Arachnoiden und Xiphosuren keine Extremitäten aufgefunden worden, selbst nicht bei niedrig
stehenden Formen, wie aus den entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen von Kingsley an
Limulus (1892), von Brauer (1895) an Scorpio hervorgeht. Hiermit stimmen auch die Befunde
an der überwiegenden Mehrzahl anderer Spinnentiere überein, und die Mitteilung von Jawo-
rowsky (1891), dass bei Trochosaembryonen vor den Cheliceren Antennenanlagen vorhanden
seien, bedarf daher noch der Klarlegung, zumal es wohl nicht ausgeschlossen ist, dass es sich .
in Wirklichkeit bei Trochosa um andere, vielleicht mit der Gehirnentwicklung in Zusammenhang
stehende Bildungen handeln mag, die mit Extremitäten nichts zu thun haben.
Der vor den Cheliceren befindliche Körperabschnitt besitzt bei den Embryonen der Arachnoiden
und Xiphosuren die Gestalt zweier umfangreicher Kopflappen, als deren Komponenten
ich bereits für die Kopflappen der Myriopoden und Insekten das Acron nebst dem ersten
postoralen Metamer nachweisen konnte. Es liegt nahe, die gleiche Zusammensetzung auch
für die grossen Kopf lappen der Spinnentiere anzunehmen, um so mehr als bei -letzteren die
Gliederung des Nervensystems wie auch diejenige des Mesoderms Anhaltspunkte gewährt,
welche eine solche Erklärung begünstigen.
Nach den Mitteilungen von Kingsley (1893) ist bei Limulus der innerhalb der Kopflappen
gelegene vor dem Chelicerensegment befindliche Abschnitt des Nervensystems nicht
einheitlich, sondern geht aus mehreren Ganglienpaaren hervor. Nach Brauer (1895) sind beim
Embryo von Scorpio in dem vor dem Chelicerenganglion gelegenen Gehirnteil zwei Querkommissuren
nachzuweisen, ein Umstand, der darauf hindeutet, „dass das Scorpiongehirn
sicher aus zwei Segmenten sich zusammensetzt.“
Gerade dieses letztere Resultat scheint mir deswegen von Wichtigkeit zu sein, weil es
gleichfalls dafür spricht, dass in den Kopflappen der Arachnoiden, wie ich bereits oben angedeutet
habe, die Bestandteile zweier Abschnitte, des Acrons und des ersten Metamers,
enthalten sind.
Das v o rd e re H irn s e gm e n t de s S co rp io n s würde demnach dem Sy n c e reb rum
von S c o lo p en d ra , das h in te r e H irn segm en t d e s s e lb en dem G an g lien p a a r des P rä a
n te n n e n s e gm e n ts d e r le tz tg e n a n n te n Form zu v e rg le ich en sein.
In das Arachnoidengehirn schmelzen bekanntlich ausserdem auch noch die Cheliceren-
ganglien ein. Uber die morphologische Deutung der letzteren gehen die Ansichten der beiden
französischen Autoren, denen die genaueste anatomische Untersuchung des Arachnoidengehirns
zu verdanken ist, von Saint Remy (1889) und Viallanes (1893) auseinander. Während ersterer
den die Cheliceren innervierenden Hirnabschnitt für homolog dem Tritocerebrum betrachtet,
vergleicht ihn letzterer mit dem Deuterocerebrum von Insekten und Myriopoden. Ich möchte mich
der Ansicht von Viallanes anschliessen, schon im Hinblick darauf, dass die Kommissuren der
Chelicerenganglien präoral verlaufen, gerade wie die Kommissuren des Deuterocerebrums bei
allen. anderen Arthropoden. Die Cheliceren der Arachnoiden selbst würden demnach den
Antennen der Myriopoden und Insekten entsprechen.
