In diesem speziellen Falle lassen sich nun die bei den Insekten in Frage kommenden
Embryonalzellen für die Mitteldarmanlagen jedenfalls in keiner Weise von den angrenzenden
lind mit ihnen unmittelbar zusammenhängenden Ektodermzellen irgendwie unterscheiden. Das
embryonale Zellenmaterial im Vorder- und Enddarm sieht vollkommen gleichartig aus, und’
wenn man etwa behauptet, dass die prospektiven Potenzen einzelner dieser Zellen trotzdem
von vornherein immer abweichende gewesen seien, so ist dies eben eine willkürliche Annahme.
Nichts berechtigt dazu, irgendwo eine Grenze zu ziehen und zu sagen, bis hierhin wohnen den
Zellen von jeher vererbte entodermale Fähigkeiten inne, von dort an aber haben sie aber
immer nur ektodermale Eigenschaften gehabt.
Bei rein sachlicher Erwägung dürfte es wohl viel wahrscheinlicher sein, dass die vollständig
gleichartig aussehenden Zellen der Vorder- und Enddarmeinstülpung sich auch that-
sächlich wenigstens ursprünglich noch untereinander alle prospektiv gleich verhalten haben,
was übrigens wahrscheinlich auch gegenwärtig noch zum Teil der Fall sein wird. Erst ganz
allmählich im Laufe der Zeit mag das ursprünglich gleichwertige embryonale Zellenmaterial
des Stomatodäums und Proktodäums, dessen Aufgabe in der Lieferung chitinogener Zellen
bestand, verschiedene Bedeutung gewonnen und sich mehr und mehr auch noch an der Bildung
des mittleren Darmabschnitts beteiligt haben1). Gewiss könnte man hier vielleicht einwenden,
dass gleichartiges Aussehen der Zellen nicht immer ein Merkmal für die Gleichheit
ihrer Potenzen zu sein braucht2) andererseits lassen sich aber doch auch wieder viele Beobachtungen
dafür anführen, dass die prospektive Bedeutung der Embryonalzellen im wesentlichen
nur von ihrer Lagerung innerhalb des Körpers abhängt3) und die „Funktion des Ortes“ oder
anderer Umstände ist. Hiermit beginnt indessen bereits das Gebiet der Hypothese, und den
Erörterungen pro wie contra fehlt entscheidende Beweiskraft. Im allgemeinen scheint es mir
aber jedenfalls sehr wenig empfehlenswert zu sein, die Beurteilung der komplizierten embryonalen
Vorgänge dadurch zu erschweren, dass man durch subjektive Interpretation unbekannte
und vorläufig auch noch gar nicht bestimmbare Faktoren mit in Rechnung zieht.
Das Entscheidende können und dürfen allein die thatsächlichen Beobachtungen sein,
welche nun im Laufe der letzten Jahre zu dem unbestreitbaren Ergebnis geführt haben, dass
bei zahlreichen Insekten die Mitteldarmanlagen ausschliesslich von dem ektodermalen Keimblatte
herstammen. Es ist unter diesen Umständen daher auch allein folgerichtig, sie als
ektodermale Bildungen zu bezeichnen.
Ich habe zum Schluss noch besonders darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei
der in Rede stehenden Frage aber keineswegs um einen Streit um Worte oder Bezeichnungen
handelt, sondern dass es lediglich darauf änkommt, die Begriffe klar zu stellen.
Natürlich kann man ja schliesslich die embryonalen Zellenschichten benennen wie man
will. Man kann immerhin mit einem gewissem Rechte sagen, dass selbst nach der Entwicklung
des Entoderms die erst sehr wenig differenzierte Ektodermschicht, in der die Anlagen der
verschiedensten Organe zunächst enthalten sind, auch noch als „Blastoderm“ bezeichnet werden
dürfe. Man kann sich weiterhin ebenfalls auf den Standpunkt stellen, dass alles dasjenige
1) Die Ausscheidung chitiniger (cuticularer) Membranen lässt sich auch im Mitteldarm mancher Insekten feststellen.
