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6 E i n i g e Wor t e über die Botocuden
dadurch der Saft sich verflüchtiget. Obg^leich diese Hölzer äufserst leicht
sind, so ziehen sie bey älteren Leuten dennoch die Lippe niederwärts:
bey jüngeren hingegen steht sie gerade aus , oder etwas aufgerichtet.
Es ist dies ein auffallender Beweis von der aiifserordentlichen Dehnbarkeit
der Muskelfieber; denn die Unterlippe erscheint nur als ein dünner
um das Holz gelegter Ring, und eben so die Ohrläppchen, welche bis
beynahe auf die Schultern herabreichen. Sie können das Holz herausnehmen
so oft sie w^ollen; dann hängt der Lippenrand schlaiT herab und die
ünterzähne sind völlig entblöfst. Mit den Jahren wird die Ausdehnung
immer gröfser und oft so stark, dafs das Ohrläppchen oder die Lippe
zerreifst, alsdann binden sie die Stücke mit einer Qipö wieder zusammen
und stellen den Ring auf diese Art wieder her. Bey alten Leuten
findet man meistens das eine, oder selbst beyde Ohren auf diese Art zerrissen.
Da der Pflock in der Lippe beständig gegen die mittleren Vorderzähne
des Unterkiefers drückt und reibt, so fallen diese zeitig, ja schon
im zwanzigsten bis dreifsigsten Jahre aus, oder sind mifsgestaltet und
verschoben. In dem berühmten anthropologischen Cabinette des Herrn
Ritter B l u i v i e n e a c h zu Göttingen habe ich den Schädel eines jungen
z w a n z i g - b i s dreifsigjährigen Botocuden niedergelegt, der eine osteologische
Merkwürdigkeit ist. Auch an diesem Kopfe nimmt man wahr,
dafs der grofse Botoque die Vorderzähne des Unterkiefers bereits hinweggeschoben
und dabey auf die Kinnlade selbst so stark gedrückt hat, dafs
die Alveolen der Zähne völlig verschwunden sind, und der Kiefer an
dieser Stelle scharf wie ein Messer geworden ist. Auf der Vignette
dieses ersten Abschnitts ist der eben erwähnte Schädel mit dem merkwürdigen
Unterkiefer abgebildet , und ich verdanke der Güte des Herrn
Ritter B l u m e n b a c h , dieses gelehrten Anthropologen, als eine Erklärung
zu diesem Kupfer, die kurze Beschreibung jenes Schädels, welche
diesem iten Gapitel des 2ten Theiles meiner Reise, als Anhang beygefügt
E i n i g e Wor t e über die Botocudcn 7
ist (-). Gewifs wird jene Zugabe aus der Feder eines so geachteten Gelehrten
allen Naturforschern und Anthropologen willkommen seyn. Der
Botoque ist den Botocuden im Essen ungemein hinderlich , und Unreinlichkeit
ist die unmittelbare Folge davon C^^O- Tauschten wir ihnen die
Ohrhölzer ab, so hiengen sie den dadurch leer gewordenen weiten Rand
des Ohrläppchens auf den oberen Theil des Ohres Das weibliche
Geschlecht schmückt sich, wie das männliche, mit dem Botoque-, doch
tragen die We ibe r ihn kleiner und zierlicher als die Männer. AufTaf. i3,
Figur 5. ist ein solches Holz einer Frau in natürlicher Gröfse abgebildet.
Selbst den übrigen Stämmen der an der Ostküste wohnenden Tapuyas
ist diese widrige Vei^unstaltung sehr auffallend, denn den meisten von diesen
gilt sie als Merkmal, wonach sie die Botocuden benennen, so zum
Beyspiel geben ihnen die Malalis, die jetzt nur noch als Rest ihres Stammes
unter dem Schutze des ^uartel von Passanha am oberen Rio Doge
wohnen, den Nahmen Epcoseck, das ist: Grofsohr.
Es herrscht bey sehr vielen amerikanischen Völkerschaften der Gebrauch,
die Unterlippe zu durchbohren. Die Stämme der Tupinambas an
den brasilianischen Küsten, trugen grüne Nephrit-Steine in der Unterlippe;
von den Stämmen der Urvölker in Paraguay berichtet uns A z a r a das-
{*) Herr Ritter Blumehbach hat seitdem das 6te Heft seiner Decades Cranionim
herausgegeben, -vvo auf ¿er 58ten Platte die Abbildung des eben genannten Schädels mit der
dazu gehörigen Erklärung gegeben ist.
(**) Sie Terliauften uns olme Umstände diese Zierrathen. Wir machten dabey die
Bemerkung: dafs diejenigen, welche den Werth des Geldes schon kannten, doch die einzelnen
Stücke nach ihrem Werthe nicht unterschieden, sondern nahmen, was ihnen angeboten wurde,
•nenn es nur rund war. Sie nannten jede portugiesische Münzsorte Patacke^ ein Nähme der
blos einer Münze zuliommt, die etwa den Werth eines Gulden hat.
Denselben Gebrauch fand Co o k auf der Ostcrinsel, s. dessen zwejte Reise um die
W e l t , Vol. I. tab. 46, pag. 291. »Both men and women haTe very large holes, or rather
flits in their ears, extendet to near three inches in length. They sometimes ilit over the
upper part, and than the ear looks as if the flap was cut off.
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