bedenklich alé „sekundäre auf einer Abkürzung''der Entwiicklung beruhende Verhältnisse'1
erklärt werden, sowie auf pag. 330, wo der Autor ohne Zögern von dem Ausfall der „Archen-
teronbildung“ bei den übrigen Insekten spricht, obwohl natürlich diääsntgßgeügesetzte. Meinung
ebenso berechtigt oder meiner Ansicht nach sogar noch besser begründet sein würde. Legt
man sich überhaupt einmal die Frage vor, welche1 Ursachen eä denn gewesen sein mögen, die
den Autor dazu verleitet haben, gerade die Muscidenentwicklung im Gegensatz zu derjenigen
anderer Insekten als besonders primitiv und ursprünglich hinzustellen, so kann es wohl keinem
Zweifel unterliegen, dass lbesonders das Vorhandensein einiger Inväginationen oder Einstülpungen
bei den genannten Dipteren hierbei eine wesentliche Rolle gespielt haben muss.
Angesichts dieses Umstandes muss ich hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen,
dass die vergleichende Entwicklungsgeschichte der Insekten das vollkommene Gegenteil lehrt.
Bei keinem einzigen anderen Insekt ist bisher die Entwicklung der Mitteldarmanlagen mittelst
Invaginationen festgestellt worden. Wenn Eseherioh diese Einstülpungen äp einigen Hymeno-
pteren noch zu finden hofft, oder wenn Invaginationen an einzelnen Formen späterhin auch
wirklich noch gefunden werden sollten, s'o wird doch das Gesamtresultat hierdurch sicherlich
keine Änderung mehr erfahren können, welches darin besteht, dass die Invaginationen bei der
Bildung der Mitteldarmanlagen der Insekten nur Ausnahmefälle sind.
Als Faktum hat sich fernerhin bereits ergeben, dass bei zahlreichen .(vielleicht allen®
niederen Insekten, gerade wie bei S’So pendra , irgend welche Invaginationen überhaupt während
der ganzen Bildungsperiode jägi der Entstehung der Embryonalschichten noch ^gänzlich fehlen,
dass dann bei einzelne^ Orthopteren und bei den meisten holometalHen Insekten bereits das
Mesoderm mittelst . einer medianen längsverlaufenden Rinne und schliés$lich mittem ein#: deutlichen
rohrförmigen Invagination angelegt wird,rund dass endlich bei den vpn Escherich untersuchten
Dipteren ausser dem Mesoderm sogar auch schon die beiden MitteldarmanlagÄi durch
Einstülpungen gebildet werden, je h ö h e r wir in d e r S tu f e n le i te r d e r I n s e k te n em p o rs
te ig e n , d e s to a u s g e p r ä g t e r w e rd e n a l s j |im a llg em e in e n die In v a g in a tio n e n ,
u n d es i s t d a h e r zw e ife llo s , d a s s sc h o n aus d ie s em G r u n d e b e i d en Mu se id e n
k e in e sw e g s m eh r prim itiv e :, s o n d e rn v ie lm e h r b e r e i ts e rh e b lio h a b g e le ite te
V e r h ä ltn is s e v o r h a n d e n s e in m ü ssen . Übrigens trifft die Existenz solcher mannigfaltiger
Invaginationen zunächst auch nur für die von Escherich studierten Musciden zu, sic
gilt aber durchaus nicht einmal für alle Dipteren, denn sogar bei MelophagüSf fehlen, wif
aus den Beobachtungen von Pratt1) hervorgeht,; eigentliche Einstülpungen gänzlich2), jr :
Verglichen mit der1 Entwicklung niedriger organisierter Arthropoden kann das Vorhandensein
der Invaginationen als solcher wohl schon als Beweis dafür angesehen werden, dass bei
den Musciden canogenetiseh stark veränderte Verhältnisse vorliegen müssen. Da nun fernerp
wie ich in dem vorigen Abschnitte gezeigt habe, die Abfaltung des Mesoderms von diesen
Invaginationen die Deutung der letzteren als „typischen Urdarm“ ebenfalls in hohem Masse
zweifelhaft erscheinen lässt, Sif&egt wohlftjetzt naturgemäss die Frage nahe , ob denn diese
1) H. Pratt. The embryonic history of imaginal discs in Melophagus ovinus L. etc. Proceed. Boston Soc. Nat. Hist,
vol. 29. 1900.
2) Es ist selbstverständlich, dass die Invaginationen als sekundär erworbene ontogenetische Eigentümlichkeiten nicht
allen hochdifferenzierten Insekten zuzukommen brauchen, ebensowenig wie beispielsweise etwa die Koncentration der Bauchganglienkette,
welche eine sekundäre morphologische Erwerbung ist, sich bei allen holometabolen Insekten ausgeprägt zeigt.
ganze von Escherich gegebene Erklärung und Auffassung überhaupt als zutreffend und richtig
angesehen werden kann.
