Expedition selbstverständlich noch keine vollständige Erforschung der Flora der besuchten
Inseln erwartet werden kann, so reicht das mitgebrachte umfangreiche Material, abgesehen
von der anfänglich nicht mit in das Arbeitsprogramm aufgenommenen Insel Flores, doch
aus, um sich über den Charakter und die Zusammensetzung dieser Flora schon jetzt ein
orientierendes Gesamturteil bilden zu können.
Eine zweite Schwierigkeit liegt darin, daß die schon Vorhandene Li t e r a t u r zu
einem beträchtlichen Teile nicht sehr zuverlässig ist und nicht ohne eine kritische Sichtung
Verwendung finden kann. So lassen z. B. Me z ens Bearbeitung der Myrsinaceen und
Br a n d s Monographie von Symplocos in E ng l e r s „Pflanzenreich“ in Bezug auf die Zuverlässigkeit
der Bestimmungen und die Abgrenzung der Arten viel zu wünschen übrig,
und nach der Schnelligkeit, mit der die Anonaceen des Leidener Reichsherbars für genanntes
Sammelwerk durchgesehen wurden, kann man auch für diese umfangreiche Pflanzenfamilie
keine mit deutscher Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit ausgearbeitete Monographie
erwarten.
In den folgenden Betrachtungen stütze ich mich daher einstweilen fast ausschließlich
auf die Abteilung der Blütenpflanzen oder Phanerogamen, da ich mit diesen besser vertraut
bin, und in den Verbreitungsangaben sollen diejenigen, die ich selbst an der Hand von
Belegexemplaren nachgeprüft habe, durch ein 1 hervorgehoben werden. Denn es liegt in
der Natur der gestellten Aufgabe, daß ich mich nicht auf das von der Expedition gesammelte
Material beschränken kann, sondern auch die übrigen Inseln des Archipels und
die angrenzenden Kontinente und Inselgruppen, ja selbst das weit entfernte Amerika mit
berücksichtigen muß. Für Indonesien gelangen auf diese Weise auch zahlreiche Verbreitungsangaben
zur Verwendung, die bisher noch unveröffentlicht in den reichen Pflanzenschätzen
des Reichsherbars aufgespeichert lagen.
Schließlich ist einer erschöpfenden Lösung der gestellten Frage auch der Umstand
nicht besonders günstig, daß die Sy s t ema t i k der h ö h e r e n P f l a n z e n bis vor kurzem
von der Darwinschen Entwicklungslehre noch verhältnismäßig wenig berührt wurde und
sich noch vorwiegend mit analytischer Klassifikation statt auch mit der Synthese des Stammbaumes
befaßte. Seit einer Reihe von Jahren habe ich mich nun zwar bemüht, bei den
Blütenpflanzen die gegenseitigen Verwandtschaftsbeziehungen der Familien zu ermitteln
und in Form eines Stammbaumes zur Darstellung zu bringen,1) aber innerhalb der Familien
sind zur Ermittelung dieses Stammbaumes nur erst verhältnismäßig wenige Anfänge gemacht
worden. Bei vielen Pflanzengruppen, deren Stammbaum noch nicht bekannt ist und
bei welchen man also auch noch nicht darüber orientiert ist, welches ihre ursprünglicheren,
welches die jüngeren Typen sind, wird man sich vorläufig damit begnügen müssen, überhaupt
die Wege zu ermitteln, auf denen sie gewandert sind, ohne schon feststellen zu
können, ob diese Wanderung in der einen oder der entgegengesetzten Richtung stattgefunden
hat. Die Convolvulaceen-Gattung Erycibe hat man z. B. bisher allgemein für, eine typisch
asiatische Gattung gehalten; aber ihre Westgrenze hat sie in Ceylon und Vorderindien,
und ihre nächsten Verwandten sind die madagassische Gattung Humbertia und die auf das
mittlere Amerika von Mexiko bis Französisch-Guiana und Peru beschränkte Gattung Maripa.
