Da das Rückengefäss in der Rumpfregion von den grossen Cardioblasten, in der Kopfregion
dagegen von den sehr viel kleineren Vasobiasten gebildet wird, so ist es erklärlich,
dass auch das fertige Rückengefäss aus zwei verschiedenen Abschnitten besteht, von denen
der hintere im Rumpf gelegene Abschnitt bekanntlich als „Herz“ bezeichnet zu werden pflegt,
während der vordere Abschnitt „Aorta“ genannt wird.
Herz und Aorta sind in der histologischen Struktur leicht von einander zu unterscheiden,
obwohl sie im Prinzip nach demselben Schema gebildet: sind. Das Herz besteht aus zwei
Schichten, aus einer äusseren aus Längsfibrillen zusammengesetzten bindegewebigen Adven-
titia und aus einer inneren starken Ringmuskelschicht. Das Vorhandensein einer sehr zarten
dritten als Intima beschriebenen Schicht, welche das Gefässlumen auskleiden soll, ist von einigen
Autoren angegeben worden, doch habe ich mich von der Existenz derselben ebensowenig wie
Duboscq (1898) überzeugen können.
Der Unterschied zwischen Herz und Aorta kommt vor allem in der Muskelschicht zur
Geltung. Bei dem Herzen ist die letztere aus den grossen halbmondförmigen Cardioblasten
heryorgegangen, welche sich derartig aneinander gelegt haben, dass ein Rohr resultiert. Dort,
wo sich die Hörner der beiderseitigen Halbmonde berühren, d. h. in der dorsalen und ventralen
Medianlinie ist natürlich dieWand des Herzrohrs am schmälsten. Diese Gestalt des Herzens, welche
Fig. XVIII wiedergiebt, erhält sich beim Scolopender zeitlebens und ist als ein Hinweis auf
seine Entstehung aus zwei ursprünglich getrennten Hälften zu betrachten. Die halbmondförmigen
Muskelzellen enthalten sehr grosse helle Kerne. Die Querstreifung im Plasma kommt
gegen Ende der Embryonalentwicklung zur Ausbildung. Die Adventitia des Herzens geht
nicht aus den Cardioblasten, sondern aus kleineren angrenzenden Mesodermzellen hervor.
Die sehr viel dünnere Muskelschicht der Aorta wird von den Vasoblasten gebildet. Die
Querstreifung ist daselbst weit weniger deutlich ausgeprägt, und ich konnte sie im Fetalstadium
überhaupt noch nicht erkennen. Die Vereinigung der Vasoblasten in der dorsalen und ventralen
Medianlinie ist überdies eine so innige, dass die Aorta ein vollständig drehrundes Rohr darstellt,
an dem später nichts mehr auf seine Entstehung aus zwei getrennten Hälften hindeutet.
Ein weiterer Unterschied zwischen Herz und Aorta besteht bekanntlich darin, dass ersteres
in 21 Kammern zerlegt ist, welche durch Klappen von einander getrennt werden, während
der Aorta Klappen und Kammern fehlen.
Bezüglich der Entstehung der Herzklappen habe ich nur soviel ermitteln können, dass
sie ebenfalls aus Cardioblasten hervorgehen, und zwar entstehen sie immer intersegmental
an den Stellen, an welchen die Cardioblasten zweier auf einander folgender Cölomabschnitte
sich berühren. An diesen Orten, die also den Dissepimenten der Ursegmente entsprechen,
findet regelmässig eine Anhäufung von Cardioblasten statt, welche in die sich bildende Herzhöhle
vorspringen und damit die Klappenbildung verursachen. Die typische intersegmentale
Anordnung der Herzklappen erleidet in soweit eine geringfügige Modifikation, als streng genommen
die Klappen nicht genau an den Segmentgrenzen liegen, sondern immer am hinteren
Ende eines jeden Rumpfsegments sich vorfinden. Diese Erscheinung steht im Zusammenhang
mit der oben erwähnten Verschiebung der Dissepimente nach vorn.
Die Bildung des Bauchgefässes (Epineuralgefässes) stimmt im wesentlichen mit derjenigen
des Rückengefasses überein, sie nimmt von den ventralen Ursegmentabschnitten ihren Ausgang,
welche proximal von der Ganglienanlage sich vorfinden. Diese Ursegmentabschnitte besitzen
von vorn herein bedeutend dünnere Wandungen als die korrespondierenden dorsalen Abschnitte,
und es zeigt sich in Folge dessen an ihrem medialen Ende, dort wo somatische und viscerale
Wand in einander übergehen, kaum eine nennenswerte Anhäufung von Zellen (Fig. 69 vbl).
