funden von Schwartze (1899) hervor, dass die mediane Rinne bei Lepidopteren gar nicht die
Mitteldarmanlagen liefert, wie es von den Gebrüdern Hertwig damals eben noch vorausgesetzt
wurde. Diese Rinne kann dann natürlich also auch nicht als Gastrularinne oder Urdarmrinne mehr
aufgefasst werden, sondern sie stellt daher nur eine Mesodermrinne dar. Ganz ähnlich verhält es
sich mit den Angaben von Heider (1889), welcher in analoger Weise für Hydrophilus die
Bildung der Cölomsäckchen als Urdarmdivertikel beschrieben hatte. Abgesehen davon, dass
die eigentlichen diesbezüglichen Beobachtungen selbst über die Entstehung der Mesodermhöhlen
des Hydrophilus durch die Nachuntersuchungen von Gräber (1890) in sachlicher Hinsicht
nicht bestätigt werden konnten, ist inzwischen von Deegener1) auch für dieses Insekt der
Ursprung der Mitteldarmanlagen nicht aus der medianen Invagination, sondern aus dem Stoma-
todäum und Proctodäum beschrieben worden. Also auch die theoretischen Voraussetzungen
von Heider, soweit sie sich auf die Annahme einer „Gastralhöhle“ (Urdarmhöhle) bei Hydrophilus
beziehen, haben sich hiermit nicht als haltbar erwiesen. Etwas anders liegt es bei
Chalicodoma. Bei letzterer Form scheinen sich allerdings thatsächlich die Hohlräume der
Mesodermstreifen auf den bei der Einsenkung der Mittelplatte entstehenden Spaltraum zurückführen
zu lassen. Aber auch gerade bei der genannten Hymenoptere ist es nun von Carrière,
und Bürger (1897) wiederum ganz zweifellos festgestellt worden, dass die Mittelplatte eben
gar kein Entoderm oder Mitteldarmepithel, sondern dass sie nur Mesoderm liefert. Es ist
selbstverständlich, dass diese Platte unter solchen Umständen daher auch gar nicht den Boden
eines Urdarms oder Archenterons darstellen kann. Die durch Abfaltung von der Mittelplatte
entstehenden Mesodermstreifen können mithin auch keine Urdarmdivertikel oder Entero-
cölsäcke sein. Der Vollständigkeit halber sei endlich noch auf zwei Diagramme von Wheeler2)
verwiesen, welche die Enterocölie bei Doryphora und Blatta illustrieren sollen. Beobachtungen
an verwandten Insekten, an anderen Chrysomeliden von Lécaillon (1898) und àn anderen
Orthopteren sowie an Phyllodromia (Blatta) von mir selbst (1895 a) haben indessen bewiesen,
wie wenig diese, vom Autor zum Teil übrigens schon selbst als somewhat hypothetical bezeich-
neten Figuren der Wirklichkeit entsprechen.
D ie s e s n e g a t iv e R e s u l ta t h in s ic h tlic h d e r E n te r o c ö l i e b e i d en I n s e k te n
w ird g an z e r k lä r li c h so b a ld man d ie v e rg le ic h e n d em b ry o lo g is c h e n T h a ts a c h e n
be i d en n ä c h s t v e rw a n d te n T ie r fo rm e n b e r ü c k s ic h tig t. W ie ich in d ie s e r A b h
a n d lu n g z e ig e n k o n n te , i s t d a s M e so d e rm d e r In s e k te n a u f d a s M e so d e rm d e r
M y rio p o d e n u n d w e ite r a u f d ie p a a r ig e n M e s o d e rm s tr e if e n d e r A n n e lid e n
z u rü c k z u fü h r e n . Da n u n a b e r w e d e r die M y rio p o d e n n o c h d ie A n n e lid e n E n -
t e r o c ö li e r s in d , so f in d e t sich g an z n a tu rg em ä s s au ch b e i d e n In s e k te n k e in e
E n te r o c ö l i e vor.
Wenn man nun den obigen, seit längerer Zeit bereits bekannten Ergebnissen, welche
doch wohl nicht ganz übersehen werden dürfen, einige Beachtung schenkt, so dürfte es gewiss,
wie wohl ein Jeder zugeben wird, nicht gerade besonders wahrscheinlich sein, dass nun
die Musciden im Gegensatz zu allen bisher genau untersuchten Insekten und namentlich auch
im Gegensatz zu sämtlichen übrigen Arthropoden Enterocölier sein sollten. W ä r e d ie s der
F a ll, so m ü s s te n w ir fü r die e in h e itlic h e G ru p p e d e r A r th ro p o d e n zwei d iffe 1)
P.Deegener, Entwicklung der Mundwerkzeuge u. des Darmkanals v. Hydrophilus. Zeitschr.wiss.Zoologie, Bd.68,1900.
