
Geistlichen dem Range nach über dem Kriegerstande, in der Praxis
aber gemessen nur die Priester einiger S in t o - Secten gleichen An-
sehns mit den S a m r a i , z u welchen sie gehören. Die Bonzen der
meisten buddistischen Secten — und diese bilden die Mehrheit des
Priesterstandes — stehen in sehr geringer Achtung. — J y e y a s soll
seiner Zeit den M ik a d o , um ihn in seine Gewalt zu bekommen, dazu
vermocht haben, seine beiden Söhne zu Oberpriestern der Haupttempel
von Y e d d o z u ernennen, während früher M ia k o der Sitz
der geistlichen Oberhäupter von Japan war. Noch jetzt sind unter
den höchsten Staatsbeamten in Y e d d o einige, deren Punctionen
sich auf den religiösen Cultus beziehen — die Niederländer nannten
sie Tempelherren. — Ausser den Priestern giebt es viele Arten von
Mönchs- und Nonnenorden, welche durch das ganze Land verbreitet
sind, eine feste und anerkannte Organisation und jeder ein besonderes
Oberhaupt haben; diese Ordensvorsteher lebten früher ebenfalls
in M ia k o .
Es soll Sclaven in Japan geben, Abkömmlinge von Kriegsgefangenen
aus alter Zeit und solche, die von unbemittelten Eltern in
die Knechtschaft verkauft worden sind. Die Nachrichten darüber
sind dunkel und voll Widersprüche^ Allem Anscheine nach ist nur
der Verkauf auf eine bestimmte Reihe von Jahren gestattet, nach
deren Ablauf der Geknechtete wieder frei wird. Aelteren Nachrichten
zufolge dürfen die Herren ihre Sclaven aus eigener Machtvollkommenheit
nach den Landesgesetzen und sogar mit dem Tode
bestrafen, verfallen aber selbst dem Gesetze, wenn sie dabei grausam
oder ungerecht verfahren.
Dass der Wohlstand und die Gesittung der Japaner sich
unter dem beschriebenen Regimente bedeutend gehoben hat, ist
schon gesagt worden. Der Charakter des Volkes ist heute ziemlich
derselbe, wie vor zweihundert Jahren, im Wesentlichen passen die
Schilderungen des Franz Xaver und anderer Reisenden aus dem
sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert auch auf die heutigen
Japaner; aber ihre Sitten sind durch den langen Frieden milder,
ihre Anschauungen freier und menschlicher geworden. Der Druck,
unter welchem das japanische Volk lebte, scheint seiner Entwickelung
heilsam gewesen zu sein. Das System des J y e y a s war gegen die
Zustände des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts eine grosse
Verbesserung: die zügellose Willkühr der Lehnsfürsten machte einem
strengen, despotischen, aber geordneten und einigen Regimente
Platz, die Allmacht des S io g u n selbst wurde durch die Verhältnisse
beschränkt, denn sie war nicht vollkommen legal und der uralte
MiKADO-Thron auf keine Weise zu beseitigen. Dieser muss den
S io g u n ’s immer wie ein drohendes Schreckbild erschienen sein —
nicht durch sich selbst, sondern weil er aufrührerischen D a im io ’s
immer einmal als Mittelpunct dienen konnte und weil sein Ansehn
beim Volke noch immer galt. Denn auch heute wird kein Japaner
zugeben, dass der S i o g u n , obgleich absoluter Herr, der erste Mann
des Reiches ist. Die S io g u n ’s bedurften also, um die Grossen zu
zügehi, der Gunst und Zustimmung des Volkes, der öffentlichen
Meinung, welche sie nur durch ein weises und gerechtes, den Bedürfnissen
des Landes angemessenes Regiment für sich gewinnen
konnten. Das Regierungssystem ist durch und durch despotisch,
aber die verschiedenen Pactoren hielten einander dermaassen das
Gleichgewicht, dass Gerechtigkeit geübt werden musste und das
Volk sich wohl befand. Diese äussere Nothwendigkeit hat aber
auch ein inneres Bedürfniss des Guten hervorgerufen, und man
kann wohl behaupten, dass unter den gebildeten Classen gute und
ehrenhafte Gesinnungen allgemein, wenigstens vorwiegend sind.
Die Ehre ist das leitende Princip der höheren Stände; sie gilt als
ein Attribut der edelen Geburt, legt die höchsten Verpflichtungen
auf, und ist die Quelle aller hohen Tugenden. Der Begriff der Ehre
ist in Japan bis zum Extrem ausgebildet und dadurch auch der
Ursprung vieles Bösen geworden, denn jeder Flecken daran muss
mit Blut getilgt werden, daher die vielen Morde und Selbstentleibungen
unter den höheren Classen.
Die japanischen Zustände und Sitten eingehender zu beschreiben,
wird sich im Laufe des Reiseberichtes vielfach Veranlassung
bieten, doch mögen hier noch einige allgemeine Andeutungen über
den Charakter des Volkes stehen, wie er sich unter dem Absperrungssysteme
ausgebildet hat.
Der Leitstern und gleichsam die Religion des Volkes ist die
ungemessene Ehrfurcht vor seinen Gebietern; dies ist die Quelle
seiner guten Gefühle und die Grundlage seines Wohlbefindens.
Das Verhältnis^ ist ein patriarchalisches; wie ein Kind zu seinen
Eltern, so blickt das japanische Volk zu seinen Herrschern auf, die
es für sein Wohl und Wehe verantwortlich hält. Es ist von jeher