Naturgemäss würde sich an dieser Stelle ein Vergleich mit dem Hirn der Diplopoden
anschliessen. Der anatomische Bau lehrt (Saint Remy 1889), dass letzteres dem Chilopoden-
gehirn sehr nahe steht, doch ist leider über die Entwicklungsgeschichte noch zu wenig bekannt,
als dass eingehendere Vergleichungen in dieser Hinsicht fruchtbar sein könnten. So viel ich
bei Glomeris eruieren konnte, fehlt den Embryonen ein Präantennensegment ebenso wie auch
gesonderte Anlagen von Präantennenganglien. Die Diplopoden scheinen sich hiermit den Insekten
zu nähern, an welche sie sich auch durch die grössere Anzahl der für die weitere
Fortentwicklung des Gehirns wichtigen Augen anschliessen.
E. Die Segmentierung des Kopfes bei den Arthropoden.
Meine Befunde an Scolopendra haben mich zu einer Anschauung von der primären Zusammensetzung
des Kopfes geführt, welche von den bisher vertretenen Ansichten abweichend
ist. Wenn ich darauf hin in den folgenden Ausführungen den Versuch mache, die Segmentierung,
wie ich sie für einen Vertreter der Myriopoden festgestellt habe, nicht nur mit der
Segmentierung des Kopfes bei anderen Tracheaten, sondern auch mit derjenigen bei anderen
Arthropoden zu vergleichen, so bedarf dies vielleicht bei der grossen Anzahl von Hypothesen)
die gerade in dieser Hinsicht schon die wissenschaftliche Litteratur belasten und die bekanntlich
unglücklicherweise je nach ihren verschiedenen Verfassern auch stets verschiedenartig
ausgefallen sind, einer gewissen Motivierung.
Es handelt sich bei meiner Erklärung nicht um willkürliche Homologisierungen der Kopfsegmente
verschiedener Arthropoden untereinander, sondern der Vergleich beruht auf einer
wie ich glaube sorgfältigen Abwägung der verschiedenen in Betracht kommenden Momente,
namentlich der Hirnsegmentierung und der Gliederung des Mesoderms. Ich halte es nicht für
erforderlich, das meiner Ansicht nach Richtige und Unrichtige bei den zahlreichen von anderer
Seite unternommenen Versuchen, die Kopfsegmentierung der Arthropoden zu erklären, im
einzelnen zu erörtern, sondern bemerke nur, dass die Ergebnisse, zu denen ich gelangt bin,
von den Resultaten nahezu wohl aller früheren Autoren verschieden sind. Am engsten schliesse
ich mich an Goodrich (1898) an, wenngleich ich auch in einzelnen Punkten nicht seine Meinung
teilen kann. Ich brauche aber wohl kaum hervorzuheben, dass ich vollkommen unabhängig
und vor allem gestützt, nicht auf Spekulationen sondern auf eigene Untersuchungen
zu einem sehr ähnlichen Resultate wie der genannte Autor gekommen bin, und glaube daher
die zwischen mir und Goodrich sich findenden prinzipiellen Übereinstimmungen wohl als ein
Zeichen auffassen zu können, dass die hier in Frage stehenden Probleme schliesslich nunmehr
doch einer gewissen definitiven Klärung entgegengehen dürften.
Mögen spätere Untersuchungen zeigen, wie weit dieses vielleicht etwas optimistische
Urteil gerechtfertigt ist!
Die Körpersegmentierung von Scolopendra stimmt, wie ich schon oben erklärt habe, mit
derjenigen der Anneliden in den Grundzügen überein. Man hat zu unterscheiden das Acron,
die Summe der gleichwertigen Metameren und das Telson.