2) K. Heider. Das Determinationsproblem. Verhandl. Deutsch. Zool. Gesellschaft 1900.
3) Ch. M. Child. The early development of Arenicola and Sternapsis. Archiv Entwicklungsmechanik. Bd. 9, 1900.
als „Entoderm“ zu erklären sei, was später einmal den Mitteldarm bildet, gleichgiltig wo und
wann das betreffende Zellenmaterial entsteht.
Nicht die grössere oder geringere Berechtigung solcher vom herkömmlichen Gebrauch abweichender
Nomenklaturen will ich hier erörtern, sondern lediglich und allein die Begriffe, die man
alsdann mit derartigen Benennungen verbindet. Denn wenn manche Forscher die embryonale Ektodermschicht
der Insekten auch noch nach der Gastrulation (Dotterzellenbildung) als Blastoderm
bezeichnen, so vergleichen sie das betreffende Stadium in irrtümlicher Weise mit dem
Blastulastadium anderer Tiere und thun dies eben mit der ausdrücklichen Motivierung oder
der stillschweigenden Voraussetzung, dass die dotterhaltigen Entodermzellen resp. die Dottermasse
mit den zunächst in ihr gelegenen Entodermzellen der Furchungshöhle entsprechen
sollen. Ganz ähnlich liegt es auch, wenn gewisse Autoren sich jetzt bemühen, sogar die bei
den Insekten vom ektodermalen Stomatodäum und Proctodäum herrührenden Zellen für verkapptes
und anachronistisches Entoderm zu erklären. Hier liegt eben die Absicht zu Grunde,
die Entstehung der beiden Mitteldarmanlagen der Insekten mit der Urdarmbildung und Invagi-
nationsgastrula anderer Tiere vergleichen zu können, eine Meinung, gegen welche indessen
ebenfalls, wie ich oben gezeigt habe, unbedingt eine ganze Reihe gewichtiger Bedenken geltend
gemacht werden muss.
Diese, gerade in neuerer Zeit wieder mehrfach vertretenen Auffassungen sind es, welche
ich nicht für richtig halten kann, und gegen die sich meine Auseinandersetzungen richten.
Ich habe es aus allen diesen Gründen für angebracht gehalten, die Bezeichnungen für
die Embryonalschichten bei den Arthropoden von vorn herein derartig zu wählen, dass sie
mit der üblichen Benennungsweise bei anderen Tieren übereinstimmen, und ferner, dass missverständliche
und irrtümliche Auslegungen dabei ausgeschlossen sind.
Befolgt man dies e Pr inz i p i e n , so wird man die Zel l e n de r v o rd e r e n und
h in t e r en Mi t t e ld a rman l ag e bei d e n bis j e t z t u n t e r s u c h t e n p t e r y g o t e n In se kten
nur als Ek to d e rmz e l l e n e r k l ä r e n können, denn es hand e l t sich hi er eben gena
u a u s g e d r ü c k t um soma t i s che Zellen, die se lbs t noch nach der Ga s t ru l a t ion
(der So n d e r u n g der p r imä r en Ke imb lä tt er von einander ) , j a s e h r häuf ig sogar
auch s e lb s t nach der Segmen t i e rung , dem Au f t r e t e n der Cölomsäck che n , der
Gang l i e n u. s. w. si ch noch im Ve rb än d e der Ek to d e rms c h i c h t bef i n de n und
die d e swegen n a t ü r l i ch auch unzwei f e l h a f t zum Ek to d e rm t o p o g r a p h i s c h
hi nzugehör e n . Dem aus dies e n Zellen h e r v o rg e h e n d en Mi t t e l darm wi rd man
in den b e t r e f f e n d e n Fä l l en da h e r in k o r r e c t e r We i s e einen e k to d e rma l e n Urs
prung zuz us chr e i b en haben.