Gleichwohl hat man aber die daselbst befindlichen Zellen als Vasoblasten anzusehen, sie fügen
sich in der Medianlinie der Ventralseite aneinander und liefern das röhrenförmige Vas ventrale
(Fig. 60 und Fig. XXII vv). Letzteres weist im Gegensatz zum Herzen ein erheblich geringeres
Kaliber auf, seine Wandung wird nur von einer einfachen mit kontraktilen Fibrillen versehenen
Zellenlage gebildet.
Bekanntlich besitzen die Chilopoden ausser den genannten hauptsächlichen Blutgefässen
noch eine grosse Anzahl von Lateralgefässen, die in segmentaler Anordnung sowohl vom
Herzen wie vom Bauchgefäss ausgehen, und zum Teil auch von der Aorta entspringen. Die
bezüglichen anatomischen Verhältnisse sind für Scolopendra von N ew p o rt (1843), von H e r b s t
(1891) und neuerdings besonders von D u b o s c q (1898) beschrieben worden.
Enstehung der verschiedenen kleineren Blutgefässe zu ermitteln, stösst deswegen
auf grosse-Schwierigkeiten, weil dieselben beim Embryo nur aus äusserst zarten Zellensträngen
bestehen, die von den umliegenden Geweben, namentlich den Tracheenstämmchen anfangs that-
sächlich kaum zu unterscheiden sind. Es, ist mir daher auch nicht möglich im Einzelnen die
Gefässbildung hier zu behandeln. Meine Befunde beschränken sich auf Folgendes.
Die Seitenarterien des Rücken- und Bauchgefässes entstehen intersegmental, und zwar
sind niemals an ihrer Bildung die charakteristischen grossen Cardioblasten beteiligt. Die Arterien
gehen vielmehr direkt aus denjenigen Mesodermzellen hervor, welche die Dissepimente zweier
aufeinander folgender Cölomsäckchen bilden. Indem dann die betreffenden Zellen, die gleichfalls
als Vasoblasten bezeichnet werden können, auseinander weichen, tritt zwischen ihnen die
Gefässhöhle hervor. Die letztere kommuniciert "von Anfang an mit der Herzhöhle resp. mit
der Höhlung des Bauchgefässes. Für das Bauchgefäss ist von H e rb s t (1891) die zutreffende
Angabe gemacht worden,, .dass die Seitenäste desselben an der rechten und linken Seite nicht
genau symmetrisch angeordnet sind (vergl. Fig. 66). Eine sichere Erklärung für diese Erscheinung
fehlt mir, doch scheint es, als ob die genannte Asymmetrie erst die Folge späterer
ungleicher Wachstumsvqrgänge sei.
Aus dem M itg e te ilten g e h t zur Genüge h ervor, dass die A rte rie n des Dorsal-
und V e n tra lg e fä s s e s n ich t als A u sstü lp u n g en d e r le tz te re n au fzu fa ssen sind,
so n d e rn d a s s sie m situ an g e leg t werden und e ig en en V a so b la s ten ih re E n ts te h ung
ve rd an k en .
Schon gleich nach der Bildung der Herzens sind in diesem einige Blutzellen vorhanden
(Fig. 55 blc), die in etwas späteren Stadien, wenn, die lateralen Arterien und kleineren Blutgefässe
sich erweitern, auch in letzteren sich nachweisen lassen.
Die ersten in dem Herzen eingeschlossenen Blutzellen sind höchst wahrscheinlich auf
dorsal gelegene Mesenchymzellen zurückzuführen. Ich habe schon vorhin darauf aufmerksam
gemacht, dass dorsal in der Embryonalregion des Eies auch einige isolierte Mesodermzellen
abgespalten werden. Letztere beteiligen sich nicht an dem Aufbau der Cölomsäckchen. Sie
haben nach Fertigstellung jener noch ihren früheren Platz beibehalten, und es kann keinem
Zweifel unterliegen, dass sie in die Blutbahnen gelangen und mindestens zum überwiegenden
Teil, vielleicht sogar sämtlich zu Blutzellen werden.
Zoologica. Jle ft 88. ' .pj