
I k e g a m i .
Am Rande dieser Ebene liegt das Dorf I k e g a m i unter einer
dicht bewachsenen Anhöbe. Oben steht zwischen mächtigen Bäumen
ein grösser Tempel mit vielen Nebengebäuden und seitwärts davon
das mehrstöckige Mausoleum eines T a ik ü h mit anderen Grabmonumenten
der Eamilie M in a m o t o ; der Ort ist grün und schattig.
Unten im Dorfe führt eine breite Strasse auf das erste am Fusse
des Hügels gelegene Thor zu, daneben steht ein hoher,inscribirter
Denkstein und eine Gebetsäule. Man überschreitet eine Brücke und
steigt dann die hohe von dichten Baumwipfeln beschattete Treppen-
. flucht mehrere hundert Stufen zu dem zweistöckigen Haupt-
portaThinan, das sich auf einen breiten Platz öffnet. Die gegenüberliegende
Seite nimmt der Tempel selbst ein, rechts und links
liegen kleinere Gebäude von reicher Iiolzarchitectur, darunter das
Glockenhaus, eine offene von geneigten Holzsäulen getragene Halle,
in deren Mitte die reichverzierte Glocke hängt. Sie hat keinen
Klöpfel, sondern wird vermittelst eines in wagerechter Schwebe an
Ketten aufgehängten Holzbalkens angeschlagen, den man nach Art
der antiken Mauerbrecher zurückzieht und dann loslässt; dieses
Gerüst steht ausserhalb hinter dem Glockenhause. Auch kleinere
Glocken werden in Japan mit hölzernem Hammer geschlagen, niemals
mit metallenem Klöpfel: der so erzeugte Klang ist nicht so
hell, aber voller, weicher und nachhaltiger als bei unseren Glocken.
Als wir den Tempelgrund von I k e g a m i zum ersten Male
besuchten, eilten die Bonzen herbei und zogen Seile über die Weo'e
zu den geheiligten Grabstätten, zeigten sich aber sonst freundlich
und dienstfertig. Die ganze Dorfbevölkerung kam herauf, die Kinder
stürzten sich auf die Seile der muschelförmigen Gongs über den
Tempelthüren und begannen aus Leibeskräften zu läuten; der Jubel
wollte kein Ende nehmen als der Gesandte blanke Metallknöpfe,
welche die Japaner sehr heben, unter die Menge auswarf. Der
Tempel selbst war verschlossen; hinter demselben liegt ein weitläufiges
Gebäude, die Wohnung der zahlreichen Priester, welche
bei späteren Besuchen viel zugänglicher wurden; doch bedurfte es
einer besonderen Erlaubniss der Regierung, um hier photographiren
und zeichnen zu dürfen. ^ Die dichten Gehölze der ausgedehnten
Anlage bestehen aus Tannen, Cryptomerien und anderen Nadelhölzern;
die hochstrebenden Stämme bilden düstere Alleen, aus denen
man seitwärts im schattigen Gebüsch Grabmonumente von schönem
Bronzeguss gewahrt; die Stimmung ist ernst und feierlich. Der
südliche Abhang der Höhe bietet reiche Aussichten auf das Dorf
und die fruchtbare Ebene.
Von I k e g a m i gelangt man westlich über Hügelreihen nach
einem kleinen Landsee, der sich im Herbst mit Tausenden wilder
Enten bevölkert; auch hier und im weiten Umkreise von Y e d d o darf
ihnen Niemand nachstellen. Die Landschaft ist reich an gefiederter
Staffage, namentlich Reihern und Kranichen, die bedächtig im
Sumpfe der Reisfelder watend den Fröschen und Fischen lauern;
im Winter treiben sich dort ganze Schaaren wilder Gänse herum,
die Bauern sollen sie zuweilen mit Angeln fangen, Am Landsee •
von S e n z o k o liegen wieder stattliche buddistische Tempel und gegenüber
unter himmelhohen Cryptomerien versteckt eine bescheidene
M i a , deren Gegenwart nur das rothe hölzerne T o o r i 12) am Ufer
verräth. Einige ländliche Theehäuser sind malerich an das Wasser
gebaut, in dem sich von allen Seiten grüne Wipfel spiegeln, — der
Ort hat etwas überaus liebliches und friedliches und wurde häufig
das Ziel unserer Ritte. Der directe Weg nach Y e d d o führt über
das früher beschriebene Hügelland, durch Dörfer, Hohlwege und
Bambusgehölze.
Am 2 8 . September machten wir einen Ausflug nach dem 28. Septbr.
nordwestlich von Y e d d o gelegenen Dorfe O d s i , einem beliebten
Vergnügungsort mit eleganten Theehäusern. Der Gesandte hatte
dazu mehrere Officiere von den Schiffen eingeladen, so dass unsere
Cavalca.de mit zehn JAKUNmen aus dreissig Reitern bestand. Es
regnete am frühen Morgen, klärte sich aber auf, als wir gegen
neun Uhr abritten; der Tag blieb nebelig mit gelegentlichen Sonnenblicken,
die Luft war milde und angenehm. Heusken führte uns
zunächst durch die südwestlichen Vorstädte und durch ländliche
Gegenden, dann nach der westlichen Ecke des S o t o - S i r o , - das
wir nach Norden durchschnitten, ^ B p j an ¿ en Palästen der
12) Tooei heisst ein Portal aus zwei gegeneinander geneigten Säulen, die oben
durch zwei Queerbalken verbunden sind. Man findet es bei den meisten japanischen
Tempeln, bald gross, bald klein, von Holz, lackirt oder kupferbesdhlagen, häufig
auch von Stein. Zwischen den Queerbalken ist zuweilen eine Tafel mit dem Namen
des Tempels angebracht. Die Form des T o o r i ist unveränderlich und durch hohes
Alter sanctionirt; die geneigten Säulen, die Schweifung des oberen und die auch bei
steinernen Portalen dieser Art vorkommenden Keile am unteren Queerbalken beweisen,
dass ihre Form ursprünglich auf der Holzconstruction beruht. S. »Ansichten aus
Japan, China und Siam« Blatt 1 und 5.
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