Die knospenförmigen Bildungscentren der Lamina dorsalis cerebri sind oben in Fig. 65
(lambd) abgebildet. Dieselben entsprechen gewissermassen Gangliengruben en miniature und
führen zu einer weiteren Verstärkung und Verdickung der beiden Rindenplatten. Leztere
tragen namentlich zur dorsalen Bekleidung der Punktsubstanz des Archicerebrums bei und
geben damit in erster Linie zur Bildung der hinteren und oberen Decke des Vorderhirns
(„Protocerebrum“ im früheren Sinne) Veranlassung.
Noch längere Zeit hindurch ist an der dorsalen Wand des Vorderhirns eine paarige
wulstförmige Verdickungsleiste mit vielen Bildungscentren zu erkennen, die den daselbst eingeschmolzenen
beiden dorsalen Rindenplatten entspricht. Erst bei Beginn der Fetalzeit verschwinden
die letzten Spuren hiervon, indem sich dann das Zellenmaterial der Rindenplatten
vollkommen mit demjenigen des Archicerebrums vereinigt hat (Fig XXIV). Immerhin ist es
charakteristisch, dass das Vorderhirn dauernd in der Medianlinie eine leichte Einschnürung
aufweist, deren Zustandekommen sich dadurch erklärt, dass sich die Rindenplatten niemals
ganz bis zur Mittellinie erstreckt haben, so dass innerhalb der letzteren die Zahl der Ganglienzellen
eine beschränktere bleibt und an der betreffenden Stelle eine Einschnürung zustande kommt.
Diejenigen Ganglienzellen der medialen Hirngruben, welche nicht bei der Bildung der
dorsalen Rindenplatten Verwendung fanden, vermitteln die Verbindung zwischen dem ArehL
cerebrum und den aus den lateralen Hirngruben entstandenen Lobi frontales (Fig. 65 u. XXIV
lobfr), die ebenfalls noch zum Vorderhirn hinzuzurechnen sind. Die Frontallappen verdienen
allerdings beim Scolopender kaum diesen Namen, indem sie niemals selbständig werdern
sondern mit dem Archicerebrum zusammen eine einheitliche in transversaler Richtung ausgedehnte
Ganglienmasse darstellen.
Die Abgrenzung der ziemlich unscheinbaren Lobi optici (Fig. XXIV lobop) von den Lobi
frontales, tritt auch erst dann ein, wenn die 4 Augenpaare entstanden sind.
Abgesehen von den dorsalen Rindenplatten und den Lobi frontales tragen endlich noch
die Ganglien des Präantennensegments zur Bildung des Vorderhirns bei. Genauer gesagt
liefern dieselben gerade die breite Verbindung zwischen dem Vorderhirn (Procerebrum) und
dem darauf folgenden aus den Ganglien des Antennensegments entstandenem Mittelhirn (Meso-
cerebrum = Deuterocerebrum). Hieran kann ein Zweifel nicht obwalten, obwohl die betreffende
präantennale Hirnpartie, welche die Verbindung vermittelt, keineswegs scharf abgesetzt ist.
Das Zurückführen eines distinkten Hirnteils beim ausgebildeten Tier auf die Präantennenganglien
oder die Ganglien des Protocerebrums, wie ich sie nennen will, ist deswegen unmöglich,
weil eben in Folge der vollständigen Verschmelzung aller Teile die Grenzen zwischen ihnen
vollständig wieder verwischt werden.
An der dorsalen Fläche des Gehirns, an der Verbindungsstelle des Vorderhirns (Pro-
cerebrums) mit dem Mittelhirn (Mesocerebrum) entspringen einige Nerven, unter denen zwei
etwas stärkere auffallen (Fig. XXIII n. pran), die ihrer Lage nach sehr wohl als Nervi prae-
antennales gedeutet werden können. Sie treten jedenfalls aus demjenigen Teile des Gehirns
hervor, an dessen Bildung wohl zweifellos die präantennalen Ganglienanlagen beteiligt sein
müssen. Von Saint Remy (1889) sind diese beiden Nerven nicht beschrieben worden. Dieselben
verlaufen bis in die Nahe der Haut, ihre Endigung habe ich nicht festgestellt.
Die Ganglien des Antennensegments liefern wie erwähnt die sehr umfangreichen Loben
des Deuterocerebrums, welche vorn in das Protocerebrum übergehen. Die rundlichen Loben
des Deuterocerebrums liegen ursprünglich hinter dem Vorderhirn. Erst bei den Lageveränderungen
der Antennen gelangen sie ganz an die Spitze des Kopfes und liegen mithin dann,
wie die nebenstehende Fig. XXIII zeigt, vor dem Vorderhirn. Sie gewinnen die Form konischer
Zapfen (deut), von
ihrem zugespitzten
distalen Ende
gehen die Antennennerven
(n. an)
auSl Kpran --
Die Ganglien
des Intercalarseg-
ments bilden die *\ t -
Hälften des Trito- °^
cerebrums
(Fig; XXIII trit).
Dieselben nehmen
ihre Lage ventral
von den deuteror
cerebralen Lappen
ein, in welche sie
ohne scharfe Grenze
übergehen. Die
Loben des Trito-
crebrums entsenden
hinten ,;z;wei
Konnektive
(Schlundkommissuren)
, die den Ösophagus
umfassen
und zum Suboesophagealganglion führen;
j oo n.rec
Fig. XXIII. Umriss eines Gehirns mit den wichtigsten Hirnnerven eines ausgewachsenen
Scolopenders von der Dorsalseite gesehen. Die punktiert angegebenen Teile liegen tiefer
(weiter ventral), conn = Konnektive zwischen Gehirn und Suboesophagealganglion
(Schlundkommissuren), deut = Deuterocerebrum, n. an = Antennennerv, n. opt = die
vier Augennerven, n. pran = Präantennennerv, n. rec = Nervus recurrens, n. töm = Tömös-
vary’scher Nerv, po = Pons cerebri, r. arch = Regio archicerebri, r. lam. arch = Regio
laminae /dorsalis cerebri, r. pran = Regio praeantennalis cerebri, trit = Tritocerebrum.
3. Hirnkommissupen.
Eine Eigentümlichkeit von Scolopendra und auch mancher verwandter Chilopoden besteht
in der verhältnismässig undeutlichen Differenzierung und dem geringen Grade von Selbstständigkeit,
welche die Transversalkommissuren erlangen. Ich habe auf diese Eigentümlichkeit
bereits bei Beschreibung der Bauchganglien aufmerksam gemacht, sie trifft in ähnlicher
Weise auch für die Hirnganglien zu. .
Eine selbständige Suboesopffagealkommissur, die bei zahlreichen anderen Arthropoden
die Hälften des: • Tritocerebrums ventral vom Schlunde miteinander verknüpft oder doch eine
Verbindung zwischen beiden Schlundkonnektiven vor dem Suboesophagealganglion herstellt,
fehlt bekanntlich bei Scolopendra.