Pi-Pair streckte sich, um auszuruhen, aui dem Boden aus und sagte zu P i-Säu:
„No-ga ütukl“, „Such mir meine Läuse ab“. Nach einiger Zeit murrte sie: „Du machst
es nicht gut, ich habe Schmerzen und will Dir einmal Deine Läuse absuchen“. Sie nahm
das Kind auf ihren Schoß und kraulte solange seinen Kopf, bis es schläfrig wurde. „Geh“,
sagte^ darauf freundlich die Alte, „nimm mein Kopfkissen und lege Dich schlafen.“ Als
Pi-Pair aber sah, daß die Kleine fest schlief, holte sie ihr Schwert, Wisi-fna (d. h. die
Mutter aller Waffen), und trennte ihr den Kopf vom Rumpf. Sie schnitt dem Mädchen auch
noch Hände und Füße ab und vergrub diese in der Nähe der Feuerstelle. Darauf nahm
sie einige Stücke von dem Menschenfleisch, kochte, räucherte und aß dieses.
Am anderen Morgen ging Pi-Pair zur Familie des Ma-K6a zurück, und als die Mutter
Pi-Löuk nach ihrer Tochter fragte, antwortete die Riesin: „Pi-Säü ist in Eurem Garten auf
Lerkäna und trotz meines wiederholten Rufens hat sie sich geweigert mitzugehen, gebt
mir darum ihre ältere Schwester mit, um sie zu holen“. Pi-Pahi ging darauf, nichts ahnend,
mit der bösen Riesin, welche auch sie nicht nach Lerkäna, sondern nach ihrer Höhle führte.
Vor dieser trat Pi-Pair an den dort stehenden Bambusstrauch, schlug sich ein Glied des
Rohres heraus und sagte in ihrer Sprache: „Pupun tän möa Puik-lalang no Mau-Ialang!“
d. h. „Bambusrohr1) nimm auch Puik-lalang und Mau-Ialang auf.“
Das Kind hatte jedoch die Worte halb verstanden, trotzdem in seiner eigenen Sprache
das Bambusrohr „karüsu“ hieß und frug daher: „Ina hiet tän 15?“ d. h. „Großmutter, was
denn noch nehmen?“ „ 0 “, antwortete Pi-Päir: „Täan2) mälu Lerkäna!“ d. h. „0 , Speisen
von Lerkäna zu essen.“ Sie sagte also beim zweiten Mal, um das Kind irre zu führen „tän“.
Das Kind beruhigte sich durch diese Worte, ging mit in die Höhle und Pi-Palr
verfuhr mit ihr auf dieselbe Weise wie mit ihrer Schwester. Sie holte ihr Schwert, Wisi-
äna (d. h. das Kind aller Waffen) und während sie Pi-Pahi den Kopf abschlug, sagte sie:
„Wisi-äna täan Stan Puik-lalang nö Mau-Ialang“, d. h. „Wisi-ana, so sollst Du auch Puik-
lalang und Mau-Ialang töten“ (wörtlich essen).
Am folgenden Morgen ging Pi-Päir wieder zu den Eltern der erschlagenen Kinder
zurück und gebrauchte über deren Verbleib allerlei Ausflüchte, sodaß Pi-L6uk ihr darauf
ihre beiden Söhne Puik-lalang und Mau-Ialang mitgab. Als sie die Höhle erreicht hatten,
schlug sie wie früher einen Bambus ab und sprach dieselben Worte, wie tags vorher, was
den beiden sehr verdächtig vorkam. Als sie nun mit den Worten: „Lian no-pfeka“ die
Höhle geöffnet und mit „Lian no-säuk“ hinter sich geschlossen hatte, frugen die beiden
Knaben, denen der Geruch der Oberreste der Menschenmahlzeit in die Nase drang: „Wonach
riecht es denn hier so stark?“, worauf die Riesin leichthin erwiderte: „Das kommt von
den Schweinen, doch wollt Ihr vielleicht Reis essen?“ Während Puik-lalang einwilligte,
verweigerte Mau-Ialang die Speisen, da diejenigen anderer Leute für ihn verboten
seien. „Gut denn“, meint die Böse, „so werde ich nach Lerkäna gehen und aus Deinem
eigenen Garten Essen herbeiholen. Wartet nur auf meine Rückkehr.“
In Wirklichkeit ging Pi-Päir aber zu den anderen Riesen, um sie zur Hilfe zu rufen,
da ihr die zwei sehr stark schienen. Kaum hatte sie die Höhle verlassen, als die Jünglinge
dem Leichengeruch nachgingen und schließlich in der Nähe der Feuerstelie auch die Gebeine
ihrer Geschwister fanden. Vorsichtig wickelten sie die Überreste in ein Tuch, um diese
vor der Höhle zu vergraben. Als sie dieselbe verschlossen fanden, rief Mau-Ialang dem
Felsen zu, sich zu öffnen, doch dieser rührte sich nicht. Da kam Puik-lalang der Gedanke,
‘) Die Speisen kocht man hier nämlich in Bambusrohren.
