
3. August
1860.
Singapore erst um acht Uhr Abends erreichte. Trotz dem hellen
Mondlicht konnte die Flagge nicht erkannt werden, und auch die
Reisenden bemühten sich vergebens unter den rings geankerten
Schiffen ihre Landsleute herauszufinden — da drangen plötzlich
heitere Klänge durch die stille Luft, zuerst verschwimmend und
unkenntlich, dann stärker und immer deutlicher: es war der Refrain
des Preussenliedes, der in vollen Accorden zu uns herüberschallte._
Gleich darauf fiel der Anker.
Nun erschienen die Boote der Arkona und Thetis', zuerst der
Flaggen-Officier Lieutenant von Schleinitz, dann der Geschwader-
Clief, Capitän Sundewall, und Capitän Jachmann von der Thetis.
Auch der Capitän des auf der Rhede hegenden englischen Kriegsschiffes
Assaye, der Legations-Secretär Pieschel und einige andere
auf unseren Schiffen angekommene Expeditionsmitglieder fanden
sich noch am Abend zur Begrüssung des Gesandten ein, die halbe
Nacht wurde auf Deck verschwatzt. Die zahllosen Lichter am Ufer,
die im weiten Bogen hingestreckte Stadt bezeichnend, die im ungewissen
Dämmerlichte des Mondes unabsehbar scheinende Menge
der Masten ringsumher, die klare schimmernde See, in ruhigem
Glanze tausend Sterne des Himmels und der Erde wiederspiegelnd,
nur hier und da gefurcht von plätschernden Booten, — die balsamische
Milde der Tropennacht übten einen mächtigen Zauber auf
die Sinne. Die über Land Gereisten hatten eine gute Strecke Weges
schnell und glücklich zurückgelegt und fanden nun hier an den
preussischen Kriegsschiffen ein Stückchen Heimath wieder; — die
Anderen mussten, das Cap der Guten Hoflhung umsegelnd, in den
südlichen Breiten heftige Stürme und viel Drangsal und Noth
bestehen, — sie waren schon längere Zeit von der Heimath entfernt
und erhielten durch uns die neuesten Nachrichten. Es gab tausenderlei
zu erzählen und Niemand fühlte das Bedürfniss nach Schlaf.
Am folgenden Morgen erschien der Adjutant des Gouverneurs
an Bord, um den Gesandten zu bewillkommnen. Das Schiff
war von Kähnen umlagert, die Bootsleute meist langgeschwänzte
Chinesen. Der Gesandte bestieg mit seinem Gefolge unter Führung
des englischen Adjutanten und des preussischen Consuls die Boote
unserer Kriegsschiffe und fuhr nach dem Landungsplätze, .wo eine
Abtheilung des 40. Native-Madras-Regiments aufgestellt war. Dort
empfing ihn der Oberrichter der Colonie, Sir Richard B. Mc.’ Caus-
land, mit einem zahlreichen Stabe, und führte ihn unter den
Klängen der Nationalhymne und dem Donner der Kanonen durch die
Reihen der präsentirenden Ehrenwache zu den bereit gehaltenen
Wagen. Auch vor dem für den Gesandten gemietheten Hause —
einem Nebengebäude des Hotel de l’Espérance — war ein Doppelposten
aufgestellt. — Der Rest des Tages ging mit dem Empfange
der officiellen Besuche der englischen Beamten und der fremden
Consuln hin, der Abend vereinigte alle Civilmitglieder der Expedition
und die Befehlshaber der preussischen und englischen Kriegsschiffe
an der Tafel des Gesandten. — Der Empfang der Engländer
war nicht bloss höflich und ehrenvoll, sondern in hohem Grade
herzlich und zuvorkommend.
Die Colonie Singapore wurde 1819 von Sir Stamford Raffles
sesründet. Dieser machte, nachdem Batavia an das wiederherge- Ö Ö .
-stellte Königreich der Niederlande herausgegeben war, die ostindische
Compagnie auf die günstige Lage der Insel an der äussersten
Spitze des hinterindischen Festlandes aufmerksam, und liess sich
von dem hier residirenden T u m a n g u n g , dem Statthalter des Sultans
von D z o h o r , dem sie gehörte, einen Küstenstrich von zwei englischen
Meilen Länge und der Breite eines Kanonenschusses abtreten,
wo an der Stelle eines malaiischen Fischerdorfes die Stadt gegründet
wurde. Ihre Bevölkerung stieg im Laufe e in e s Jahres
auf 10,000 Seelen. Bald aber stellte sich die Unhaltbarkeit des
Verhältnisses zu den einheimischen Landesherren heraus, denn sowohl
der Sultan vorn D z o h o r als der T um a n g u n g machten Hoheitsrechte
geltend. Zudem weigerte sich die englische Regierung, die
Niederlassung der Compagnie anzuerkennen. Die Siamèsen sowohl,
welche die Oberhoheit über alle malaiischen Staaten des Festlandes
in Anspruch nehmen, als die Holländer behaupteten, dass der
Sultan von D z o h o r ohne ihre Zustimmung keine Verträge mit fremden
Staatén scliliessen könne. Erst nach einigen Jahren, als die
Wichtigkeit der Colonie sich practisch bewährt hatte, trat die englische
Regierung mit der niederländischen in ernstliche Unterhandlung;
letztere entsagte in dem Vertrage vom 17. März 1824 allen
Ansprüchen auf Singapore. Der Sultan von D z o h o r und der
T um a n g u n g wurden zu gleicher Zeit mit einer Pension abgefunden,
wofür sie die ganze Insel an England abtraten.
Raffles’ Erwartungen haben sich auf das glänzendste erfüllt.
Singapore ist der wichtigste Stapelplatz des englischen Handels in
Hinterindien, und für die Verbindung mit China und Australien ganz
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