
der Stammvater der fünf irdischen Göttergeschlechter. Seine nachgeborenen
Brüder sind der Mond, dann ein Genius des Meeres,
und S o s a n , ein Geist der Unruhe und Bewegung, des Ungewitters,
der Stürme. Dieser gieht zuerst Anlass zu Unfrieden und Streit,
muss sich aber schliesslich vor der Sonnengottheit beugen und
steigt zur Erde, d. h. nach Japan hinab. Er tritt dort in Verkehr
mit den Menschen ■— sie scheinen mit den Pflanzen und Thieren
für selbstverständliche Erzeugnisse des Bodens zu gelten — befreit
eine Jungfrau von einem Drachen und zeugt mit ihr einen Sohn.
Seine Nachkommen, die irdischen K am i’s , Halbgötter und Heroen
wollen den von T e n - z io - d a i - s in entsprossenen Gottheiten wiederholt
die Herrschaft über die Erde streitig machen, werden aber
besiegt. Jene treten in den folgenden Generationen noch wiederholt
mit den Heroengeschlechtern in Verbindung und freien deren
Töchter. Die sehr phantastische Sagengeschichte dieser Phase spielt
im Himmel, im Meere, auf den japanischen Inseln; zum Theil sind
Naturphänomene darin symbolisirt“ ), zum Theil die Entstehung
bestimmter Oertlichkeiten mit Ereignissen der Götterwelt in Verbindung
gebracht, die allmäliche Urbarmachung des Landes unter
dem Bilde der Ausrottung von Ungeheuern und bösen Dämonen
versinnlicht. Alle diese Mythen stehen in der speciellsten Beziehung
zu den physischen Eigenthümlichkeiten der japanischen Inseln und
Meere; sie gründen sich gewiss zum Theil auf wirkliche Ereignisse
und verherrlichen im Gewände der Sage die grossen Thaten
und Eigenschaften der frühesten Gründer japanischer Cultur. Die
Gewohnheit jeden bedeutenden Mann, der sich um das Land Verdienste
erwarb, unter die Götter zu versetzen, ist dem Volke eigen-
thümhch und hat sich bis in späte Zeiten erhalten. Die M ik a d o ’s
treten von selbst durch Geburtsrecht in die Reihe der K am i’s , aber
auch andere Sterbliche, die sich durch Grossthaten irgend einer
Art berühmt gemacht, werden nach ihrem Tode feierlich kanoni-
sirt und erhalten besondere Ehrentitel und Tempel, wo man sie
verehrt.
Unmittelbar an das Heroenalter schliesst sich nach der Auffassung
der Japaner ihre Geschichte. D s i n -M u , der Stammvater
des M ik a d o -Geschlechtes, wird ein Sohn des vierten Nachkommen
von T e n - zio - d a i - s in genannt, stammt also in grader Linie von
n) Z. B. Ebbe und Fluth.
dem Sonnengenius und dessen Ahnen, den himmlischen Göttern her.
Deshalb ist sein Geschlecht unverletzlich und über alle Menschen
erhaben12).
Die folgenden Nachrichten gründen sich zumeist auf die
von Professor Hoffmann in Leyden übersetzten Geschichtstabellen
W a N e n K e i , theils auch auf die von Klaproth durchgesehene und
herausgegehene Uebertragung der im Jahre 16B2 erschienenen Kaiserannalen
N i p p o n O D a i I t s i R a n n ). Letzteres Werk ist ein Auszug
aus den grösseren Geschichtswerken in Eorm einer Chronik. Unter
einem Wust bedeutungsloser Hofnachrichten werden auch die politisch
wichtigen Begebenheiten ohne Verknüpfung und Zusammenhang in
trockenen Worten kurz berichtet. Nur selten findet sich ein allgemeiner
Satz. Wer es aber unternimmt die Fäden zu verfolgen, die
Thatsachen aneinander zu reihen, den geschichtlichen Stoff zu
sichten und zu ordnen, der erhält nicht nur einen Ueberblick über
den Gang der äusseren Ereignisse, sondern auch ein Bild von
den inneren Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Entwickelungs-
perioden. Diese Eigenschaft der Kaiserannalen, dass sich aus der
einfachen Aufzählung der Thatsachen allgemeine Begriffe von selbst
ergeben, ist das beste Zeichen für ihre Glaubwürdigkeit. Selbst
die Berichte aus den frühesten Zeiten tragen ein bestimmtes Gepräge
12) Ausführliches über die japanische Götterlehre ist in v. Siebold’s N i p p o n (Bd. V.)
zu finden. Bei Kämpfer und in anderen Werken ist vieles zerstreut. Die meisten
Namen und die langen unverständlichen Ehrentitel der Gottheiten sind für den
Laien leere, schwer auf das Gehör fallende Klänge und deshalb in diesem Umrisse
weggelassen. — Siebold hat der japanischen Mythologie eine besondere Abtheilung
seines grossen Werkes gewidmet, in welchem freilich das von Professor Hoffmann
übersetzte und mit vielen vortrefflichen Abbildungen begleitete Buddapantheon den
grössten Kaum einnimmt. — Gedrängte Darstellungen geben Klaproth in der Einleitung
zu den Kaiserannalen und Leon de Rosny in seinem Memoire sur la
Chronologie japonaise. (Paris 1858.)
13) Dieses Werk ist ausführlicher als die von Professor Hoffmann übersetzten
und im grossen v. Sieboldschen Werke abgedruckten Tabellen. Wenn auch nach dem
Urtheil dieses ausgezeichneten Kenners der japanischen Litteratur der Klaprothschen
Uebertragung im Einzelnen nicht vollkommen zu trauen ist, so glaubt sich der
Verfasser durch Vergleichung mit den Geschichtstabellen und mit der Abhandlung
desselben Gelehrten über Japans Bezüge zu Korea vor wesentlichen Fehlern bewahrt
zu haben. Es handelt sich bei der vorliegenden Darstellung nur um das Charakteristische
der geschichtlichen Entwickelung im Ganzen, nicht um Einzelnlieiten.