Sagittalschnitt durch den Vorderkopf nebst Hirnanlage eiries Keimstreiferis am Ende der zweiten
Entwicklungsperiode darstellt. Präantennen (pran) und Stomatodäum (stom) sind angeschnitten.
Die Hirnanlage (arch, pst und lambd) erscheint winkelförmig gebogen.
Diese Gestalt erklärt sich durch die Ein Wucherung der von den medialen Hirngruben
gelieferten Ganglienmassen, deren Zusammenhang mit dem Archicerebrum deutlich zu erkennen
ist. Letzteres hängt zwar noch an einigen Stellen mit der oberflächlichen Ektodermschicht
zusammen, hat aber bereits proximal Punktsubstanz zur Entwicklung gebracht.
Diejenige Ganglienmasse, welche von'der medialen Hirngrube ausgegangen ist und sich
an das Archicerebrum angefügt hat (Fig 61 lambd), trägt zur Bildung des später an der Dorsalseite
des Vorderhirns (Procerebrums) befindlichen Mantels von Ganglienzellen bei. Es mag
dieser Teil dorsale Rindenplatte, Lamina dorsalis cerebri, genannt werden.
Ungefähr in der Zeit, in welcher die medialen Hirngruben mit der Produktion von Ganglienzellen
beginnen, lässt sich lateral von ihnen noch je eine weitere Invagination erkennen
(Fig. 14 ggvl). Die letzteren liefern hauptsächlich das Material für die Lobi frontales und vermutlich
wohl auch noch Zellen für die dem lateralen Rande der Frontallappen angehefteten
kleinen Lobi optici.
Bekanntlich setzen sich nun bei Scolopendra die Frontallappen überhaupt niemals deutlich
von der eigentlichen centralen Masse des Vorderhirns ab, sondern sie stellen eigentlich nur die
Seitenteile desselben dar. Ich will daher die als Ursprungsstätte für die Lobi frontales (und
optici) fungierenden Einstülpungen der Einfachheit wegen l a t e r a l e H i r n g r u b e n nennen.
Die lateralen Hirngruben nehmen das äusserste lateral umgebogene Ende der Ganglienrinnen
ein, sie treten somit also ebenfalls im präoralen Teil vor den Präantennen auf (vergl.
Fig. 14). Eine vollkommen in jeder Hinsicht scharf durchgeführte Trennung zwischen den
medialen Hirngruben und den unmittelbar an sie anstossenden lateralen Hirngruben giebt es
nicht, und die von diesen beiden Einstülpungen produzierten Ganglienzellen bilden demnach
auch später wiederum eine zusammenhängende Masse. Da die genannten Invaginationen überhaupt
nur das Resultat eines und desselben Bildungsgangs, nämlich einer an den betreffenden
Stellen stattfindenden intensiven Zelleinwanderung sind, bei der von der Oberfläche aus immer
aufs neue Gruppen von Zellen sich gleichzeitig in die Tiefe einsenken, so erklärt es sich, dass
am Boden der Haupteinstülpungen bezw. der medialen und der lateralen Hirngruben, gelegentlich
wieder kleinere sekundäre Einstülpungen bemerkt werden können. Dies gilt namentlich
für die etwas späteren Stadien, während anfangs die Dinge in der oben geschilderten einfachen
Weise sich vollziehen. Der ganze Vorgang der an den beiden Paaren von Hirngruben
stattfindenden Bildung von Ganglienzellen lässt sich etw'a mit dem Negativ einer Kraterbildung
vergleichen. Gerade wie auf dem Hauptkegel kleine parasitäre Nebenkrater hervortreten
können, so gehen hier von dem Grunde der Hauptinvaginationen (Hirngruben) kleinere Neben-
invaginationen aus.
Man sieht jedenfalls aber, dass die beiden primären als mediale und laterale Hirngruben
beschriebenen Einsenkungen die Hauptcentren für die Bildung sehr wichtiger Bestandteile des
Vorderhirns sind. Die bereits erwähnten, auch noch dem Vorderhirn angehörenden Lobi optici
entstehen am lateralen Rande der lateralen Hirngruben. Sie scheinen sich dort wohl grösstenteils
durch einfache Immigration von Zellen zu entwickeln, obwohl an ihrer Bildung die beiden
lateralen Hirngruben nicht ganz unbeteiligt sein mögen.
