr-
und Pflichtgefühls, der rührendsten Selbstverleugnung finden. Wenn
sie den Fremden gegenüber misstrauisch geworden sind, und sie oft
mit Argwohn und Trug behandeln, so tragen diese selbst den grössten
Theil der Schuld, wie die Holländer vielfach eingestanden haben.
Diese haben sich freilich während ihrer zweihundertährigen Gefangenschaft
auf D e s im a viele Unbilden und Kränkungen von der
japanischen Regierung und besonders von den Beamten gefallen
lassen müssen, durch welche sie beaufsichtigt wurden; — sie klagen
bitter über deren Willkühr, Härte und Unredlichkeit, und über die
starre Tyrannei der kaiserlichen Regierung, welche sich in den letzten
Jahren auch gegen die Vertreter der übrigen westlichen Nationen
vielfach unzuverlässig und zweideutig gezeigt hat; — wenn man
aber auf der anderen Seite das Benehmen der holländischen Factoreibeamten
betrachtet, die sich vom höchsten bis zum niedrigsten
an dem verbotenen Schleichhandel und anderen Ungesetzlichkeiten
betheiligten, und durch die schärfsten Verweise und die schmachvollste
Behandlung nicht davon abhringen liessen,' wenn man ferner
bedenkt, welche Verlegenh eiten der Fremdenverkehr der japanischen
Regierung besonders seit 1858 bereitet hat,. — so ist kaum zu verwundern,.
dass sie die Holländer zu Zeiten als Nichtswürdige behandelte,
und dass sie die Fremden heutigen Tages als ihre Feinde
ansieht. Gegen den Feind aber, und zur Erreichung ehrenhafter
und patriotischer Zwecke ist nach japanischen Begriffen jede List,
Verstellung und Lüge erlaubt. — Gegründet sind die vielen Klagen
der europäischen Kaufleute über die Unzuverlässigkeit der japanischen
im Handelsverkehr, aber es wäre Unrecht ein Volk nach
derjenigen Classe zu beurtheilen, die von ihm selbst am geringsten
geachtet wird. Eine gewisse Verschlagenheit und Vorsicht hat sich
in Folge der allgemeinen Verantwortlichkeit bei allen Japanern aus-
aebildet; dass aber — und nicht allein unter den höheren Ständen — Ö . 7
Redlichkeit, Treue, Ehrenhaftigkeit, Selbstverleugnung, Herzensgüte
und Grossmuth sehr verbreitete Tugenden sind, hat sich in
hundert Fällen gezeigt, wo Europäer mit Japanern in näheren und
dauernden Verkehr getreten sind. Der Grad der Gesittung eines
Volkes sollte niemals nach vereinzelten Thatsachen beurtheilt werden,
sondern nach seinem Ideal, nach dem Maassstabe von Tugend
und Laster, von Ehre und Schande, der bei seinen Besseren gültig
133) Treue unter Freunden bis in den Tod rühmt schon Caron an den Japanern.
und anerkannt ist. Bei solcher Rechnung würde man die Japaner
trotz manchen uns unbegreiflichen Verirrungen der Anschauung auf
eine hohe Stufe stellen müssen.
Dass sie in hohem Grade intelligent, thätig, energisch und
arbeitsam sind, haben auch ihre Widersacher zu allen Zeiten anerkannt.
Ueberall im Lande sieht man Leben und Bewegung; auf
den Strassen, den Feldern, in den Werkstätten herrscht unermüdliche
Rührigkeit. Das Land ist wie ein Garten, jedes Fleckchen
urbar gemacht, der Anbau zieht sich bis hoch auf die Gebirge.
An Körper und Anzug sind alle Japaner auf das äusserste reinlich,
und in Folge des täglichen Badens, der unablässigen Bewegung in
frischer Luft und vielfacher körperlicher Uebungen in hohem Grade
abgehärtet, kräftig und gewandt. Sie sind allem Anscheine nach
ein gesundes und glückliches Volk, das der Fremden sehr wohl
hätte entbehren können.
Ob die japanische Nation den Beruf hat, durch Berührung
mit der europäischen Civilisation sich auf eine neue und höhere
Stufe der Gesittung zu schwingen und eine Stellung in der Weltgeschichte
einzunehmen, muss die Zukunft lehren; die alten Zustände
sind mit der Zulassung der Europäer unverträglich, und
werden durch ihren Einfluss eine gründliche Umbildung erfahren,
ob auf friedlichem oder gewaltsamem Wege lässt sich nicht voraussehen.
— Der beste Beweis für das Steigen der Landescultur unter
dem Abschliessungssystem ist, dass, während Japan im Anfänge
des siebzehnten Jahrhunderts der Einfuhr vom Auslande bedurfte,
während J y e y a s den Fremdenverkehr durchaus nicht missen wollte,
jetzt das Land alle seine Bedürfnisse selbst erzeugt, und noch grosse
Quantitäten auszuführen fähig is t; dass es den Holländern von Jahr zu
Jahr schwerer wurde, den Handel mit Vortheil zu betreiben; dass,
während früher Waaren importirt, und fast nur Metalle ausgeführt
wurden, jetzt schon seit lange das Verhältniss sich umgekehrt hat,
indem fast nur Landesproducte exportirt und von den Europäern
mit baarem Silber bezahlt werden.