habe ich einzelne Individuen von Scol. dalm. zu meiner Überraschung auch an einem weit
nördlich gelegenen Punkte erbeutet, nämlich an den Abhängen der Fiumara-Schlucht bei
Fiume. Ich erwähne den letzteren Befund besonders deswegen, weil das Vorkommen von
Scol. dalm. nördlich von Spalato bisher als durchaus zweifelhaft galt.1
In den genannten Gegenden sind die Scolopender namentlich an feuchten, schattigen
Orten häufig und durch Umwenden flacher Steine, unter denen sie sich tagsüber zu verbergen
pflegen, leicht zu erlangen. Ich sammelte die Tiere hauptsächlich im April, und es gelang
mir, zu dieser Zeit die Annäherung der Geschlechter zum Zwecke der Begattung zu beobachten,
obwohl ich leider nicht in der Lage war, den Vorgang der Kopulation im einzelnen festzustellen,
Bekanntlich ist es noch Gegenstand der Kontroverse, in welcher Weise sich bei den
Chilopoden die Befruchtung vollzieht. Die herrschende Anschauung ist diejenige von Fabre
(1855), welcher angegeben hat, dass bei den Chilopoden überhaupt keine Kopulation stattfinden
solle. Eine direkte Begattung wäre bei dem räuberischen Charakter dieser Myriopoden zu
gefährlich und würde nur zur Folge haben, dass bei dem Herannahen eines begattungslustigen
Tiers an ein anderes sich sofort ein Kampf entspinnen würde, in dem d a sr schwächere dem
stärkeren zum Opfer fiele, ohne dass der Zweck der Annäherung erreicht worden wäre.2 Die
männlichen Chilopoden sollen daher ihre Spermatozoen in Spermatophoren eingeschlossen auf
das Geratewohl zu Boden fallen lassen, und letztere alsdann von den weiblichen Tieren aufgesucht
und aufgenommen werden.
Diese Darstellung, gegen welche von Schaufler (1889) bereits manchérlei Bedenken vom
theoretischen Standpunkte .geäussert wurden, ist für die Scolopender meiner Ansicht nach mit
Bestimmtheit in das Bereich der Fabel zu verweisen. Ich habe während des Frühjahrs gar
nicht selten im Freien einen männlichen und einen weiblichen Scolopender friedlich nebeneinander
unter einem Steine angetroffen. Hebt man den Stein in die Höhe, so suchen allerdings
die Tiere meist blitzschnell zu entfliehen, doch war ich in einem Falle so glücklich, eine
so innige Berührung der beiden Tiere festzustellen, dass ich an dem thatsächlichen Vorhandensein
einer Begattung nicht mehr zweifeln kann. Die Tiere lagen schräg nebeneinander in
gewöhnlicher Weise auf der Ventralseite, ihre hinteren Körperenden waren etwas erhoben und
berührten sich gegenseitig, wobei die Endbeine sich kreuzten. Genaueres konnte ich leider
nicht entdecken, weil die Störung des Pärchens dessen schleuniges Auseinandergehen zur Folge
hatte. Die nach meiner Rückkehr vorgenommene Sektion der in dieser Situation überraschten
Tiere ergab, dass es sich um ein geschlechtsreifes Männchen und ein Weibchen handelte, und
die mikroskopische Untersuchung des letzteren zeigte ferner, dass die Receptacula seminis noch
kein Sperma enthielten, während man dieselben bei erwachsenen Individuen in der betreffenden
Jahreszeit in der Regel gefüllt findet. Dagegen waren reichliche Mengen von Spermatozoen
nebst Drüsensekret in der Genitaltasche und den Endabschnitten der Ausführungsgänge der
Receptacula seminis enthalten, so dass also die Befruchtung erst vor kurzem stattgefunden haben
1 Verhoeff (1893) fing allerdings ein Exemplar von Scolopendra dalmatica bei Abbazia, hält aber eine zufällige Verschleppung
desselben dorthin für möglich. Letzteres dürfte indessen bei-den von mir bei Fiume gefundenen Tieren nicht wahrscheinlich sein.
2 Fabre sagt: »La cohabitation de deux sexes donnait invariablement lieu à d’atroces tragédies, car les femelles,
plus vigoureuses rongeaient impitoyablement la tête de leurs mâles. Les Scolopendres surtout montrent à un haut degré
cette étrange antipathie trahissant des amours sanglantes que le mâle ne saurait satisfaire sans encourir de graves périls
pour sa vie.« Es sei hierzu bemerkt, dass nach meinen Beobachtungen selbst im Falle eines Kampfs auf Tod und Leben
der Sieger nicht den harten Kopf, sondern den Veicheren Rumpf des Unterlegenen anzufressen beginnt.
konnte. Leider hatte ich es unterlassen, an Ort und Stelle auch über die Spermatophore Beobachtungen
anzustellen und vermute, dass dieselbe während des Transports der Tiere abgefallen, ist.
