
POLITISCHE EINRICHTUNGEN UND ZUSTÄNDE WÄHREND DER
ABSPERRUNG.
D e r Zeitraum von der Verbannung der Fremden bis zum Eindringen
der Amerikaner 1854- ist in der japanischen Geschichte fast ein leeres
Blatt zu nennen. Die Nachfolger des J y e y a s brachten dessen System
gegen Mitte des siebzehnten Jahrhunderts o o zur vollen Ausbildungo,’
seitdem hat die Entwickelung nahezu still gestanden. Auch äusser-
lich ereignete sich wenig: zwei Verschwörungen gegen das S io g u n -
Haus wurden 1651 und 1766 entdeckt, ehe sie zum Ausbruch kamen;
mit der Hinrichtung der Betheiligten war aber Alles abgethan und
die Buhe des Landes blieb ungestört. In Folge des über zweihundertjährigen
ununterbrochenen Friedens hat sich nun die Bevölkerung
beträchtlich vermehrt, die Productionskraft des Landes zu einer
Höhe gesteigert, wie sie nur die gesegnetsten Erdstriche kennen,
und ein solches Gleichgewicht zwischen Ertrag und' Verbrauch,
Capital und Arbeit, zwischen dem Werthe der Erzeugnisse und der
Tauschmittel herausgehildet, dass alle Bedürfnisse der Bevölkerung
befriedigt werden und Niemand Mangel leidet. Dabei stehen die
Japaner, einige sonderbare Auswüchse abgerechnet, an denen es ja
auch in der europäischen Civilisation nicht fehlt, auf einer höheren
Stufe der Gesittung als irgend ein anderes nichtchristliches Volk, —
und diese Zustände haben sich unter einem Regierungssysteme entwickelt,
das an und für sich im höchsten Grade künstlich und
unnatürlich, in seinen Grundsätzen gradezu verwerflich ist. Es soll
versucht werden eine Darstellung dieser Verfassung zu geben, wie
sie während der Jahrhunderte der Absperrung bestanden hat; denn
in den letzten Decennien und besonders seit 1854 scheint sich Vieles
geändert zu haben, weil die schwachen S io g u n ’s das alte System
nicht mehr zu handhaben wussten und durch die Zulassung der
Fremden einen wesentlichen Theil desselben aufgaben. Leider ist
unsere Kenntniss dieses Systems auch heute sehr unvollständig: die
Jesuiten, unter deren Augen sich seine Anfänge entwickelten und
die umständliche Berichte von allen ä u s s e r en Ereignissen geben,
sagen nur wenig über die in n e r e Einrichtung des Reiches. Seit der
Ausweisung der Fremden hüllte sich die Regierung grundsätzlich in
tiefes Geheimniss, und auch jetzt ist es schwer etwas Zuverlässiges
zu erfahren. Die besten Nachrichten verdankt man noch immer den
auf D e s im a eingeschlossenen Beamten der holländischen Factorei.
Der Abgott der Japaner ist die Tbatkraft. Kämpfer hat
durchaus Recht, .wenn er die Regierungsform einen ganz uneingeschränkten,
ungebundenen Despotismus nennt. Die K u a n b a k ’s
in ihrer Blüthezeit, Y o r i - t o m o , die Regenten von K a m a k u r a , die
S io g u n ’s von M ia k o , N o b u n a n g a , T a ik o - s a m a , J y e y a s und seine
Nachfolger sind vom Volke wie von den Grossen als unbedingte
Gebieter anerkannt worden, so lange ihre Kraft den Verhältnissen
gewachsen war, und haben sogar die M ik a d o ’s nach Willkühr ein-
und abgesetzt. Es gab ausser dem höchsten R an g e des M ik a d o
und dem daraus hergeleiteten Privilegium der Titelverleihung that-
sächlich kein den S io g u n beschränkendes Recht; sein Willen war
das höchste Gesetz, denn die Hoheitsrechte der Grossen sind nur
nominell, so lange der S io g u n die Kraft hat, den v q u J y e y a s
eingerichteten Organismus in Gang zu erhalten und zu handhaben:
standen sie doch unter beständiger Controlle, und mussten jeden
Augenblick gewärtig sein von der mächtigen Hand ihres Oberherrn
erdrückt zu werden ,"s). Darüber kann nach den vorhandenen Zeugnissen
kein Zweifel sein. Die D a im io ’s regieren ihre Territorien
als absolute Souveräne, sind aber dem S io g u n , der im Namen des
M ik a d o herrscht, für Alles was dort vorgeht verantwortlich; er
lässt sie durch seine Aufpasser bewachen und hat die Macht sie zu
bestrafen, zu vernichten. Ihr Recht der unumschränkten Gewalt
105) Caron, welcher unter den Niederländern des siebzehnten Jahrhunderts vielleicht
die genaueste Kenntniss der japanischen Zustände hatte, sagt vom S i o g u n :
»Dero Majestät von Japan wird getituliret Kaiser, weil Könige und Fürsten unter
seinem Gehorsam sind; und er ein solcher Herr, der ganz freie Gewalt hat; als
eigentümlicher Herr über das ganze Land und hat die Macht (gleichwie zu meiner
Zeit etlich mal beschehen ist) die grösten Könige und Herren, bisweilen um geringer
Ursachen und Missfetliaten halben, aus ihren Ländern ins Elend zu vertreiben, auf
Inseln zu bannen, und mit dem Tode zu straffen, ihre Länder, Sehätze, Reichthümer
und Einkommen anderen, die es nach seinem Urtheil besser verdienen zu schenken.«
Fr. Caron’s Wahrhaftige Beschreibung u. s. w. deutsch von Merklein. Nürnberg 1672.