3i6 Sprachproben der ürTÖlker von Brasilien
s u b j e c t i v e n Casus (wenn hier dies Wort gestattet ist für Noininatur oder casus
7'ectus') und einen object iven. Der erstere hat kein äufseres Kennzeichen und
der zvveyte wird nur gebraucht in der Zusammensetzung zweyer Substantiva, wovon
das zweyte in den Zustand eines Objects tritt. Dieses Verhältnifs, das ihnen
statt Genitivs, Dativs und Accusativs gilt, wird herbeygeführt durch das Vorsetzen
der Sylbe te (die bald te, ti bald de lautet) vor das zweyte Wort. Auch ist der
Wilde nicht streng an dies Gesetz gebunden und darf es in rascher Rede weglassen,
während er bey der Zusammensetzung solcher Substantiven, welche eine ihm
verborgene Kraft, etwas Göttliches, bezeichnen sollen, aus einer Art scheuer Verehrung
diefs te niemals wegläfst. Diefs zeigt sich am deutlichsten an dem merkwürdigen
Worte Tai^ii. Tara bezeichnet freylich ursprünglich den M o n d (wahrscheinlich
aber auch die S onne ) , dann aber durch eine sehr natürliche Ideenverbindung
auch die Zeit. Dafs den Botocuden ftir den Begriff der Zeit der Mond wichtiger
war als die Sonne, insofern bey ihm bestimmte äufsere Kennzeichen eine
Zeitabtheilung leichter herbeyführen, mag Veranlassung geworden seyn, dafs die
Sonne nur den Nahmen Tarú-ti-pó erhielt. Po heifst der Fufs j also als Bezeichnung
der Sonne eigentlich: der Läufer am Himmel. Es entspricht dies ganz
dem VTtsqLcov (der oben am H imme l geht) und Xv^aßag (der in glänzend
e r Bahn eilt, erst die Sonne, dann das Jahr) der Griechen. Dafs Tarú auch
die Sonne heifst, geht aus den Wörtern Tarú-te-ning Sonnenaufgang imd Tarúte
mung Sonnenuntergang hervor. Ning (kommen) imd mung (fortgehen) sind
Zeitwörter, deren Infinitive hier als Siibstantiva gebraucht sind; doch darf in diesem
Falle te auch wegbleiben wie in Tarú-njép, Mittag; von njép sitzen, wo die
Sonne scheinbar festsitzt. Durch die Ideenverbindung der Zei t mit dem Worte
Tarú erklären sich nun die Wörter Tarü-te-tü die N a cht (eigentlich die Zeit,
wo man nichts zu essen hat, eine Benennung, die aus der starken EfsUist der
Botocuden sehr erklärbar wird. Tü heifst H u n g e r . Tarú-te-cuong der Donn
e r (eigentlich: w e n n s brüllt; denn cuong soll den Klang des Donners nachahmen)
Tarii-te merän der B l i t z (eigentlich: wenn man mit den Augenliedern
zucken mufs; denn/«erä/i heist b J inz en; es ist das Wor t also ganz nach imserem
B l i t z gebildet) Tarú-te-ciihú derWind (das heifst wenn' s braust ; cuhú ahmt
das Brausen des Windes nach.
Jenes te findet sich auch in anderen Zusammensetzungen zum Beyspiel pó-t'-
ingerung Fufsweh, doch kann es, wenn das vorhergehende Wort in dieser
Zusammensetzung mit einem Consonanten endet, auch weggelassen werden; zum
Beyspiel maak-ingerimg Beinschmerz, Herän-ingerung Kopfweh, in der
Verbindung mit Adjectiven findet sich dies te niemals. Daher Tarú-him ISeiimondi/
u'm heifst schwarz; Retóm-him zum Beyspiel der Stern im Auge , weil
Vr^
Sprachprohen der ürrölker yon Brasilien 3 I 7
alle Botocuden schwarze Augen haben) Tarü-niöm bewölkter Himmel, Wolk
e n iiiiöfh heifst weifs).
