
der oberste Souverän von Japan und die erste Person im Staate
ist, kann Niemand bezweifeln, dass aber thatsäcblicli seit einem
Jahrtausend die Macht immer in den Händen seiner Stellvertreter
gelegen hat, beweist die japanische Geschichte ganz deutlich. Die
japanische Theokratie besteht noch heute zu Recht, aber der Gebrauch
ist stärker als dieses Recht; so lange der S io g u n die D a im io ’s
aus eigener Macht beherrscht, bedarf er der Autorität des M ik a d o
nicht. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts scheint man von Y e d d o
aus die Erbkaiser in belangreichen Fällen um ihre Ansicht befragt
zu haben: der holländische Handelsvorsteher Doeff, welcher von
1798 bis 1817, also neunzehn Jahre in Japan war und das unbedingte
Vertrauen der Behörden genoss, berichtet zwei derartige Fälle, die
sich während seiner Anwesenheit zutrugen. Zuerst handelte es sich
um eine- Verbesserung des Kalenders, um Einführung des Sonnenstatt
des Mondjahres111); hier war der Schritt sehr natürlich, da
alle japanischen Kalender in M ia k o unter Aufsicht der Hofastronomen
gemacht werden. Das andere Mal galt es die Beantwortung der
russischen Eröffnungen im Jahre 1804: diesmal o og ebot Staatskluogheit
die äusserste Vorsicht und volle Uebereinstiminung mit dem M ik a d o ,
an dessen Rechte sich im Falle eines auswärtigen Krieges die
D a im io ’s lehnen konnten, um die S io g u n -Dynastie zu stürzen; denn
die Ausschliessung der Fremden war ein wesentlicher Bestandtheil
des höchst künstlichen Systemes, das nur so lange ausreichte, als
die Centralregierung a lle ihre Kräfte den in n e r en Angelegenheiten
zuwenden konnte. Die Gewaltherrschaft des S io g u n musste zunichte
werden, sobald die Grossen Luft gewannen. Die einzelnen Fürsten
waren ihm niemals gefährlich und auch eine Verbindung von
mehreren wegen ihrer Uneinigkeit und gegenseitigen Eifersucht nur
dann zu fürchten, wenn sie einen gemeinsamen Mittelpunkt hatten.
Diesen bot aber nur der Thron des M ik a d o , um welchen sich die
Grossen sicherlich im Falle eines auswärtigen Krieges geschaart
hätten, wenn er dem S io g u n entgegentrat. Die Autorität des M ik a d o
wird aber nur dann gefährlich, wenn ihn die D a im io ’s z u stützen
vermögen, und dieser Fall muss immer eintreten, wenn der S io g u n
nach aussen hin beschäftigt ist. — Doelf betont ausdrücklich,
m) Das N i p p o n - K i erwähnt unter dem Jahre 675 n. Chr. der Erbauung der
ersten Sternwarte; 690 wurde der erste Kalender, eine Nachbildung des chinesischen,
förmlich ein geführt. Verbessert wurde der Kalender in den Jahren 700, 857, 861;
1684 und endlich 1798.
dass diese beiden die einzigen Fälle während seiner Anwesenheit in
Japan waren, in welchen der M ik a d o befragt wurde. Der Punct
ist von Wichtigkeit für die Beurtheilung der neuesten japanischen
Geschichte.
Die Erbfolge im Hause der S io g u n ’s ist in folgender Weise
geregelt. J y e y a s hatte vier Söhne: der älteste war der Fürst von
O w a r i , der zweite der S io g u n F i d e - t a d a , der dritte der Fürst von
Kn, der vierte der Fürst von Miro112). Der S io g u n wählt den
Thronfolger unter seinen Söhnen, und wenn er deren nicht hat,
aus der Zahl der nächsten Agnaten. Fehlt es auch an solchen,
so muss er aus einer der Familien O w a r i , Kii und M it o den Thronfolger
adoptiren, welcher dann als Repräsentant der S io g u n -Linie
gilt und die Würde auf seine Nachkommen vererbt, bis etwa eine
neue Adoption aus den drei Nebenlinien nothwendig wird. Die
Häupter derselben heissen die Titularbrüder des S iö g u n und sind
die ersten Männer des Reiches; ihre Stellung scheint in neuester
Zeit besonders einflussreich geworden zu sein. Alle nichterbenden
Söhne des S io g u n werden gewöhnlich von kinderlosen D a im io ’s
adoptirt und verlieren dadurch mit ihrer ganzen Nachkommenschaft
auf immer alles Recht auf die Thronfolge. — Der S io g u n T su n a -
y o s i , der 1680 zur Regierung kam, wollte nach dem Tode seines
einzigen Sohnes von dem alten Hausgesetze der Thronfolge abweichen
und-den Sohn eines Günstlings als Erben adoptiren; um
ihn daran zu verhindern und dem Reiche den Frieden zu erhalten,
entschloss sich die Kaiserin ihren Gemal zu ermorden und gab gleich
darauf auch sich selbst den Tod. Der nächste Agnat J y e - n o b u ,
des Ermordeten Neffe, wurde auf den Thron erhoben; mit seinem
Sohne J y e - t s u g u , der minderjährig starb und, selbst unter Vormundschaft,
keinen Erben adoptiren konnte, erlosch der Mannesstamm
des F id e - t a d a . Die Wahl der Titularbrüder fiel damals auf
den Fürsten von Kii, Y o s i - m u n e , der sich den Namen eines grossen
Regenten erworben hat.
Heutigen Tages leben die S io g u n ’s fast ganz eingezogen in
ihrem von dreifacher Ringmauer umgebenen Schlosse zu Y e d d o und
sind nur für den Hof sichtbar. Nur die D a im io ’s und hohe Staatsbeamte
werden zur Audienz gelassen, welche gewöhnlich kaum eine
U2) Einige Autoren berichten noch yon einem" fünften, der, älter als die genannten
vier, Ansprüche auf den Thron gemacht hätte und von F i d e - t a d a beseitigt
worden wäre.