Bei den in Gefangenschaft gehaltenen Scolopendern habe ich niemals eine Kopulation
oder selbst nur eine auffällige Annäherung der Tiere konstatieren können, vielleicht deswegen,
weil die Begattungsperiode nur auf eine ganz bestimmte Zeit während des Frühjahrs beschränkt
sein mag.
Nach den Erfahrungen, die ich an gefangenen Scolopendern gewonnen habe, kann ich
übrigens die Meinung nicht unterdrücken, dass die kriegerischen und raublustigen Eigenschaften
dieser Chilopoden bisher in übertriebener Weise dargestellt worden sind. Bei genügender
Fütterung ist der Kannibalismus bei den Scolopendern ausgeschlossen, und die Tiere leben
vollständig verträglich beisammen. Die gefürchteten Giftklauen dienen jedenfalls zum grossen
Teil auch nur als Verteidigungswaffen, von denen überdies dem Menschen gegenüber Scol. dalm.
nur in sehr seltenen Fällen Gebrauch macht, während eine mit der Hand ergriffene Scol. cing.
allerdings keinen Moment zögert, dies zu thun.
Als Beuteobjekte wählen die Scolopender mit Vorliebe weichhäutige, leicht zu bewältigende
Tiere, wie Lumbriciden und weiche Insektenlarven, auch gehen sie tote Kerftiere an. Vor
den energischen Bewegungen selbst kleiner Insekten -' schreckt ein Scolopender häufig zurück,
und nur der Hunger vermag ihn dazu anzutreiben, tollkühn auf beliebige Tiere loszugehen,
sogar auf Tiere, die er dann oft genug nicht einmal bewältigen kann. So, sah ich einmal
einen beutesuchenden Scolopender einen Geotrupes anfallen, der, durch seinen harten Chitinpanzer
vor den Bissen seines Gegners geschützt,- sich aus dessen Umklammerung ohne Schaden
wieder befreien konnte. Treffen zwei Scolopender unvermutet zusammen, so pflegen sie, falls
sie nicht eben ausserordentlich hungrig sind, im Momente der Begegnung meistens beide Reissaus
zu nehmen, ohne einen Angriff zu wagen. Sind sie aber durch irgend einen Zufall doch ganz
aneinander geraten, so umkrallen sie sich in der Verzweiflung gegenseitig und machen erst
dann, wenn sich gewissermassen beide in der Defensive befinden, von ihren Giftwaffen Gebrauch.
Ein derartiger Kampf pflegt fast immer mit der Tötung eines der beiden Beteiligten zu enden.
Wiederholt bemerkte ich Scolopender in der Gefangenschaft augenscheinlich mit Wohlbehagen
an fleischigen Früchten, sogar an Brot, gekochten Kartoffeln und ähnlichen vegetabilischen
Substanzen fressen. Wenn den Tieren in erster Linie auch zweifellos animalische
Kost zur Nahrung dient, so vermute ich doch, dass sie auch im Freien weiche saftige Pflanzenstoffe,
z. B. manche Pilze, nicht verschmähen werden.
Die Periode der Eiablage beginnt bei beiden Scolopenderarten Anfang Juni.1 Ende Juli
sind die Jungen gewöhnlich soweit ausgebildet, dass sie die mütterliche Pflege entbehren
können. Ich bemerke, dass diese Angaben auf Beobachtungen an Tieren beruhen, die ich
in Berlin nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen in einem Raum hielt, der mit Glas bedeckt
und den Sonnenstrahlen möglichst stark ausgesetzt war. Während des Sommers erwärmte
sich dort die Luft vielfach bis auf 40°—50° Celsius, so dass damit Temperatur Verhältnisse
erzielt waren, die von den heimatlichen wohl nicht allzu abweichende gewesen sein dürften.
In den Jahren 1895—1898 habe ich unter diesen Bedingungen mit grösser Regelmässigkeit
1 Bestimmte Beobachtungen darüber, dass Scolopendra cingulata L a lr. nicht vivipar ist, sondern sich durch Ablage
von Eiern fortpflanzt, wurden erst im Jahre 1897 durch Silvestri wie auch durch mich mitgeteilt.