gerade der „Nordsee-Larven“ vorausgehen soll, erklärt sich abgesehen von der zeitlichen Folge
der Untersuchungen — die hier zu schildernden Verhältnisse gaben erst den Anlass, unsere
Anschauungen über die bekanntere Larve zu revidieren B - einerseits daraus, dass wir hier
die Neubildungsprozesse in viel schärferer Prägung antreffen, als bei den Mittelmeer-Larven,
wo sie sich mehr allmählich abspielen. Andrerseits sind auch die ganz eigentümlichen histologischen
Verhältnisse der Trochophora (bes. Nervensystem, Drüsen, Troche) bei den höher
organisierten Nordseelarven weit besser zu studieren, als bei den mediterranen Larven, welche
nicht den sprossenden Rumpf schützen und halten müssen und daher in allen ihren Teilen
viel weniger ausgebaut erscheinen.
Dagegen konnte die Entwicklung der Trochophora aus dem Ei, sowie das erste Auftreten
der Rumpf- und Kopfkeime*) nur an den Triestiner und Neapler Larven studiert werden.
Indessen führt die frühe Entwicklung der Mittelmeerlarve zu einem Stadium, an welches auch
die jüngsten pelagischen Larven der Nordsee anknüpfen, so dass durchaus anzunehmen ist,
dass die frühe Entwicklung beider Larventypen im wesentlichen übereinstimmt. Da diese nun
beide fast identische Anneliden (cf. Pol. neapolitanus u. P. lacteus) produzieren, ist eine solche
Gleichheit der Larven bis zur Rumpfbildung, die erst eigentlich den Unterschied beider Typen
bedingt, zum mindesten nicht unwahrscheinlich.
Soweit zur Einführung und zugleich vorläufigen Orientierung über die hier in Betracht
kommenden Verhältnisse.
Die Untersuchungen wurden im August bis Oktober 1895 in H e lg o la n d begonnen,
während welcher Monate die Larven dort (bes. im September) nicht selten sind, wenn sie
auch stets einzeln gesucht werden müssen und niemals annähernd in solchen Mengen auf-
treten, wie man ihre Verwandten zu Zeiten bei Neapel oder in der Adria trifft.
Es ergab sich dabei zunächst, dass die grossen Larven (Taf. I, Fig. 1 etc.) o h n e
dunkles Troch-Pigment zu P. lacteus, die um die Hälfte kleineren mit starker Pigmentierung
des Wimperreifs (Taf. I, Fig. 6 etc.) zu einer kleinen Spezies mit Aftercirren gehört, welche
vielleicht mit F r a ip o n ts P. appendiculatus in Neapel identisch ist, obwohl dieses Autors
Spezies-Diagnose in drei Punkten nicht passt. —
Erst im Frühling 1899 konnte die Arbeit wieder aufgenommen werden und im Spätsommer
desselben Jahres in Helgoland fortgeführt werden. Auch im August 1900 und 1901
gewährte mir die dortige Kgl. Biologische Anstalt Gastfreundschaft, für die, wie für die vielfachen
Bemühungen während meiner Abwesenheit ich dem liebenswürdigen Entgegenkommen
der Direktion und der Beamten zu herzlichem Dank verpflichtet bin. Ebenso möchte ich
hier die Gelegenheit benützen, den zoologischen Stationen in N e a p e l (1900), in T r ie s t
(1901), Rovigno und Villefranche (1901) für Gastfreundschaft und sonstige Unterstützung
bestens zu danken, ebenso den Herrn Dr. S c h n e id e r , K w ie tn iew s k y , A shw o rth für
freundliche Übersendung von Vergleichsmaterial. Endlich kann ich nicht umhin, meinem liebenswürdigen
Verleger, Herrn E. N ä g e le , sowie der Lithographischen Anstalt von W e r n e r
und W in te r für besonderes Entgegenkommen bei der etwas langwierigen Vorbereitung dieser
Arbeit herzlichen Dank zu sagen.
*) V ergl. citierten V o rtrag.
Historisches.
Die Geschichte der Helgoländer Trochophora beginnt mit Lovén*), der 1842 diese
Larve als die erste des Trochophoratypus beschrieb, welcher daher auch bekanntlich den
Namen „L o v é n s c h e L a r v e “ führt. Es ist merkwürdig: die Zoologie versteht unter diesem
berühmten Namen eigentlich eine an d ere Entwicklungsform, nämlich die der besonders, durch
H a ts c h e k bekannt gewordenen Mittelmeerlarve. Das rührt daher, dass Lovén selbst die
Entwicklung seiner Larve verkannte und in der Weise deutete, wie sie dann zufällig bald
darauf von Agassiz**) und Schneider***) an einer ändern Larve wirklich gesehen wurde.
Aus den Abbildungen L ové ns und auch schon aus dem Fundort (Nordsee) geht aber mit
Sicherheit ihre Zugehörigkeit zu unserem „Nordseetypus“ hervor, nur dass L o v én die Wurmfalten,
die innerhalb der Larvenhaut liegen, als Segmentierung dieser letzteren auffasst. „Die
obere erhöhte Seite (i. e. in Wirklichkeit Unterseite = H y p o Sphäre) schoss immer mehr
hervor und teilte sich in Ringe . . . Jeder neugebildete Ring bestand aus vier Teilen. Von
diesen waren zwei, der vordere und hintere, grosse, entsprechende, aussen von einer Muskelschicht
bedeckte Halbringe und die beiden ändern kurze .Seitenstücke, welche die vorigen
vereinigen.“ (1. c. p. 303.) Aus dieser Larve sollte ein Borstenwurm hervorgehen. S ch n e id e r
fand und untersuchte zwar den wirklich ihr zugehörigen Polygordius lacteus, fand aber wiederum
die rechte Larve nicht, sondern bildete dazu eine Mittelmeer-Larve von Villafranca ab,
die nun zwar der Beschreibung, aber nicht dem wirklichen Objekt Lovéns entspricht.
Dann wurde eine jedenfalls ähnliche Larve von M e ts c h n ik o f f (1870)f) beschrieben
und sie selbst ausführlicher von Rajewsksi¿(1871)ff) behandelt. R a jew sk i erkannte die Grundzüge
der Entwicklung richtig, vermochte aber nicht, in die eigentliche Natur der Metamorphose
einzudringen. Die Kopfbildung und „das Verwachsen des oberen Knotens ( = Scheitelplatte) mit
den Falten“ ist ihm „ganz dunkel geblieben“. Die Details der Entwicklung wie der Histologie
mussten ihm, da er im wesentlichen am Lebenden beobachtete, entgehen, jedoch sah er
z. B. den Ringmuskel und die Wimpergruben der Scheitelplatte. Die Drüsenzellen des Proto-
*) A rch . fü r N atu rg esch ich te von W iegm an n 1842.
**) A n n als o f th e L y ceum o f N at. H isto ry N ew -Y ork 1886.
***) M üllers A rch iv 1868.
f ) B ull. acad . S t. P etersb . XV. E in e ku rze N otiz ü b e r d iese sow ie die gew öhn liche „M ittelm eerlarve“ , b e i d e von
V illefranche.
f-j-) Ber.- d e r G es. d. F r. d. N atu rk . z u M oskau X. (russisch;)
Zoologien. Heft 34. o