Die Annahme, dass die Kopflappen der Arachnoiden gerade wie die Kopflappen der
Insekten und Diplopoden durch Vereinigung des präoralen Acrons mit dem ersten postoralen
Metamer entstanden sind, findet in gewissen Fällen auch noch durch die Gliederung des Mesoderms
eine weitere Bestätigung. Ich mache hierbei besonders auf die Untersuchungen von
Kishinouye (1894) aufmerksam, der bei Agalena vor dem Chelicerensegment im Bereiche der
Kopflappen noch ein Paar von Cölomsäckchen nachgewiesen hat1). Die dort gelegenen prächeli-
ceren Mesodermsäckchen lassen sich ohne Schwierigkeit mit den im Präantennensegment von
Scolopendra befindlichen Ursegmenten vergleichen. Hiermit liegt also nunmehr ein sicherer
positiver Befund bei Vertretern von Spinnentieren vor, der mir jedenfalls für den hier in Frage
stehenden Vergleich von grösserer Wichtigkeit zu sein scheint, als die negativen Ergebnisse
von Kingsley (1893) und Brauer (1895), welche bei anderen Formen die vordersten Cölomsäckchen
erst im Chelicerensegment beobachteten.
Im letzteren, für Limulus und Scorpio, zutreffenden Falle, sind offenbar die prächeliceren
Säckchen schon verloren gegangen, und es liegt hier eben ein Verhalten vor, das mit demjenigen
der Insekten übereinstimmt., bei welchen die vordersten Ursegmente gleichfalls erst
dem Antennensegment anzugehören pflegen, während man dennoch auf Grund meiner Beobachtungen
an Scolopendra auch die Cölomsäckchen des Antennensegments bei den Insekten
schon als dem zweiten Metamer zugehörig betrachten muss.
Man wird, soweit die bish e rig en U n te rsu ch u n g en ein U rteil g e s ta tte n , demnach
zu d e r Annahme g e führt, dass de r bei A ra ch n o id en und G ig a n to s tra k en als
C e p h a lo th o rax b e z e ich n e te T e il sich aus dem Acron und 7 p o sto ra le n Metameren
zusammenfügt. Von den sieben Metameren ist das erste, vergleichbar dem rudimentären
Präantennensegment von Scolopendra gliedmassenlos und rudimentär geworden, auf seine Existenz
deutet nur noch die embryonale Gliederung des Gehirns und des Mesoderms in einzelnen
Fällen hin. Die folgenden sechs Metameren (2. bis 7. Segment) liefern die typischen sechs
Gliedmassenpaare des Cephalothorax, die Cheliceren, Pedipalpen und vier Beinpaare. Das
Cephalon oder der Cephalothorax der Arachnoiden und Gigantostraken unterscheidet sich also
von dem Cephalon der Tracheaten (Myriopoden und Insekten) durch ein Plus von nur einem
Metamer.
Ich wende mich jetzt zur Betrachtung der C ru sta c e en , deren Körpergliederung gerade
mit Rücksicht auf die Ergebnisse an Scolopendra ein nahe liegendes Interesse beanspruchen
dürfte. Der Nachweis von einem besonderen präantennalen Gliedmassenpaar bei den Embryonen
eines Myriopoden muss wohl schon ohne weiteres auf den Gedanken führen, dass bei den
letzteren noch zwei Antennenpaare zur Anlage gelangen, welche den bleibenden beiden Antennenpaaren
der Crustaceen entsprechen. Es würden von diesem Gesichtspunkte aus die
Präantennen des Scolopenderembryos mit den vorderen Antennen oder Antennulae der Crustaceen
sich vergleichen lassen, während die definitiven Antennen der Myriopoden als Homologa
der hinteren Antennen der Crustaceen zu betrachten wären.
So verführerisch eine solche Annahme auf den ersten Blick auch erscheinen mag, so
glaube ich sie dennoch nicht für richtig halten zu können. Freilich muss ich bemerken, dass
die in Betracht kommende Frage nach der primären Segmentierung des Kopfes bei den Krebsen
noch nicht in allen Punkten genügend geklärt ist, vielleicht noch weniger als dies bei den
Arachnoiden der Fall ist. Auch hier kann ich also meine Ausführungen nur unter gewissem
Vorbehalt geben, sie sind nur als Versuch zu betrachten, die bisherigen Angaben mit den
obigen Ergebnissen an Myriopoden und Insekten in Einklang zu bringen.
1) N och n ich t veröffentlichte U n tersu chu n g en , d ie H err S tu d iosu s P . Pap penheim im Z o ologischen In stitu t in B erlin
an S p in n en an g estellt h a t, h ab en eb en falls zu dem E rg eb n is gefü h rt, dass au ch b ei Dolomedes fimbnatus CI., m ithin bei
ein er Lycoside, ein P a a r w eiter, im p räch eliceren K opfteil g eleg en er C ölom säckchen v o rhan den ist.