so beschreibt Verfasser dieselben als typische Gastrulaeinstülpungen, die den Urdarm darstellen.
Auch das Mesoderm ist hierbei beteiligt, indem sowohl an der vorderen, wie an der
hinteren Einstülpung durch eine Art Divertikelbildung Mesodermfalten angelegt werden, „Die
Entoderm-Einstülpung wird dadurch in drei Säcke zerlegt, von denen der mittlere den Urdarm,
die beiden seitlichen die Cölomdivertikel darstellen. Die Bildung des Meso- und Entoderms
geht also hier auf dieselbe Weise wie bei den Chaetognathen (Sagitta) und anderen Entero-
cöliern vor sich.“ In der Mitte des Muscideneies fehlt das „Entoderm“ und das Mesoderm
wird als mediane Einstülpung angelegt. Dieser selbständige Bildungsmodus des Mesoderms
sei indessen „auf cänogenetischem Wege“ erworben worden. An diese Ergebnisse werden
nun von Escherich noch einige allgemeinere Schlussfolgerungen angeknüpft, welche ich zum
Teil unten noch erörtern werde.
Die Bestimmtheit, mit der der genannte Autor seine Erklärungen vorträgt, die Gewissheit,
mit der seine Beobachtungen, sowie die entsprechenden früheren Befunde von Bütschli1)
an Musca als Belege von typischen reinen und ursprünglichen Entwicklungsvorgängen hingestellt
werden, während die Ergebnisse anderer Autoren an anderen Insekten cänogenetische, abgeleitete
und sekundäre Verhältnisse zeigen sollen, lassen jedenfalls das eine klar erkennen,
dass Escherich etwaige Bedenken an der Richtigkeit seiner Beweisführung und seiner Auffassungen
nicht gehabt hat, und dass er wohl überhaupt jede andere, als die von ihm vertretene
Erklärung für ausgeschlossen erachtet.
Und doch scheinen mir mancherlei Mängel der von Escherich gegebenen Deutungen
klar und offenkundig zu Tage zu liegen. Mir liegt es gewiss vollkommen fern, an den eigentlichen
Beobachtungen dieses Autors an dieser Stelle Kritik üben zu wollen, gegen seine Anschauungen
von den Insektenkeimblättern überhaupt kann aber der Einspruch nicht unterbleiben,
denn gegen sie sprechen meiner Ansicht nach drei Reihen von Thatsachen, welche mit den
gegebenen Erklärungen in offenbarem Kontrast stehen und nicht mit ihnen in Einklang gebracht
werden können. Diese Thatsachen sind 1. das Fehlen der Enterocölie bei sämtlichen
übrigen Arthropoden im Gegensatz zu der von Escherich bei den Musciden angenommenen
Enterocölie. 2. Die Entodermnatur der Dotterzellen bei den Arthropoden und die Unmöglichkeit
dieselbe mit der Urdarmtheorie von Escherich in Einklang zu bringen. 3. Die anerkannt
hohe Spezialisierung der Dipteren und besonders der Musciden, welche es von vorn
herein ausschliesst, derartige Formen als Grundlage für allgemeine phylogenetische Erklärungen
zu verwenden. Ich gehe auf diese drei Punkte der Reihe nach ein, ich werde ferner die
Keimblätterbildung der Musciden mit derjenigen von anderen Insekten und von Scolopendra
in Zusammenhang zu bringen suchen und schliesslich einige Bemerkungen über die von Heider
herrührende und von Escherich adoptierte Annahme eines sogenannten latenten Entoderms
anknüpfen.
2. Die angebliche Enterocölie der Musciden.
An der gleichen Stelle, an welcher Escherich zum erstenmale in einem Vortrage2) seine
Anschauungen über die Muscidenkeimblätter mitteilte, hatte zwei Jahre vorher Ziegler in einem
Referate3) über die Cölomfrage in überzeugenderWeise auseinandergesetzt, dass die Enterocölie
1) O. Bütschli, Bemerkungen über die Entwicklungsgeschichte von Musca. Morphol. Jahrbuch, Bd. 14, 1888.
2) K. Escherich, Über die Keimblätterbildung bei den Musciden. Verhandl. deutsch. Zool. Gesellschaft 1900.
