
untersuchten Arthropoderiembryonen besitzen schon ein einheitliches aus zwei grossen zusammenhängenden
lateralen Kopflappen bestehendes sog. primäres Kopfsegment, welches ich in
der obigen Tabelle als P r o t o c e p h a lo n bezeichnet habe, weil es in der That die primäre
Kopfanlage (Anlage des Vorderkopfs) darstellt.
Die Folgerung, dass die Bildung des relativ grossen Protocephalons der Arthropoden-
embryonen sich durch Verwachsung des vordersten Metamers mit dem Acron erklären lasse,
habe ich oben im einzelnen zu begründen versucht. Der Umstand, dass eine Sonderung des
Acrons und ersten Metamers sich bis jetzt nur bei Scolopendra, nicht aber bei den übrigen
Arthropoden, hat nach weisen lassen, dürfte kaum zu Bedenken Veranlassung geben können,
wenn man sich erinnert, dass gerade in der Embryologie der Chilopoden noch eine ganze
Reihe sehr ursprünglicher Charaktere hervortreten, und wenn man berücksichtigt, dass eine
Umbildung des ersten postoralen Metamers in regressiver Weise bereits, wie erwähnt, bei
vielen Anneliden sich geltend macht.
Die Richtigkeit meiner Deutung vorausgesetzt, würde sich also im Aufbau des Cephalons
bei den Arthropoden eine recht weit gehende Übereinstimmung zeigen, denn ob, wie in der
Regel sechs, oder ob, wie bei den Arachnoiden und Gigantostraken, sieben postorale Meta-
meren zur Kopfbildung herangezogen werden, ist gewiss kein sehr erheblicher Unterschied.
Die Summe de r mit dem A c ro n zur F o rm ie ru n g d es C e p h a lo n s v e re in ig te n Meta-
m eren s c h e in t mir von d e r Zahl ab h än g ig zu sein , in w e lch e r die an den Rumpfe
x tr em itä te n v o rh a n d e n e n C o x a lfo rts ä tz e s ic h zu K au lad en um g ew an d e lt haben.
Man wird annehmen dürfen, dass derartige an der medialen Seite der Extremitätenbasis
befindliche Coxalfortsätze ursprünglich sämtlichen Rumpfgliedmassen der Arthropoden
zukamen, welche somit alle homonom gestaltet waren. Jedenfalls ist nicht zu verkennen, dass
das Verhalten der Trilobiten sehr überzeugend für eine solche Annahme spricht. Die Untersuchungen
von Beecher (1896) an Triarthrus, einer in Hunderten von Exemplaren in vorzüglichem
Zustande erhaltenen Form, haben zu dem Ergebnis geführt, dass mit alleiniger Ausnahme
der Antennen, Coxalfortsätze noch an sämtlichen Extremitäten des Körpers vorhanden waren.
Während nun an den Rumpfextremitäten von Triarthrus keine Modifikationen sich erkennen
lassen, so war an den unmittelbar auf die Antennen folgenden vier Gliedmassenpaaren (des
Kopfes) eine Umbildung dahin gehend eingetreten, dass die Coxalfortsätze daselbst zu gezähnten
Kauladen (Gnathobasen) geworden waren. Die betreffenden vier Gliedmassenpaare,
mit denen dann der Kopf seinen hinteren Abschluss findet, hatten damit den Charakter von
Kauapparaten gewonnen, sie waren zu Gnathopoden geworden.
Unter den recenten Formen bieten meiner Auffassung nach die Symphylen ein Verhalten
dar, welches vielleicht noch am meisten sich an diese primitiven Organisationsverhältnisse
ursprünglicher Arthropoden anschliesst. Die noch an 10 Extremitätenpaaren des bei Scolo-
pendrella aus 14 postcephalen Metameren zusammengesetzten Rumpfes befindlichen Styli wird
man möglicherweise als Überreste derartiger Coxalfortsätze ansehen können.
Wenn man auf Grund der paläontologischen Befunde wohl berechtigt ist, das Vorhandensein
paariger Coxalfortsätze für alle Gliedmassenpaare als typisch und charakteristisch anzu-
sehn, so zeigt doch bereits das für Trilobiten geschilderte Verhalten, dass in dieser Hinsicht
jedenfalls eine Ausnahme bei den Arthropoden gemacht werden muss, denn weder das vorderste
Gliedmassenpaar der Trilobiten, noch die homologen Antennulä der Krebse oder die
Antennen der Insekten und Myriopöden und die Cheliceren der Arachnoiden besitzen bekanntlich
Coxalfortsätze. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für die oben besprochenen
rudimentär gewordenen Gliedmassen des ersten postoralen Metamers, so dass man demnach
zu dem Schluss geführt wird, es kön n en bei den A rth ro p o d e n mit Ausnahme von
M e tam e r 1 u n d M e tam e r 2 die G liedm a sse n a lle r fo lg en d e n S e gm e n te mit Coxal-
f o r ts ä tz e n v e rs e h e n sein.