2) W. M. W heeler, The embryology of Blatta germanica and Doryphora decemlineata. Journ. Morphology, vol. 3.1889.
r e n te Modi d e r M e sö d e rm e n tw ic k lu n g an n ehm en . Dies würde eine Annahme sein,
zu der man sich jedenfalls aber nur dann entschliessen darf, wenn thatsächlich ganz überzeugende
Gründe dafür erbracht werden könnten, dass die Musciden in dieser Hinsicht wirklich
eine merkwürdige Ausnahme bilden sollten.
Während also Escherich die von ihm beobachteten Mesodermfalten am vorderen und
hinteren Ende des Muscidenkeims ohne weiteres für Urdarmdivertikel hält und diese Beobachtung
sogar als Stütze seiner Argumente verwendet, so lehrt ein Vergleich mit allen in
Betracht kommenden verwandten Tierformen, dass diese Auffassung in hohem Masse unwahrscheinlich
ist.
Gerade die Thatsache, dass bei den Musciden das Mesoderm zum Teil durch Abfaltung
von der vorderen und hinteren Einstülpung sich bildet, deutet eigentlich schon recht überzeugend
darauf hin, dass diese beiden medianen Einstülpungen in Wirklichkeit überhaupt gar
kein Urdarm sind, und' dass sie nicht mit dem Archenteron anderer Tiere verglichen werden
können.
3. Der sogenannte Urdarm der Museiden.
Die im vorhergehenden Abschnitte besprochene vordere und hintere mediane Einstülpung
des Muscideneies will ich in neutraler Weise zunächst als vordere und hintere Mitteldarmanlage
bezeichnen. Abgesehen von der geschilderten Art und Weise der Mesodermabfaltung
und abgesehen von dem noch unten zu erörternden Verhalten, dass die Mitteldarmanlagen
eben das resorbierende Darmepithel zu liefern haben, wird von Escherich nun ein besonderer
Wert darauf gelegt, dass diese Mitteldarmanlagen mittelst Invaginationen als „typischer Urdarm“
angelegt werden.
Dem Invaginationsprozess als solchem kommt aber zweifellos gar keine phylogenetische
Bedeutung zu. Es ist in dieser Hinsicht wirklich bedauerlich, dass die neueren Ergebnisse
auf dem Gebiete der vergleichenden Embryologie im ganzen noch so wenig Verständnis gefunden
haben. Wiederholt habe ich in meinen früheren Arbeiten darauf hingewiesen, dass
der einfachste Entwicklungsmodus eines tiefer gelegenen Organs von einer oberflächlichen
Zellenschicht durch solide Einwucherung sich vollzieht, während eine zusammenhängende
Einstülpung in zahlreichen Fällen erst eine sekundäre Modifikation darstellt. Die vergleichende
Entwicklungsgeschichte der Insekten wie auch diejenige anderer Tiere liefert hierfür genug
Belege, und bei einer aufmerksamen Durchsicht der Litteratur wird man finden, dass diese
Auffassung bereits von vielen Autoren in neuerer Zeit geteilt wird. Ich erwähne nur Ziegler1).
Von derartigen Erwägungen ist jedoch in der Escherichschen Arbeit nichts zu bemerken.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die letztere eine bisher weder erwiesene, noch auch
zu allgemeiner Anerkennung gelangte Meinung hindurch, nämlich die Voraussetzung, dass die
Invagination als solche immer ursprünglicher sein müsse. Ich verweise auf pag. 313, wo
sogar die Entwicklungsprozesse bei Hymenopteren, falls bei ihnen Einstülpungen fehlen, un-
1) Ziegler (Verhandl. Deutsch. Zool. Gesellschaft 1898 pagil) sagt: Wenn ein Organ bei manchen Tieren durch
solide Wucherung, bei anderen durch Einstülpung entsteht, so darf man nicht von vorn herein annehmen, dass die Einstülpung
der primäre Bildungsmodus sei; durch cänogenetische Abänderung kann ein ursprünglich solides Organ hohl angelegt
werden, ebenso gut wie eine ursprünglich hohle Anlage solid werden kann etc.
Zoolog ica. Heft SS. - 28