Der jetzige „Posthouder“ Frieser hat ebenfalls wegen der Bösartigkeit der Bergbewohner
und der Angst der Küstenbevölkerung vor den Leuten von Perai, Tihu und
Teputi nur die Stranddörfer, sowie Leswerang in der friedlichen Landschaft Welemur, etwa
12 km nördlich Iliwaki, besucht. Als ich daher dem Beamten meine Absicht, die Insel bis
zur Nordküste zu durchqueren, mitteilte, trug er die verschiedensten Bedenken, erbot sich
aber dennoch dankenswerterweise sofort, mich zu begleiten. Im Jahre 1905 waren die
Überfälle der Bergbewohner im südöstlichen Küstengebiet derart häufig geworden,, daß
Frieser, so erzählte er mir, die Hilfe des Gouvernements anrufen mußte. Im Oktober desselben
Jahres erschien auch der Regierungsdampfer „Arndt“ mit 40 Soldaten unter einem
Leutnant. Kaum aber betrat Frieser als Erster das Land bei Arawalla, als die Eingeborenen
sich auf ihn stürzten, ihn umzingelten und ihm arg zusetzten; erst nachdem die Soldaten
ein Feuer eröffnet, wäre alles in die Berge geflohen, die Verfolgung jedoch nutzlos gewesen.
Ganz kürzlich aber
hätten die Teputi
im Osten der Insel
mehrfach die
Strandbevölkerung
überfallen und noch
am 21. Januar dieses
Jahres drei Mahuan-
Knaben geraubt;;
von denen hinterher
einer ohneZunge u.
Herz im Walde aufgefunden
wurde. Gerüchte
aber wußten
jetzt von augenblicklichen
Kriegszügen
der Bewohner
Perais und
Tihus,vonKämpfen,
Raub und Mordzügen
Fig. 141. We ta re sische s A uslege rboot vom indoma layischen Bootstypus.
im ganzen Lande, also von Zuständen zu berichten, welche für eine wissenschaftliche
Expedition wenig erfreuliche waren.
In den C h r i s t e n g e m e in d e n an der Südküste herrscht jedoch Ruhe und Ordnung.
Die sauberen Dörfer Iliwaki und Ilmedo liegen auf einer Korallenkalkterrasse etwa 35 bis
40 m u .d .M . Ihre weiß gestrichenen Häuser mit Vorgalerie sind in der von Ambon her
durch die Lehrer eingeführten höheren Bauart errichtet und gruppieren sich um einen freien
Platz mit der Wohnung des Dorfhauptes, des Orang Kaja,1 in der Mitte (Taf. XXXII,'Fig. 1).
Die Bewohner der Südküste beschäftigen sich außer mit Ackerbau mit dem Sammeln von
Meeresschnecken (lola), und -muscheln (batu laga), einem Hauptausfuhrartikel für Perlmutterfabrikation.
Sie bedienen sich dabei kleiner, mit Segelvorrichtung versehener Auslegerboote.
Diese ähneln teils den indomalayischen Bootstypen (bero, Fig. 141), teils den papuasischen
Modellen mit langem, hochgebogenem Schnabel.1) Sie sind mit eingeschnittenen, meist
bemalten geometrischen und Ranken-Ornamenten geschmückt.
■) Siehe Abbildungen bei Riedel (a. a. 0.), Taf. XLII1, 2, 3, 8, 10.