Man wird also die zwischen Maripa und der in Queensland liegenden Ost- und Südgrenze
von Erycibe bestehende weite Lücke dadurch überbrücken müssen, daß man für diese
Sippe der Erycibeen ein früher zusammenhängendes Verbreitungsgebiet annimmt, welches
*) Vgl. H. H a l l i e r , L’origine et le système phylétique des Angiospermes, exposés à l’aide de
leur arblrè généalogique. Ifc Archives néerl. sc. exact, et nat., sér. III B, tom. I (1912), S, 146—234.
auch die Kluit zwischen Neuguinea, Queensland und Mittelamerika überspannte, dann aber
durch das Versinken großer Ländermassen geteilt wurde. Auch bei der Ermittelung der
Geschichte der Gattung Symplocos kann man leicht zu falschen Ergebnissen kommen, wenn
man dabei rein statistisch nur ihre jetzige Verbreitung in Asien und im Archipel ins Auge
faßt. Denn daraus, daß sie in den Gebirgen Südasiens in einer großen Zahl von Arten
auftritt, die nach dem Archipel und der Südsee hin rasch abnimmt, folgt noch nicht, daß
in Asien ihr ursprüngliches Entstehungs- und Verbreilungszentrum liegt. Da sie auch in
Mittel- und Südamerika eine artenreiche Entfaltung erfahren hat, westlich von Kumaon und
in ganz Afrika aber völlig fehlt, so dürfte wohl auch sie in Océanien entstanden sein,
und zwar aus der besonders auf Neukaledonien ziemlich artenreich entwickelten Linaceen-
Sippe der Hugonieen, und von diesem Entwickelungszentrum aus ist sie dann weit nach
Westen, Norden und Osten gewandert, '
Derartige Fälle zeigen, wie leicht man bei der Lösung solcher komplizierter Fragen
zu Trugschlüssen gelangen kann, wenn man sich nicht auf eine möglichst breite Basis von
kritisch gesichteten Tatsachen stützt und der Statistik, die in der richtigen maßvollen Anwendung
neben anderen Forschungsmethoden selbstverständlich auch ein wertvolles Hilfsmittel
bildet, eine übertriebene Bedeutung beimißt.
Im Folgenden habe ich mich nun bemüht, solche Fälle, die zu Mißdeutungen
Anlaß geben können, möglichst von der Betrachtung auszuscheiden und meine Schlußfolgerungen
möglichst nur auf solche Arten und Pflanzengruppen zu stützen, aus deren
jetzigem Verbreitungsgebiet mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden kann, ob sie
asiatischen oder australischen Ursprungs sind.
Die Wallace’sche Linie und die geologische Gliederung des Archipels.
Wie Herr Hofrat Dr. B. Ha g e n im Vorwort dieses Werkes auseinandergesetzt hat,
bestand ja die Aufgabe der Sunda-Expedition vornehmlich darin, durch eine möglichst
vielseitige Kombination zoologischer, anthropologischer, botanischer und geologischer Untersuchungen
festzustellen, ob die von Wa l l a c e aufgestellte scharfe Gr e n z l i n i e zwi s chen
As i en u n d Au s t r a l i e n und im Besonderen zwischen Java oder Bali und Lombok
existiert oder nicht.
Wie schon die Vettern Sa r a s i n hervorgehoben haben,1) stehen sich in dieser
Frage hauptsächlich zwei grundverschiedene W e l t a n s c h a u u n g e n gegenüber. Die eine,
ältere, betrachtet die jetzige Verbreitung der Tier- und Pflanzenwelt als etwas Gegebenes
und beantwortet das Problem in analytischem Sinne, indem sie sich mit oft recht vergeblicher
Anstrengung bemüht, die Oberfläche der Erde in scharf umschriebene Faunen-
und Florengebiete und diese wieder in Provinzen einzuteilen. Die jüngere behandelt das
Problem im synthetischen Sinne von Darwins Entwickelungslehre, indem sie überall die
organischen Zusammenhänge nachzuweisen und eines; aus dem anderen abzuleiten sucht.
Zwar bestreitet diese letztere Anschauungsweise nicht grundsätzlich, daß gelegentlich auch
einmal zwei benachbarte Ländermassen während einer längeren geologischen Periode durch
eine unüberschreitbare Kluft von einander getrennt waren und diese scharfe Abgrenzung
auch noch in ihrer jetzigen Pflanzen- und Tierwelt erkennen lassen. Aber im allgemeinen
nimmt sie doch an, daß sich die Erdoberfläche in fortwährender organischer Veränderung
*) Dr. P. und Dr. Fr. S a r a s i n , Über die geologische Geschichte der Insel Celebes auf Grund
ihrer Tierverbreitung (Wiesbaden 1901), z. B. S. 143.