Ehe ich die definitive Zusammensetzung des Gehirns aus den genannten Anlagen schildere,
habe ich zunächst auf einige andere Gangliengruben aufmerksam zu machen, deren Gruppierung
indessen deswegen leicht verständlich ist, weil sie in den vordersten postoralen Segmenten
auftreten und überhaupt vollkommen den oben beschriebenen Gangliengruben typischer
Rumpfsegmente gleichwertig sind. Es handelt sich um drei Paar solcher Gruben* die sich
auf das Präantennensegment, das Antennensegment und Intercalarsegment verteilen. Gerade
wie die übrigen Metameren des Körpers, so sind natürlich auch die genannten drei vordersten
Segmente im Besitze typischer paariger Gangliengruben, welche nur in sofern eine gewisse
Sonderstellung einnehmen, als sie nicht mehr zur Bildung von Bauchmarkganglien verwertet
werden, sondern als sie bestimmte Hirnpartien zu liefern haben.
Die in Rede stehenden drei vordersten Paare von Gangliengruben bilden ursprünglich
den Boden des zwischen Clypeus und Labrum einerseits, Präantennen und Antennen andererseits
gelegenen Abschnitts der beiden cephalen Ganglienrinnen (glrn). Die Fig. 13,22 u. 23, an
welchen allerdings die Gangliengruben als solche noch nicht sehr deutlich erkennbar sind,
geben die beste Anschauung von dieser Lage.
Die von den genannten Gruben gebildeten Ganglienanlagen stehen hinten in direktem
Zusammenhang mit den Ganglienleisten (neur) resp. den Anlagen der mandibularen, der maxil-
laren und der weiterhin sich hinten anschliessenden Rumpfganglien.
In etwas späteren Stadien, namentlich bald nach der ventralen Einkrümmung des Körpers
sind die Gangliengruben mit Einschluss der medialen und lateralen Hirngruben am deutlichsten
von einander zu unterscheiden wie ich dies in einer, allerdings ein wenig schematischen Weise
in Fig. 14 abgebildet habe.
Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die Tiefe und Weite der Gangliengruben
in Korrelation zur Grösse des zugehörigen Segments bezw. der betreffenden Gliedmasse steht.
So sind die Gangliengruben des Antennensegments (aggv) umfangreicher als diejenigen des
Intercalarsegments (iggv) und Mandibelsegments (mdggv). Die Gangliengruben des Präantennensegments
(pggv) sind die kleinsten, entsprechend dem rudimentären Charakter dieses Segments,
ihre Existenz und ihre deutliche Trennung von den sich vorn anschliesenden Hirngruben ist
aber mit aller Bestimmtheit nachzuweisen.
Die Thätigkeit aller dieser Gangliengruben erlischt selbst dann noch nicht vollkommen,
wenn die früher beschriebenen Lagerungsveränderungen, welche die Kopfsegmente und ihre
Gliedmassen betreffen und zur Bildung der Kopfkapsel führen, vor sich gehen. In diesem
Stadium, welches dem der Fig. 17 ungefähr entspricht, erfolgt zwar die Ablösung der Gruben
von der Hypodermis, die sich in ganz ähnlicher Weise abspielt, wie ich dies oben für den
Rumpfteil geschildert habe. Die Zellteilungen und die Produktion neuer Ganglienclemente von
den früher entstandenen haben damit jedoch noch immer nicht ihren völligen Abschluss gefunden,
indem auch in der Tiefe noch eine weitere lebhafte Zellvermehrung stattfindet.
Zwischen dem Archicerebrum und den angrenzenden Ganglienmassen tritt eine so vollkommene
Verwachsung ein, dass später keine scharfe Grenze mehr zwischen ihnen zu ziehen
ist. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der dorsalen Rindenplatte. In letzterer entwickelt
sich eine grosse Zahl von knospenförmigen Bildungscentren, in denen durch wiederholte rasch
aufeinander folgende Teilungen neue Ganglienzellen entstehen. Die in der Rindenplatte gebildeten
Ganglienzellen schliessen sich unmittelbar an die Ganglienzellen des Archicerebrums an.
Zoologica. Heft 88. 1 5