2) tän bedeutet nämlich nicht nur „mehr“ und „nehmen“^ sondern lang gesprochen „tän = essen.“
die Stimme der Riesin nachzuahmen und die Worte zu sprechen: „Lian no-p£kal“ und
siehe da, der Felsenvorhang glitt in die Höhe. Nachdem die Gebeine bestattet waren,
riefen die beiden Brüder die Schwerter Wisi-ina und Wisi-ana zu sich und befahlen ihnen,
der Pi-Pair bei ihrer Rückkehr auf ihre Fragen die Antwort zu geben: „Wir sind krank
und haben bereits gegessen. Puik-lalang und Mau-Ialang sind auch krank, die haben schon
gegessen“, ferner: „Wir wissen nicht, wo sie sind.“
Als nun Pi-Pair mit den Riesen vor der Höhle erschien, rief sie ihren Schwertern
zu: „Wollt Ihr essen?“, worauf diese antworteten, daß sie gegessen hätten. „Gut“, erwiderte
sie, „dann wollen wir selbst vor der Höhle unser Essen kochen, sind Puik-lalang und Mau-
Ialang bei Euch?“ Beide bejahten es, wie Mau-Ialang ihnen befohlen hatte. „Und haben
die Knaben schon gegessen?“ „Ja“, lautete die Antwort, „doch sie sind krank, denn sie
haben die Reste ihrer Schwestern gefunden.“ Nach diesen Worten sprang Pi-Pair auf und
ging in die Höhle. Als sie die beiden nicht fand, stellte sie die Schwerter zur Rede.
Wütend über den Betrug, warf sie die Schwerter in die Ecke und schrie sie an: „Wohin
sind sie gegangen?“ und die Antwort lautete: „Wir wissen es nicht.“ Wie sehr nun auch
alle Puk-Nitun die Höhle absuchten, die Knaben waren nicht aufzufinden.
Pi-Pair, welche die vor der Höhle vergrabenen Knochen gerochen hatte, holte dieselben
wieder hervor und setzte sie den Puk-Nitun als Speise vor. Als die Riesen nach
Hause zurückgekehrt waren, machte sie selbst sich auf den Weg nach Ula-Gais, fand jedoch
niemand von der Familie des Ma-Köa.
Die aus der Höhle entkommenen Brüder waren nämlich zu ihren Eltern zurückgeeilt
und hatten von den Freveltaten der bösen Riesin berichtet. Voller Schrecken stob
die ganze Familie auseinander, fand sich aber später in Ili-kapuri, südöstlich des Tihu-Flusses,
wieder zusammen. Gemeinschaftlich zogen sie darauf nach Lihutau an der Nordküste.
Hier bauten sie ein Boot, um mit ihm nach der Insel Alor zu fahren, wo sie vor den Puk-
Nituns sicher zu sein glaubten. Zweimal versuchten sie vergeblich, dorthin zu kommen,
jedesmal trieb sie ein starkes Unwetter wieder zurück.
Mau-Ialang sagte darum zu seiner Mutter: „Siehe, Dein Leib ist gesegnet, laß uns
fürs erste hier bleiben und gutes Ackerland suchen. Vorher will ich aber das Orakel (ür)
der Pinangfrucht befragen, ob die böse Pi-PaTr noch am Leben ist. Wird die Nuß beim Kauen
rot in meinem Munde, so lebt die Riesin, schwärzt sie sich, so ist sie to t.i§ - Die Frucht
hat sich gerötet, Pi-Pair wird uns weiter bedrohen“. „Haben wir für Dich einen guten Acker
gefunden,“ so fährt Mau-Ialang zu reden fort, „so wollen wir Brüder nach Alor reisen, Du
und Vater Ma-Köa bleiben zurück.“
Die Brüder entdeckten nun in Loloruha auf der Westseite des jetzigen Tihu-Sees
schönen Ackerboden. Zum Abschied verabredete Mau-Ialang mit seiner Mutter folgendes:
„Wirst Du einen Sohn bekommen, so entzünde ein Feuer, damit die Puk-Nitun den Rauch
sehen, nach Alor aber sende uns einen Vogel mit der Botschaft. Puik-lalang übergab nun
seiner Mutter noch zwei Instrumente, das eine, um Zeug zu weben (enanö-ru no enanö-ta),
das andere, um aus Baumbast Kleider zu schlagen und sagte: „Wähle, Mutterl“ Diese
erwiderte: „Ich bin alt und kann den Webstuhl nicht mehr führen, darum gib den Baumbastklopfer.“
Puik-lalang reichte diesen der alten Pi-Löuk mit den Worten: „Nenne sie Wisi-ina
und Wisi-ana.“ *) Den Webstuhl aber nahm er mit sich nach Alor.2)
*) Der Klopfer heißt „ka-palu“, an der Südküste „kai-älu“.
*) „Daher kommt es“, erläuterte mir unser erzählender Häuptling, „daß die Aloresen Tücher zu
weben verstehen, während wir auf Wetar nur solche aus Baumbast machen können“.