3) H. E. Ziegler, Über den derzeitigen Stand der Cölomfrage. Verhandl. deutsch. Zool. Gesellschaft 1898.
d. h. die Entwicklung der Cölomsäckchen als Divertikel des Urdarms nicht die ihr vielfach
zugeschriebene Wichtigkeit besitze. Es war von Ziegler schon bei dieser Gelegenheit
namentlich auch darauf aufmerksam gemacht worden, dass bei den Arthropoden die Entstehung
des Mesoderms durch Divertikelbildung vom Urdarm überhaupt noch zweifelhaft sei, weil die
vereinzelten diesbezüglichen Beobachtungen eben so gut auch anders aufgefasst werden könnten.
Ferner betonte dieser Autor, dass die Chaetognathen (Sagitta), weder in entwicklungsgeschichtlicher
noch in anatomischer Hinsicht ganz ursprüngliche und typische Verhältnisse zeigen.
Aus diesem Grunde erklärte sich auch Ziegler nicht damit einverstanden', dass man diese
Tiere „für die ganze Betrachtung der Leibeshöhlenfrage zum Ausgangspunkt nimmt.“ Man
hätte vielleicht erwarten sollen, dass diese Ausführungen zur Vorsicht bei ferneren Deutungen
und Erklärungen auf dem betreffenden Gebiete hätten mahnen müssen.
Gleichwohl versucht Escherich die Musciden als typische Enterocölier hinzustellen, denn
bei ihnen gehe ,,die Bildung des Entoderms und Mesoderms genau auf dieselbe Weise vor
sich wie bei Sagitta und anderen Enterocöliern.“
Ich muss gestehen, dass ein Vergleich zwischen zwei so total differenten und noch dazu
zwei so ausserordentlich extremen Tierformen wie die Fliegen und die pelagischen Chaetognathen,
bei welchen letzteren die verwandtschaftlichen Beziehungen überhaupt noch gänzlich
unaufgeklärt sind, mir von vornherein nicht sehr viel Wert zu haben scheint. Gewiss liegt
es doch unendlich viel näher, erst einmal die den Dipteren und Insekten nächstverwandten
Tierformen zum Vergleich heranzuziehen und zu prüfen, wie es sich dort eigentlich mit der
Enterocölie verhält. Hierüber ist aber in der Escherichschen Schrift nichts gesagt, und da
es sich um Verhältnisse handelt, die zur Beurteilung der einschlägigen Verhältnisse von grösser
Wichtigkeit sind, so muss ich mit einigen Worten darauf eingehen.
Schon oben (pag. 89) habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass noch bei keinem einzigen
Vertreter der Arthropoden (Crustacea, Xiphosura, Arachnoiden, Myriopoda, Insecta) die Enterocölie
nachgewiesen werden konnte. Dasselbe gilt nicht nur für die Arthropoden, sondern
auch für alle mit diesen Tieren in näherer oder entfernterer verwandtschaftlicher Beziehung
stehenden Deuterocölier, für die Onychophoren, Anneliden und Mollusken.1)
Vielleicht könnte man einwenden, dass doch bei den Insekten gelegentlich die Bildung
des Mesoderms in Gestalt von Urdarmdivertikeln beschrieben worden sei. Letzteres lässt sich
zwar nicht läugnen, indessen lehrt ein Blick auf die Litteratur, dass alle derartig beschriebenen
Fälle durch spätere Untersuchungen inzwischen auch regelmässig schon ihre Widerlegung gefunden
haben. Zur Orientierung mag folgendes dienen.
Von O. und R. Hertwig2) wurde zuerst die Enterocölie für Lepidopteren angenommen,
jedoch geschah dies seiner Zeit wohl namentlich auf Grund theoretischer Erwägungen, und
zur Erläuterung ist von den Autoren nur auf eine schematische Figur hingewiesen worden.
Beobachtungen, welche alsdann von Gräber (1890 pag. 57) angestellt wurden, sprechen nun
aber dagegen, dass ein derartiger Modus der Mesodermentwicklung durch Divertikelbildung
bei den Schmetterlingen thatsächlich stattfindet. Vor allem geht aber aus den neueren Be-
1) Die Annahme von dem Vorhandensein eines Urdarmdivertikels bei Paludina hat sich bekanntlich bereits als ein
Irrtum herausgestellt. Es könnten also höchstens noch die zur Zeit aber wohl ebenfalls kaum genügend sicher gestellten
Verhältnisse bei den Tardigraden in Frage kommen. Sieht man von diesen letzteren überhaupt sehr aberranten Formen
einmal ab, so steht es fest, dass in dem ganzen Verwandtschaftskreis der Articulata bisher kein Enterocölier gefunden ist.
2) O. und R. Hertwig. Die Cölomtheorie. Jena 1881.