Die Organogenese des Annelids.
Der zweite Te’il unserer Untersuchung wird sich mit der Frage zu beschäftigen haben,
in welcher Weise aus der so geschilderten Trochophora das Annelid hervorgeht. Schon in
der Einleitung wurde betont, dass die Art der Entstehung eine von unsern sonstigen Anschauungen
über Anneliden-Entwicklung recht abweichende ist. Die freischwimmende Larve wird
nicht durch allmähliche U m b ild u n g ihrer Organe zum Wurm, sondern dieser entsteht in
seinen wesentlichen Teilen durch N e u b ild u n g aus besonderen Keimbezirken.
Besonders die ganze H a u t mit ihren Organen ist neu, jede funktionierende Hautzelle
der Larve geht zu Grunde, wie das ja von ändern Gruppen, Platoden, Acanthocephalen,
Nemertinen, Gnathobdelliden, Echinodermen, Nuculiden etc. bereits bekannt ist. Der K o p f
(Prostomium) wird lediglich aus Zellen-aufgebaut, die im Anschluss an das Hauptsinnesorgan
und nervöse Zentrum der Trochophora (Scheitelorgan) entstehen. Der R um p f wird gebildet
aus einem Ring embryonaler Zellen, der um den After gelegen ist und seinerseits ebenfalls im
Anschluss an ein larvales Sinnesorgan (nämlich das Präanalorgan) entsteht. Dazu kommen
die im Trochophoragewebe entstehenden V e r b in d u n g s s tü c k e von Kopf und Rumpf: Mu. lat.,
dors., N. lat. und endlich viertens der Darm, der teils neu-, teils umgebildet wird. Während
das alles für die Gattung Polygordius überhaupt Geltung hat, wollen wir in diesem Kapitel dann
weiterhin untersuchen, wie die N o rd s e e la rv e es fertig bringt, in ihrem Innern einen langen
Wurmkörper in allen Teilen so auszubilden, dass derselbe in den Minuten der Metamorphose
mit dem selbständig entstandenen Kopf zusammengelötet und sofort zum Leben im Sande
fertig gestellt werden kann, und ihn dabei so zu beherbergen, dass bis zu diesem Moment die
Trochophoragestalt und -Lebensweise unverändert beibehalten werden kann (Taf. VII, Fig. 4).
Die Organe werden in ganz verschiedener Weise befähigt, dieses gemeinsame Ziel: d ie A n lage
ein e s lan g en W u rm k ö rp e rs in e in e r kleinen kugligen L a rv e , zu erreichen.
Nur kleinere Abschnitte (Enddarm, Afterwulst, Oberschlundganglien) werden in a n n
ä h e rn d d e r de fin itiv en Form angelegt (1.), alle später langgestreckten Organe aber werden
entweder (2.) a u fg e fa lte t (Hautmuskelschlauch, Mesenterien, Peritoneum) oder (3.) e in g
e s tü lp t (Tentakeln) angelegt. Ein ganz anderer Modus, der aber die Organe ebenfalls zu
bedeutender und plötzlicher Streckung befähigen muss, ist der, dass die e in z e ln e n Z e llen
derselben durch ihre Form (und ihren inneren Bau) dafür v o rb e re ite t werden. Dabei wird
Faltung vermieden und dadurch Raum erspart. So entstehen (4.) die sp ä te r flach ausgebreiteten
Zellön des Wurmdarms aus den h o ch cy lindrischeri der reifen Larve, oder sp ä te r
dünne und lange Elemente werden in der Larve (5.) als b re ite und kurze Zellen angelegt
(Seitenhaut, Somiten). Endlich beobachten wir umgekehrt (6.), dass sp ä te r kurze oder eng
ringförmige Organe a ls s e h r lan g e Fasern oder sehr weite Ringe in der Larve gebildet
werden (Mu. lat., dors., Nerv, lat., intersegmentale Sphinkteren, Mu. dorsoventr.). Kurz, wir
sehen, dass die Larve um Mittel, ihr Ziel zu erreichen, nicht verlegen ist.
In einem Schlusskapitel wollen wir endlich untersuchen, in welcher Weise die so vorbereitete
Larve nun das Kunststück macht, Kopfanlage, Rumpfanlage und diejenigen Organe,
die aus dem Trochophorabestande übernommen werden (Verbindungsstücke und Darmkanal),
in der kurzen Zeit der Metamorphose zu einem neuen Ganzen zu verschmelzen.
Es wird zweckmässig sein, diese 3 verschiedenen Komponenten in ihrer Genese getrennt
zu betrachten, wobei wir die beiden ersteren als aus den „Wurmkeimen“ entstehend, von letzteren
zu sondern haben.
A. Die Wurm-Keime: I. Rumpf-Anlage.
Schon die jüngsten pelagischen Larven der beiden Helgoländer Polygordius-Arten zeigen
ausser den bisher beschriebenenijigentümlichkeiten am Afterpol einen Zellwulst etwa von
gleicher Grösse wie die Scheitelplatte, der er gerade gegenüber liegt (Taf. I, 1). Diese junge
Rumpfanlage erscheint zunächst als ein der Scheitelplatte ziemlich homologes Gegenstück. Beide
enthalten ein wimperndes Sinnesorgan, an das sich zahlreiche kleine und, im Gegensatz zu
allen den ändern zarten Geweben der Larve, äusserst dicht zusammengedrängte (embryonale)
Zellen gruppieren. Beide Organe sind gleichwertige Endstationen für die Retraktoren, den
Mu. dorsalis, die Nervi laterales, denen sich bald auch die Mu. laterales gesellen. Ebenso
findet alsbald die Basalfasermässe des Scheitels ihr Gegenstück in der Querkommissur des
Unterschlundganglions, und schliesslich, wie dort die Levatoren des Schlundes übrig bleiben,
so hier die Mu. levatores der Rumpfanlage. *)
Die Unterschiede liegen ja auf der Hand: oben die sechs übrigen anschliessenden Radiärnerven,
die nicht (nicht mehr?) wie die N. laterales bis zum Gegenpol herabziehen, unten der
Enddarm, der die Rumpfanlage mitten durchbohrt. Das Gesagte lässt sich fast ohne weiteres
auch auf das entsprechende Stadium der Mittelmeerlarve anwenden. Bei näherer Untersuchung
zeigt aber der Rumpfkeim unserer Nordseelarve alsbald weitere Besonderheiten, welche der
Mittelmeerform fehlen.
Zunächst sehen wir, dass derselbe überhaupt nicht eigentlich selbst den Gegenpolder
Scheitelplatte bildet, sondern dass der bereits erwähnte „anus larvae“ den Pol der Hyposphäre
einnimmt. Die Rumpfanlage mit dem von ihr umschlossenen After erscheint in die Tiefe gerückt
und wird nach aussen von demjenigen Teil des dünnen Hyposphärenepithels frei bedeckt,
den wir als Analfeld bezeichnet haben, und welcher seinerseits den spaltförmigen anus
larvae umschliesst.
*) W e it auffallend er ist diese G leich h eit d e r b eid en P o le b ei g anz jungen (M ittelm eer)-Larven. H ie r en tsp ric h t der
Z ellp latte d es S ch eitelo rg an s m it ihrem W im p ersch o p f am u n teren P o le d e r L a rv e ein gleich grö sser, o valer Zellhaufen
v o r dem (noch n ich t ausg eb ild eten ) A fter, d e r R u m p f k e im . D ie s e rträ g t in d e r M itte ebenfalls ein (kürzeres)W im perbü schel.
Zoologica. Heft 34. 6 '