Vom dritten Metamer an gerechnet erfuhren die Coxalfortsätze an den vorderen Metameren
eine Umgestaltung zu Kauapparaten (Gnathobasen). Kommen wie bei den Trilobiten
Gnathobasen an vier Gliedmassenpaaren vor (3 .-6 . Metamer), so resultiert ein aus sechs Metameren
-(- Acuon aufgebautes Cephalon. Das gleiche gilt ursprünglich auch für die mit den
Trilobiten nahe verwandten Crustaceen, bei denen an der Naupliuslarve die dem 3. Metamer
angehörenden Antennen noch Kaufortsätze tragen können. Haben sich dagegen Gnathobasen,
wie für Eurypterus fiseheri von Holm (1898) gezeigt wurde, an fünf Gliedmassenpaaren erhalten
(3s>—7. Metamer), so ergiebt sich ein aus sieben Metameren zusammengesetztes Cephalon,
welches nunmehr für die Gigantostraken und die mit ihnen stammverwandten Arachnoiden
charakteristisch ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen, muss ich bemerken, dass ich bei Gigantostraken
und Arachnoiden denjenigen Körperteil, welchen man „Cephalothorax“ zu nennen pflegt, als
Cephalon bezeichne.
Obwohl letzteres bei den in Rede stehenden Tierformen sieben, bei den Crustaceen,
Myriopoden und Insekten dagegen nur sechs Metameren enthält, so handelt es sich doch jedenfalls
um eine physiologisch ursprünglich immer gleichwertige Region des Körpers, welche dadurch
charakterisiert ist, dass ihre Extremitäten anfänglich mit Kaufortsätzen versehen waren.
Das Cephalon der Gigantostraken und Arachnoiden setzt sich, wie oben dargelegt wurde,
aus dem Acron und sieben postoralen Metameren zusammen, von denen das vorderste rück-
gebildet ist, während die sechs hinteren Metameren Gliedmassenpaare tragen. Das Gliedmassenpaar
des zweiten Metamers ist nun bei diesen Tieren niemals antennenförmig gestaltet,
selbst nicht wie Holm (1898) nachgewiesen hat bei der Gattung Eurypterus, für welche bislang
irrtümlich das Vorhandensein von Antennen angegeben war, sondern stellt ursprünglich Greifapparate,
die sog. Cheliceren dar. Auf Grund dieses Merkmals fasse ich Gigantostraken und
Arachnoiden, deren sonstige Übereinstimmungen (Lage der Genitalöffnungen am 9. postoralen
Metamer1), übereinstimmende Lage und Bildung der Lungen und Kiemen, Bau der Augen, Vorhandensein
der Leber) hier nicht genauer hervorgehoben werden können, als Chelicerata zusammen.
Die auf die Cheliceren noch folgenden fünf Gliedmassenpaare des dritten bis siebenten
eephalen Metamers sind jedenfalls bei den ursprünglichen Cheliceraten typische Gnathopoden
gewesen, wie sich ausser bei Eurypterus auch noch bei Limulus zeigt. Da diese 5 Gnatho-
podenpaare zweifellos auch alle bei der Nahrungsaufnahme thätig waren, so dürfte es zulässig
sein, bei den Cheliceraten den gesamten Körperabschnitt bis zu dem das fünfte Gnathopoden-
paar tragenden Segmente einschliesslich als Cephalon oder Kopf zu bezeichnen, zumal der
Name Kopf doch im wesentlichen einen physiologischen Begriff involviert.
1) N ach P u rcell (1895) befinden sich die G eschlechtsö ffnu ngen b e i d en A ran ein en w ie b ei d en G ig an to strak en und
S co rp ion en am 8. p o sto ralen Segm ent. R ech n et m an a b e r d as p räch elicere M etam er h inzu, so erg ieb t sich , d ass bei diesen
T ieren d as 9. S egm en t d as G en italsegm ent ist.
Zoologien. lie f t 33. 19