unscheinbar bleibt, so ist es zweifellos, dass die von Ättems gegebene Erklärung im grossen
und ganzen schon das richtige getroffen hat, während die Darstellung von Verhoeff, der zufolge
das Kieferfusssegment der Chilopoden „eine noch ziemlich norm#: Bauchplatte hat“
nicht als zutreffend angesehen werden kann. Ich vermag ferner Verhoeff nicht beizupflichteni
wenn er die Vorderrandzähne (Zahnplatten) der Kieferfüsse als „Ventralplattenzähne“ künftig
bezeichnet wissen will, sie haben nach meinen Beobachtungen sicherlich nichts mit dem Sternit
zu thun, sondern gehören lediglich den Hüften der Kieferfüsse an und stellen demnach Coxal-
f o r t s ä tz e dar. Ebensowenig ist es auch genau genommen richtig, wenn Verhoeff den Satz
aufstellt, dass die Kieferfüsse der Chilopoden in der Regel viergliedrig seien. Hierbei sind
von dem Autor einmal die in der Sternocoxalplatte enthaltenen Coxalglieder unberücksichtigt
gelassen, welche wie bei Seölopendra,•S'gEnauch natürlich bei anderen Chiläjiöden ¡ebenfalls:
mitgezählt werden müssen, und ferner folgen bei Scolopendra auf die Hüften ursprünglich noch
5 weitere Glieder, so dass die Kieferfüsse der letzteren Form thatsächlich aus 6 Gliedern
hervorgehen.
Auch im hinteren Maxillensegmente kommt es, wie die Entwicklungsgeschichte lehrt,
bei Scolopendra zu einer Verbindung zwischen den beiden coxalen Beingliedern und dem
Sternit, so dass eine Sternocoxalplatte gebildet wird. Im vorderen Maxillensegment bleibt
dagegen das kleine Sternit selbständig, doch treten hier an den basalen Beingliedern wieder
zwei grosse Coxalfortsätze auf (Fig. IX coxl).
Die Coxalfortsätze an den vorderen Maxillen, welche in ähnlicher Weise auch anderen
Chilopoden zukommen, scheinen mir einen Vergleich mit den Kauladen der Insekten nahe
zu legen. Es ist vielleicht nicht ausgeschlossen, dass erstere den Lobi interni (Laciniae) der
Insekten oder vielleicht den Lobt interni und L. externi (Galeae) derselben zusammengenommen
entsprechen.
Freilich ist es nicht möglich, vorläufig von einer vollkommenen Homologie zu sprechen
doch handelt es sich in beiden Fällen jedenfalls um besondere Vorsprünge, die an der medialen
Seite der Extremität (des Kiefers) sich ausgebildet haben und deren ursprüngliche Bedeutung
als Hilfsapparate bei der Nahrungsaufnahme wohl ausser Zweifel stehen dürfte1).
Die Entstehung von Kauladen (Coxalfortsätzen) an den Extremitäten der Kieferregion
und die damit erfolgende Anpassung dieser Gliedmassen an eine bestimmte Funktion scheint
eine gewisse Rückbildung des ursprünglichen Extremitätenstamms zur Folge zu haben. Deutlich
lässt sich dies an den Maxillen von Scolopendra verfolgen, indem der Extremitätenstamm
an den vorderen Maxillen ganz kurz und reduziert ist, während er bei den hinteren Maxillen
auffallend dünn bleibt und eine Art Palpus darstellt.
Ähnliches lässt sich auch wieder bei den Insekten konstatieren, bei denen mit der Entstehung
der an der medialen Seite aufgetretenen Kauladen die Summe der übrigen distalen
Extremitätenglieder zu einem Palpus maxillaris oder labialis geworden ist.
Auch das Aneinanderlegen der Kieferpaare von Scolopendra in der Medianlinie des
Körpers, wo sie sich dann fest aneinanderfügen und zum Teil verwachsen, ist nichts auffallendes,
*) Ein Unterschied ergiebt sich namentlich in sofern, als die Coxalfortsätze bei Scolopendra an dem basalen Gliede,
die Laden der Insektenmaxillen dagegen am zweiten Gliede (Stipes) der Extremität aufzusitzen pflegen. Ich kann jedoch
gerade diese Differenz für nicht sehr wesentlich halten, denn wie ich kürzlich zeigen konnte (Nova Acta Acad. Lcop. Car.