Während der Zeit unseres Aufenthaltes im gastlichen Hause des Beamten zu Iliwaki
bereitete uns Herr Frieser eine angenehme Überraschung. Er hatte u. a. zufällig vom
Jahrestage unserer Hochze%idem 16. Februar, gehört und in der Morgenfrühe brachten
die eingeborenen Schulkinder und erwachsenen Jünglinge und Jungfrauen der Christengemeinde
uns ein Ständchen nach der Melodie: „Stille Nacht, heilige Nacht“. Die sehr musikalischen
Wetaresen sangen sogar vierstimmig. Am Nachmittag desselben Tages erschien
die junge Gesellschaft noch einmal unter der Führung ihres ambonesischen Lehrers, die
Knaben in halblangen, weißen Hosen und Jacken, die Mädchen in Hängekleidchen von
europäischem Schnitt. Zu unserem großen Erstaunen stimmten sie noch „Die Wacht am
Rhein“ an, die sie später nach unserer Rückkehr aus dem Innern sogar mit deutschen
Worten und einem eigenartigen Akzent — rollendem „R“ und gutturalem „ai“ im Worte
„Rhein“ — wiederholten. Von dem musikalischen Talent dieses Volkes zeugen die wenigen
Stunden, in denen der Lehrer den Kindern diese und andere deutsche Lieder mit malayischem
Text, sowie die Flötenbegleitung beigebracht hatte.
In die fröhliche Sangesstimmung hinein ertönte plötzlich lautes Kriegsgeschrei.
Etliche. Bewaffnete stürmten unter heftigem Getöse der Trommeln herbei, schwangen die
Haumesser über dem Kopfe und stürzten auf uns los, sodaß die Hand unwillkürlich zur
Pistole griff, machten aber sofort Kehrt und führten einen wilden Kriegstanz (lore) auf.
Sie waren nur mit Schamschurz (ahas) bekleidet, hielten in der Linken Lanze (tear) und
Schild (era-lili) aus Schweinefell und in der Rechten den Klewang mit Haarschweif (opi).
Auf dem Kopf trugen sie hohe Kopftücher oder Federbüschel, und um die Beine waren
Ziegenfellstücke (era-lulu) gebunden (Taf. XXVII, Fig. 2). Sie sprangen mit rollenden
Augen auf dem Platze vor der Beamtenwohnung hin und her, stürzten sich aufeinander
und führten Scheingefechte aus. Ihr ganzes Gebahren, der erste Ansturm und das Geschrei
erschien so natürlich, daß man anfänglich nicht wußte, ob es Spiel oder Ernst war.
Hinterher erschienen die Frauen in langen Jacken, wie sie auf Ambon und in West-
Java üblich, worauf d f^ Wildheit einem ruhigen Rundtanz Platz machte. Sie stellten sich
zu beiden Seiten der Männer auf, hielten mit der Hand ein Tuch in die Höhe, in der
Weise, daß Ober- und Unterarm einen rechten Winkel bildeten und trippelten ständig auf
derselben Stelle. Manchmal zuckten sie im Takte mit den Händen, deren Flächen sie nach
außen hielten und senkten von Zeit zu Zeit die Arme.
Der Anblick dieser vergnügten Gesellschaft schwächte den schlimmen Eindruck,
den die Erzählungen über die Bergbewohner, welche man als Kopfjäger und Kannibalen
bezeichnete, auf uns gemacht hatte, ein wenig. Als uns jedoch am anderen Morgen die
Christenleute in das Innere begleiten sollten, erfaßte sie große Angst. Erst mein Versprechen,
sie mit 8 Gewehren und 3 Pistolen zu schützen und eine Anzahl Aloresen und Kambinger1)
(Taf. XXIX, Fig. 2), die gerade mit ihren Schiffen (Fig. 138) angekommen waren, anzuwerben,
beruhigte die Furchtsamen. Mit den als Händler ständig auf Wetar erscheinenden
Leuten von der Nachbarinsel Alor hat es nämlich eine eigene Bewandtnis. Die Aloresen,
hier Galigau genannt, gelten als Freunde und Stammesverwandte der Bergbewohner, welche
ihren Ursprung, wie auch ein später mitgeteilter kosmogenetischer Mythus zeigen wird,
von denselben Stammeltern herleiten. Sie sind die einzigen Menschen, die sich in das
■) Diese, sowie ihre Stammesgenossen im südwestlichen Wetar kennen Bogen und Pfeile, welche
letzten sie mit kleinen runden Lederschilden auifangen, während sie im Nahkampfe außer Haumesser,
und Lanze einen ähnlichen großen Schild benutzen. Das Blasrohr kommt an der ganzen Siidküste und
beim Welemur-Stamm vor.