D e n P l u r a l i s bilden sie durch Anhängen des Wortes ruhä oder ZZ/'MÄZZ (m ehr,
v i e l ) zum Beyspiel pung-iiruhü zwey Flinten, eine Doppelflinte, dann überhaupt
viel Flinten; Tschoon-uruhü^ Bäume, Wald. Hjem-uriiha Häuser, Dorf.
Diminutive werden durch das angehängte njin klein, gebildet, welches ein
abgekürztes Adjectiv ist. So Kruck-nin ein kleines Kind, Knäblein, Magndng-nin,
einTropfen, kleines Wasser , ähnlich unserem — lein, was mit k l e i n zusammenhängt.
Strenges Gesetz ist, dafs A d j e c t i v a nie vor das Substantiv, auf welches sie
sich beziehen, gesetzt werden, sondern stets nach demselben, zum Beyspiel uahäh
oder wahä-orofi ein grofser, langer Mann, uahäh-pniäck ein kleiner Mann. Die
S t e i g e r u n g der Adjectiva wird hervorgebracht i) der Comparativ durch Anliängen
von urüh (oder uruhü^ dasselbe Wort, welches den Pluralbegriff bildet) zum Beyspiel
Amp-urüh schärfer (d. h. kalt); denn ainpe-öt heifst schärfen. 2) Sup
e r l a t i v durch Anhängen des Adverbiums yzÄ'öT^rt/n oder gikaram (sehr), zum
Beyspiel Ciiang-mah-jikaräin^ sehr hungrig (eigentlich: der Bauch ist sehr leer).
Das P r o n ome n Substantiv u m Hjick (ich) wird stets vorgesetzt zum Beyspiel
Kjick-piep ich habe es gesehen; Hjick-ioop ich trinke. Vom Possessiv-
Pronomen scheinen die Botocuden nur Hjack (mein) zu kennen; zum Beyspiel
Hjick-Kjuck-magnän-joöp: ich trinke mein Wasser. Doch scheint das Possessiv-
Pronomen nicht sehr unterschieden zu seyn von dem Sul>stantiv-Prononien der ersten
Person; denn (JUÄCK sagt Hjick-maak^ mein Bein, so gut als Hjack-maak. Der
Umlaut als u in i in Hjick und Hjack darf nicht auffallen, denn eben so heifst
Huem todt imd Udmm Aas.
Die Z e i twö r t e r sind alle Infinitive oder Participien und scheinen sich äufserlich
nicht zu unterscheiden von der Bildung der Substantiva; auffallend ist aber,
dafs eine grofse Menge derselben entweder mit n beginnt, was beweglich zw seyn
scheint, oder mit p endet. Was dadurch angedeutet werden soll, mag dahin gestellt
bleiben; doch scheint n vorzugsweise dem Infinitivbegriff eigen zu seyn, wovon
weiter unten Beyspiele angefülirt werden. Die dritte Person des Zeitworts bilden
sie auf eine Weise, die in dem Wesen der Sprache imd der Entstehung des Zeitwortes
begründet ist. Das Verbum Substantivum (seyn) heist nämlich vollständig
het (er, sie, es ist), wird aber gewöhnlich in he^ auch blos e verkürzt und dami
vor das Verbum gesetzt; zum Beyspiel He-möt: es kocht, he-mang er ist fortgegangen,
het-nohönn er seufzt, he-iiing er kommt, e-rehä oder ci-rehä es ist
gut. Dies he wird, nach botocudischer Weise, wiederholt in he-e-e oder he-e
und heifst dann: ja, d.h. es ist so; he-kjain-irirong: er schwimmt gut. Ainpeöt
(schärfen, wetzen) scheint sicii in öt eine eigene Verbalcndung erhalten zu haben,
t:
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