
98 Neuer Versuch der Engländer. — Resumé.
Auch die Engländer, welche 1623 ihren Handel aus freien
Stücken aufgegeben hatten, machten noch im Laufe desselben Jahrhunderts
einen Versuch, sich wieder Eingang in das japanische
Reich zu verschaffen. Das englische Schilf »the Return«, dessen
Befehlshaber dem S io g u n einen Brief König Karl’s II überbringen
sollte, lief am 20. Juni 1673 in den Hafen von N am g a sa k i ein.
Die Behörden empfingen ihn freundlich, Hessen sich aber alle
Munition und die Geschütze ausliefern und verhinderten jede Com-
munication mit dem Lande. Die Engländer beriefen sich auf die
alten von J y e y a s verliehenen Handelsprivilegien, aber das Kreuz
in ihrer Flagge und der Umstand, dass König Karl mit einer portugiesischen
Prinzessin vermält war, erregten Argwohn. Unglücklicherweise
brachten damals die von Batavia eben einlaufenden holländischen
Schiffe die Nachricht von dem Ausbruch des Krieges zwischen
Niederland und England und von dem Bündnisse des letzteren mit
dem katholischen Frankreich: so erhielten denn die Engländer
eine ablehnende Antwort auch auf die Frage, ob sie nach dem
Tode ihrer Königin wiederkommen dürften. Man gestattete ihnen
aber, bis zum Einsetzen des günstigen Monsuns im Hafen zu bleiben
und nahm, als sie vorgaben, kein Geld mehr zu haben, chinesische
Rohseide in Zahlung für ihre Bedürfnisse101). Die Geschütze und
Munition erhielten sie erst ausserhalb des Hafens wieder; viele
japanische Kriegsfahrzeuge, welche den »Return« während seines
Aufenthaltes im Hafen bewacht hatten, geleiteten ihn weit auf das
hohe Meer hinaus. Uebrigens liess der S io g u n den Engländern
und Holländern das Versprechen abnehmen, einander in den japanischen
Gewässern nicht anzugreifen.
In dem Vorstehenden ist schon gesagt worden, dass der
innerste Grund der Verbannung der Fremden die Unvereinbarkeit
des Christenthumes mit den japanischen Zuständen war. Die
durch zweitausendjährige Entwickelung zur festen Regel gewordene
Einschränkung des Volkes in bestimmte Grenzen, seine eingelebte
Unterwürfigkeit gegen die herrschenden Classen waren
Grundbedingung des japanischen Staatslebens. Die Ausübung der
starren Gewalt widerspricht noch mehr und unmittelbarer den
Grundideen des Christenthumes als die Unterwerfung an solche
101) Alle europäischen Artikel wurden zurückgewiesen.
Ursachen der Absperrung. 99
Gewalt; mittelbar aber streiten sie auch gegen diese, denn es
liegt in seinem Wesen, die eigenthümliche Entwickelung des Einzelnen
zu fördern und sein Bewusstsein zu heben. Ganz verschieden
gestalten sich die Verhältnisse, wenn ein Stamm auf niederer
Bildungsstufe das Christenthum empfängt und bei politisch vorgeschrittenen
Culturvölkern. Bei jenem wird es der wesentlichste
Factor des Bildungsganges werden und die Entwickelung des staatlichen
Lebens von Grund aus bedingen, bei diesen müssen innere
Kämpfe entstehen. Das antike Leben musste erst in Verfall gerathen,
ehe das Christenthum bei den Culturvölkern Europas Wurzel schlagen
konnte, und wurde dann durch dasselbe von Grund aus umgestaltet
und überwunden. Der Kampf währte durch Jahrhunderte. Wo das
Christenthum mit dem Islam in Berührung kommt, ist die Begegnung
gewaltsam: man kann sich keine alhnäliche Bekehrung eines muhame-
danischen Staates zum Christenthum, keine allmäliche Umbildung
durch dasselbe denken; er wird es entweder äbstossen oder selbst
Zusammenstürzen. Aehnlich ist das Verhältniss mit Japan, nur dass
die Japaner sich ihrer politischen Eigenthümlichkeit nicht bewusst
waren. So lange ein Volk isolirt bleibt, hält es alle seine Gewohnheiten
und Institutionen für natürlich und nothwendig; erst die
Bekanntschaft mit dem Fremden erweckt Nachdenken und Selbst-
erkenntniss. Die seltenen Berührungen mit den Koreanern und
Chinesen, deren Bildung überdies auf ähnlichen Grundlagen ruhte,
konnten für die Japaner diese Wirkung nicht haben. Die Basis der
japanischen Staatsverfassung war recht eigentlich die alte Kami-
religion; die Lehren des Confucius enthielten nichts der japanischen
Theokratie gefährliches, ebensowenig der indische Buddismus, der
sich nach kurzem Kampfe der alten Landesreligion anpasste und
verschmolz. So viele Secten es auch gab, in den Grundanschauungen
war man sich selbst unbewusst einig, und ahnte wohl kaum, dass
es noch andere ganz verschiedene Lehren geben könne: daher die
arglose Toleranz, welche dem Christenthume erlaubte so tiefe
Wurzeln zu schlagen.
Neben jenen innersten Ursachen mögen auch andere Umstände
nachtheilig für die Fremden gewirkt haben, ihr Betragen musste
den gesitteten Japanern in vielen Beziehungen anstössig sein. Zunächst
die Exeesse und Ungehörigkeiten, welche, europäische Aben-
theurer überall zu begehen pflegen, wo sie, von keiner Obrigkeit
beschränkt, ihren Gelüsten freien Lauf lassen können; diese mit