Bd. 74, 1899) ist eine Gliederung der Coxa bei den Insekten keine ganz aussergewöhnliche Erscheinung.
sondern erinnert an den gleichen Vorgang bei den hinteren Maxillen von Insekten, welche
bekanntlich durch mediane Verwachsung das Labium bilden. Man kann demnach wohl mit
einem gewissen Recht sagen, dass wenn die Insekten eine Unterlippe haben, dass dann die
Chilopoden drei Labien besitzen, die ausser dem hinteren Maxillensegment auch noch dem
vorderen Maxillensegment und dem Maxillipedsegment zukommen. Dieser Umstand hat nun
wieder auf die Gestaltung des Hypopharynx Einfluss. Wird letzterer bei den Insekten von den
Sterniten des Mandibelsegments und (vorderen) Maxillensegments gemeinsam gebildet, so muss
er bei den Chilopoden auf das Mandibelsegment allein beschränkt bleiben, weil bereits im
ersten Maxillensegment die Extremitäten zu einer Art Unterlippe sich zusammengefügt haben.
D e r H y p o p h a ry n x von S c o lo p e n d r a i s t a n fa n g s ein e in f a c h e r m e d ia n e r
S t e r n a l f o r t s a t z , d e s s e n Z u s am m e n s e tz u n g au s zwei s ym m e tr is c h e n H ä lf te n
e r s t s p ä t e r d e u tlic h h e rv o r t r i t t , u n d w e lc h e r in k e in e r le i g e n e tis c h e r B e z ieh ung
zu E x tr em it ä t e n s te h t. Auch bei den Insekten habe ich stets eine derartige Bildung
des Hypopharynx beobachtet und kann daher alle Hypothesen, welche den Hypopharynx oder
seine distalen Fortsätze als modificierte Gliedmassen erklären wollen, nicht für richtig halten.
Für den Kopf des Embryo von Scolopendra ist es schliesslich noch charakteristisch,
dass die hinteren Maxillen Träger von zwei Cutikularfortsätzen sind, die als „Ei z äh n e “
fungieren. Derartige Gebilde wurden zum ersten Male von Metschnikoff (1875) bei Geophilus-
embryonen nachgewiesen, und ich konnte sie, ebenfalls in ganz entsprechender Weise und an
der gleichen Stelle auch bei Embryonen eines Vertreters der Chilopoda anamorpha, bei Litho-
bius forficatits L. auffinden. Hiernach scheint es, als ob das Vorhandensein paariger Eizähne
an den embryonalen hinteren Maxillen eine Eigentümlichkeit darstellt, welche zahlreichen oder
vielleicht sogar allen Chilopoden zukommt.
Die Bildung der gleichförmigen Rumpfgliedmassen des Scolopenders bietet wenig Interessantes
dar. Von einer Andeutung einer Zweiästigkeit, die etwa eine Annäherung an die
bekannten Spaltfüsse der Crustaceen gestattete, habe ich bei den in anderer Hinsicht so
primitiv organisierten Scolopenderembryonen nichts bemerken können. Da einige Autoren
die Meinung ausgesprochen haben, dass die Zusammensetzung aus 7 Gliedern als typisch für
die Myriopodenbeine anzusehen ist, so verdient hier wohl der Umstand hervorgehoben zu
werden, dass jedenfalls d ie ' Scolopenderbeine anfänglich ganz deutlich aus 8 aufeinanderfolgenden
Gliedern bestehen.
An den Extremitäten des 21. Rumpfsegments, welche später zu den sog. Endbeinen werden,
treten beim Embryo mit grösser Deutlichkeit g r if f e lfö rm ig e C o x a lf o r t s ä t z e hervor, die
auch beim erwachsenen Tiere noch als Vorsprünge erkennbar sind und als „Pleuralfortsätze“
bisher beschrieben wurden. Derartige embryonale Coxalgriffel, allerdings weit unvollkommener,
sind auch an einigen* der unmittelbar vorhergehenden Extremitätenpaare noch angedeutet.
Es liegt sehr nahe, diese Coxalfortsätze mit den Ventralgriffeln zu vergleichen, welche
bei niederen Myriopoden (Scolopendrella) an den Coxen der Rumpfbeine sitzen. Diese Fortsätze
sind allerdings im letzteren Falle, wohl in Anpassung an besondere Funktionen, abgegliedert,
während sie bei Scolopendra dauernd mit der Coxa verwachsen bleiben. Auch die
Abdominalgriffel- ('S’/yA) der Insekten gehören möglicher Weise in letzter Instanz mit in diese
Kategorie von Gliedmassenanhängen hinein, wiewohl hierbei zu berücksichtigen ist, dass sie
den Coxen lateral angeheftet sind.