Das p rä o ra l g e leg en e A c ro n des S c o lo p en d e rem b ry o s ist homolog dem Kopflap
p en (Prostomium) d e r Anneliden. Hieran ist nicht zu zweifeln, wenn man sich die
übereinstimmende Lage der betreffenden Teile vergegenwärtigt, wenn man berücksichtigt, dass
bei den Würmern an dieser Stelle Parapodien fehlen (Racovitza 1896) und bei Scolopendra in dieser
Körperregion keine Extremitäten vorhanden sind, vor allem aber, wenn man die in den vorstehenden
Abschnitten ausführlich beschriebene Entwicklung innerer Organe im präoralen Teil
von Scolopendra und Anneliden vergleicht. Das bei der ersteren Form daselbst entstehende
Syncerebrum entspricht im wesentlichen dem Gehirn der Anneliden. Auch die Mesodermentwicklung
bietet Parallelen dar. Ein selbständiges paariges Cölom kommt ebensowenig im
Prostomium der Würmer wie im Acron der Scolopender zur Ausbildung. Wenn bei den
ersteren die Cölomsäckchen des vordersten Metamers in der Regel bis in das Prostomium
hineinreichen, so gilt das Gleiche wiederum für die Cölomsäckchen des Präantennensegments von
Scolopendra, die, wie ich oben gezeigt habe, ihrerseits sich ebenfalls bis in das Acron erstrecken.
Sind Acron und Prostomium homolog, so ist demgetnäss d as. Präantennensegment von
Scolopendra zu vergleichen mit dem 1. Metamer des Annelidenkörpers. Das letztere ist öfters
als Peristomium beschrieben worden, weil es anscheinend in enger Beziehung zum Munde
steht. Diese auch von Goodrich (1898) acceptierte Benennungsweise scheint mir nicht sehr
geeignet zu sein. Meiner Ansicht nach handelt es sich um das erste postorale Metamer, indem
der Mund morphologisch nicht innerhalb des letzteren, sondern vor dem letzteren, zwischen
ihm und dem Prostomium (Acron) liegt. Dieser Anschauung ist auch von Racovitza (1896)
Raum gegeben worden.
Es ist von grossem Interesse, dass das erste Metamer bei den hoch organisierten Po-
lychäten infolge seiner Lage dicht am Munde sehr häufig bereits in mehrfacher Hinsicht modifiziert
erscheint und die an den folgenden Metameren vorhandenen typischen .Charaktere eines
echten Segments daher nicht immer deutlich hervortreten lässt. Vielleicht wird hiermit das
frühzeitige Schwinden des Präantennensegments von Scolopendra verständlich, das auch nur
in embryonaler Zeit als typisches Metamer sich noch zu erkennen giebt.
Die folgenden Segmente von Scolopendra können verglichen werden mit den weiteren
postoralen Metameren der Würmer, indessen würde ein Vergleich infolge der homonomen
Gliederung der letzteren nichts interessantes mehr darbieten. Jedenfalls ist es aber zulässig,
vom Acron (Prostomium) ausgehend die Metameren in der Reihe von vorn nach hinten mit
einander- zu homologisieren, denn nach dem für Anneliden wie für alle Arthropoden gültigen
Gesetz kann die Segmentbildung nur in der Reihenfolge von vorn nach hinten vor sich gehen.
Es entstehen neue Segmente nur aus der oben erwähnten kaudalen Proliferationszone, während
niemals neue Segmente durch Teilung von alten Segmenten oder durch beliebige Intercalie-
rung von Segmenten zwischen schon vorhandene gebildet werden.
Hieraus leitet sich die Berechtigung sowohl zu dem soeben ausgesprochenen Vergleich
mit Anneliden wie zu den folgenden Homologisierungen der Kopfsegmente von Scolopendra
mit denjenigen anderer Arthropoden ab.
Es h a t s ic h e r g e b e n , d a s s m it dem k le in e n p r ä o r a le n A c ro n b e i S co lo p
e n d r a 6 p o s to r a le S e gm e n te s ic h v e r e in ig e n , um den K o p f a b s c h n itt de s Körp
e r s o d e r d a s C e p h a lo n 1), wie ich d ie s e n T e il n e n n e n will, zu bilden-. Drei von
1) xecpaXi? (äim inut. xeipdXiov) = cap u t, K opf.
Zoologien. lie f t 38. 1 8