
Dialektik. Andererseits finden sich die tollsten Auswüchse fanatischer
Ascetik und Bussübung 5,)f Der grösste Theil der Bonzen war in
frivolen Unglauben, in rohe Unwissenheit und Sinnlichkeit versunken,
die Missionare schildern sie als verderbtes Gesindel, maasslos habgierig
und allen Lastern ergeben. Ueber ihre Ueppigkeit, ihren
unbeugsamen hochfahrenden Sinn klagen auch die japanischen
Schriften; die Eifersucht der Secten artete oft in blutige Fehden
aus, deren Ursachen in dieser Zeit nur Habgier und Ehrgeiz waren.
Das Volk erhielten die Bonzen in Aberglauben und Unwissenheit;
sie lehrten einfach, es sei vergebenes Bemühen und ganz unmöglich
im bürgerlichen und im Familien - Leben die strengen Tugendvorschriften
der Religion zu befolgen58); nur sie selbst könnten das,
da sie der Welt entsagt und sich dem geistlichen Leben ganz gewidmet
hätten; durch das Uebermaass ihrer Vollkommenheit nähmen
sie aber auch die Sünden der Weltkinder auf sich, so fern diese
nur durch reichliche Gaben für sie sorgten und sie von der irdischen
Noth befreiten. Auch für die Seelen der Abgeschiedenen, die im
Fegefeuer schmachten, musste gesteuert werden. Nur durch Geldspenden
ist das Heil zu erlangen; den Armen, die nichts geben
können, ist das Himmelreich unbedingt verschlossen, den Frauen59)
ungleich schwerer zugänglich als den Männern, »da sie von Natur
mit allen Sünden behaftet sind«; ihre Gaben müssen daher, so
sie Erlösung hoffen wollen, ungleich reicher sein. Man erkennt die
schlaue Berechnung auf das weibliche Gemüth.
Diese sehr bequeme Lehre fand natürlich grossen Anhang
unter den vermögenden Ständen. Die unzähligen milden Stiftungen,
B7) Es gab Bonzen, die Jahrzehnte lang in einer Stellung verharrend üher irgend
ein Dogma nachzudenken Vorgaben, um dann feierlich kanonisirt und bei lebendigem
Leihe in Kapellen verehrt zu werden. Die von ihnen aufgestellten religiösen und
Weisheits - Sätze sind meist entweder gesuchte Paradoxen oder gradezu unlösbare
Widersinnigkeiten, deren Tiefe nicht zu ergründen, weil bodenlos ist. So erscheinen
sie wenigstens der europäischen Fassungskraft.
68) Die allen japanischen Secten gemeinsamen fünf Haupt-Gebote sind nach der
Darstellung der Missionare: 1. Nicht tödten, 2. Nicht stehlen, 3. Nicht ehebrechen,
4. Nicht lügen, 5. Nichts Berauschendes gemessen.
59) »Quin et mulieres quinque mandata transgressas servari posse negant, cum
quaevis mulier plus criminum habeat, eorum arbitratu, quam omnes in universo mundi
ambitu vir i; Dehinc rursus dicere incipiunt, aliqualem damnationis evadendae
■spem mulieribus reliquam fore, si ampliores quam viri eleemosynas erogarint.« Brief
des Franz Xaver in Hamnardus de Gammere Epistolae Japonicae. Lovanii 1569.
die Menge und der Reichthum der Bonzen zeugen für ihre Verbreitung.
Befriedigung konnte der greifbar sinnliche Betrug nicht
gewähren, ünd doch hatte man nichts anderes. Sich durch eigene
Thätigkeit, durch selbstständige Betrachtung zum religiösen Bewusstsein
zu erheben ist nicht Sache der Menge; sie bedarf der Autorität
und bestimmter Glaubenssätze. Die Bonzen aller Secten scheinen
aber nur den Glauben an ihr Mittleramt befördert zu haben. Die
ärmeren Classen waren von allen geistlichen Wohlthaten ausgeschlossen,
und das in einer Zeit wo die geistliche Bedürftigkeit auf
das höchste gestiegen sein musste: denn das Volk schmachtete im
tiefsten Elende, und die Fürsten selbst, obgleich unumschränkt
herrschend, schwebten in beständiger Gefahr die Opfer mächtiger
Nachbarn oder treuloser Vasallen zu werden60). Plötzliche Ueber-
fälle, Morde, Brandschatzungen und verheerende Feuersbrünste
waren die täglichen Ereignisse. Die Unzulänglichkeit und Hinfälligkeit
des irdischen Daseins musste unter den beständigen Drangsalen
des Krieges den Gemüthern besonders fühlbar werden und sie für
die Tröstungen des Christenthumes empfänglich machen6’). Der
60) Franz Xaver und seine Nachfolger berichten als Augenzeugen von mehreren
derartigen Umwälzungen , welche meistens local waren: theils innere Unruhen,
Kämpfe verschiedener Familien oder Linien um die Herrschaft, theils Kriege mit
den Nachbarn um Suprematie und Länderbesitz.
61) In den Lehren der japanischen Secten fanden sich manche Anknüpfungs-
puncte für die christlichen Bekehrer. »Alle,« sagt Franz Xaver, »glauben an eine
Hölle und an ein Paradies, aber keiner weiss recht*zu sagen, warum beide da sind. . .
Sie erwähnen in ihren Schriften göttlicher Wesen, welche beide gemacht und selbst
Jahrtausende in der Hölle zugebracht hätten, um durch ihre Busse die Mängel der.
Menschen auszugleichen, die ihre Sünden selten oder niemals bereuen. Sie versichern,
dass, wer die Flecken seiner Seele durch Busse nicht getilgt, doch durch
unbedingt gläubiges Anrufen der Stifter ihrer Secten von allen Martern und Qualen,
ja aus dem tiefsten Grunde der Hölle befreit werden könne!« »Die Japaner,«
sagt Franz Xaver an einer anderen Stelle, »sind mit wunderbarem Scharfsinn und
Geistesklarheit begabt und weichen mit ihrem Urtheil gern einleuchtenden Gründen. - #
Sie forschen viel nach dem Urquell der Dinge, ob er gut, ob böse sei, und wenn
es nur einen Urquell des Guten gebe, ob sich auch das Böse aus ihm herleite. Ich
antwortete, dass es nur einen allgütigen Urgrund der Dinge gebe, an dem das Böse
gar keinen Antheil habe. Das hielten sie für unmöglich. Denn, sagten sie, wenn
Gott allgütig wäre, wie hätte er böse Geister, die bittersten Feinde der Menschen
erschaffen können? Wir erwiedern, dass auch diese ursprünglich gut gewesen und
durch innere Bosheit verderbt, den Strafen verfallen seien, die sie leiden und in
alle Ewigkeit leiden werden. Aber, sagen sie, mit der höchsten Güte kann solche
Grausamkeit nicht bestehen, dass ohne alle Barmherzigkeit für einen einzigen Fehltritt
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