Es ist hervorzuheben, dass der Verfasser der Muscidenarbeit in dieser Beziehung auch
nicht einen einzigen Versuch gemacht hat, seine Befunde mit den Ergebnissen über die Keimblätterbildung
bei den niederen flügellosen Insekten in Einklang zu bringen. Bei den letzteren
stellen bekanntlich die Dotterzellen das Entoderm dar, und ihre Bildung repräsentiert somit
das Gastrulastadium. Von den Dotterzellen der Musciden ist aber bei Escherich nur in wenigen
Zeilen die Rede, wobei sie einfach als in Degeneration begriffene Elemente geschildert werden,
„die am Aufbau der Keimblätter nicht den geringsten Anteil nehmen.“
Über die Bedeutung der Dotterzellen jedoch in dieser Weise so leichthin wegzugehen,
ist angesichts meiner Ergebnisse an niederen Arthropoden um so weniger statthaft, als
auch Lecaillon, Hertwig und viele andere Forscher schon mehrfach ausdrücklich auf die Bedeutung
der Dotterzellen bei der Beurteilung der Keimblätterfrage der Insekten hingewiesen
haben. Dass nun trotzdem jetzt die Einstülpungen der beiden Mitteldarmanlagen bei den
Musciden ohne Rücksichtnahme auf die Dotterzellen schlechthin als ein Fall von typischer
Gastrulation beschrieben worden sin d , ist jedenfalls eine offenkundige Lücke in der
Beweisführung von Escherich. Ich bedaure, diesen Vorwurf hier nicht ganz unterdrücken zu
können, da der Verfasser sich nicht darauf beschränkt hat, seine Befunde in objektiver Weise
mitzuteilen, sondern als er ihnen sogar ausdrücklich eine ausschlaggebende und grundlegende
Bedeutung für die Erklärung, der gesamten Insektenembryologie beimessen will.
Ich mache ferner darauf aufmerksam, dass die ganze Theorie von Escherich, welcher mit
seinen Deutungen allerdings fast in jeder Hinsicht die Meinungen einiger älterer Autoren
Übernommen hat, dass diese ganze Theorie überhaupt auch nur dann möglich ist, wenn noch
eine zweite Hilfshypothese hinzugenommen wird, die der Verfasser selbst als die „Zerreissungs-
Hypothese“ bezeichnet.
Bei der „typischen Gastrula“ der Musciden sind ja nämlich in Wirklichkeit doch zwei
Urdärme“ und zwei „Blastopori“ vorhanden, je einer vorn und einer hinten, während in der
Mitte nur Mesoderm entsteht. Dieses merkwürdige Faktum, dem bekanntlich bei den Gastru-
lationsvorgängen innerhalb des gesamten Tierreichs kein Analogon an die Seite gestellt werden
kann, soll nun dadurch zu erklären sein, dass ursprünglich der Urdarm über die ganze Ventralfläche
des Eies sich erstreckte1). Erst sekundär bei der starken Längsstreckung des Keimstreifens
sei der Urdarm dann so stark auseinandergezogen worden, dass er in der Mitte
auseinander riss, und er so nur an seinem vorderen und hinteren Ende bestehen blieb.
Man w ird je d o c h in d e r g an z en E n tw ic k lu n g sg e s c h ic h te d e r In s e k te n sowie
au ch in d e r E m b ry o lo g ie a lle r ü b rig en A r th ro p o d e n , b e i d e n en b e k a n n tlic h
g e r a d e wie bei d en In s e k te n in gan z e n ts p r e c h e n d e r W e ise e b e n fa lls ein la n g g
e s t r e c k t e r K e im s tr e ife n v o rh a n d e n is t, k e in e e in z ig e T h a ts a c h e fin d en , die
e in e so lc h e Z e r r e is s u n g s h y p o th e s e z u r Z e it irg e n dw ie a ls b e g rü n d e t oder auch
n u r p la u s ib e l e r s c h e in e n Hesse. Niemals ist bei den Arthropoden eine Zerreissung oder
auch nur eine beginnende Teilung des Urdarms irgendwie angedeutet, ja sogar von einer irgend-
1) Man wird hier wohl kaum die Entwicklung des Peripatus capensis als Beispiel nennen wollen, denn die letztere
ist in Wirklichkeit viel zu wenig aufgeklärt, und die Rolle, welche die bei Peripatus beobachtete Rinne gerade bei der
Blätterbildung spielt, thatsächlicli noch viel zu wenig bekannt, als dass ein näherer Vergleich mit den Insekten Wert hätte.