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 „Ein  dreifacher  Reiz  liegt  in  wissenschaftlicher  Arbeit:  die  Überraschung,  das  Geheimnis  
 und  die ewige Bewegung der Phänomene, die werden, sind und vergehen, um dann  
 in  immer  lebendigem  Gedenken  zu  ruhen.“ 
 An  diese Worte  aus  B eebes  Dschungelbuch mußte  ich  sehr  oft  denken,  wenn  ich  im  
 Freien die Attinen beobachtete, in Kunstnestern mit ihnen Versuche anstellte und im Laboratorium  
 und  am Schreibtisch  die Ergebnisse  auswertete.  In  einem  etwas  engeren  Bezirk  
 allerdings,  als  es  B e eb e   meint,  hatte  ich  alle  drei  Erlebnisse. 
 Mit  Überraschung  stand  ich  vor  den  ersten Nestern  der Attinen,  von  deren Eigenart  
 man  sich  trotz  aller  Beschreibungen  doch  keine  rechte  Vorstellung  machen  kann,  und  
 diese Überraschung  verschwand  auch  nicht,  als  ich  dann  hei  genauerem  Beobachten  feststellen  
 mußte,  daß  nicht  alles  im  Attinen-Staat  so  planmäßig  abläuft,  wie  man  es  nach  
 den  Beschreibungen  eigentlich  glauben  mußte:  mit  der  starren Notwendigkeit  etwa  eines  
 Blattwicklers  (Rhynchites  betulae),  der  stets  in  derselben  Weise  seine  Arbeit  ausführt,  
 sondern  daß  viel  mehr  eine  sehr  große Mannigfaltigkeit herrscht,  und  die Attinen in weitem  
 Maße  die Möglichkeit  besitzen,  in  gegebenen Verhältnissen  in  dieser  oder  in  anderer  
 Weise  zu  handeln.  Zeigen  sie  doch  beispielsweise  in  der  Orientierung  eine  Vielseitigkeit,  
 die  immer  wieder  überrascht;  sie  fanden  sieh  zurecht  nach  der  Art  der Messor-  und  Po-  
 gonomyrmex-Arten,  wo  eine  Spurung  unterbleibt  und  jedes Tier  selbständig  handelt;  sie  
 benützen  in  weitem  Maße  den  Sonnen-  und  Lichtkompaß  wie  die  Lasius  und  vermögen  
 weiterhin Fernpunkte  anzusteuern wie  die Formica.  Dabei  machen  sie  sich  aber  auch  die  
 Spurung  zunutze  wie  Pheidole,  Solenopsis u.  a. m.,  und  ebenso  das Auslaufen  in Gruppen  
 wie Acantholepis.  J a   sie  benützen  sogar  den Fern-Alarm, der bei den Ameisen sonst wenig  
 verbreitet  und  mehr  den  Bienen  zu  eigen  ist.  So  kommt  es,  daß  auch  trotz  fester  Wege  
 doch  eine  ständige  Veränderung  stattfindet  und  Unzweckmäßigkeiten  sich  von  selbst  oft  
 einrenken. 
 Überraschend  war  auch  die Vielseitigkeit  bei  den  Nestanlagen  sowie  bei  der  Verteilung  
 der  verschiedenen  Tätigkeiten,  wo  ebenfalls  zunächst  eine  viel  größere Starrheit  angenommen  
 wurde. Wir  haben  zwar  die  vor wiegende Tendenz,  daß Große  im Außendienst  
 und Kleine im Innendienst auf treten;  diese Tendenz wird aber überkreuzt durch die andere  
 vorwiegende  Tendenz  der  Arbeitskette,  d.  h.  des  bestimmten  Ablaufs  der  Tätigkeiten  mit  
 Jungen  im  Innern  und  Alten  in  der Außenwelt. 
 Jetzt, wo sich  die Ge h e i m n i s s e  des Attinen-Staates  nun  etwas  gelüftet  haben,  sehe  
 ich,  daß  die  angenommene  Exaktheit  eine  viel  zu  große  Starrheit  bedeuten  würde,  die  
 nicht in Einklang zu bringen wäre mit  der  so großen  Verbreitung  und  der  Anpassung  an  
 so  vielerlei  Gelände. 
 Die  Ausbildung  der  bei  den  Arbeiten  so  wertvoll  sich  ergänzenden  Größengruppen  
 zeigte ebenfalls  eine Überraschung;  dadurch, daß  nicht am An f a n g  der Gründung Zwerge  
 entstehen,  sondern  später,  übereinstimmend  mit  der  Eigröße,  die  bei  jungen  Königinnen  
 anders  als  bei  anderen Ameisen  die  späterer Eier oft übertrifft. Auf diese Weise entstehen  
 gerade  in  älteren  Staaten  außerordentlich  viel  kleine,  verkümmerte  Tiere.  Während  aber  
 eine solche Menge nicht ganz  lebenstüchtiger Zwerge in anderen Fällen  eine Belastung des  
 Staates  bedeuten  würde,  sind  sie  bei  den  Attinen  sehr  wichtig  geworden.  Nur  durch  eine  
 so  große  Zahl  von  Tieren,  die  nicht  wie  anderswo  in  einem  gewissen  Alter  nach  außen  
 drängen,  kann  die  Pilzzucht wirklich  aufrecht  erhalten werden. 
 Bei  der  Aufzucht  der  Larven  zeigen  sich  dann,  ebenso  wie  auch  bei  der  Ernährung  
 der alten Tiere,  die verschiedensten Möglichkeiten;  besonders  durch  den Zuckerbedarf,  der  
 bis  zur Ausbeutung  von  Blattläusen  und  dem  Besuch  von  Blüten  führt,  sowie  durch  die  
 Verfütterung  von  Eiern  und  Puppen,  die  ganz  regelmäßig  erfolgt.  So  regelmäßig,  daß  
 man schon beinahe von einer Zucht sprechen könnte,  die  allerdings,  weil  gefühlsmäßig  abgelehnt, 
   den  Attinen  wohl  weniger  Sympathie  eintragen  wird  als  die  Pilzzucht,  die  das  
 Hauptkennzeichen  der Attinen  ist  und  oft  übertriebene  Vorstellungen  erwirkte.  Indessen  
 ist weder bei Auswahl von Pflanzenteilen noch  bei Pflege  der  Pilzgärten  selbst Bewußtheit  
 oder Absicht festzustellen. Die Mistbeete, deren Aufbau  oft  als  Ergebnis  besonderer  Exaktheit  
 geschildert wurde,  dienen  vielmehr  in weitem Maße  noch  als Abfallshaufen;  und  das  
 Auf-  und Abbauen  hat mit  planmäßigem  Verhalten  erst  recht  nichts  zu  tun.  Wenn  sich  
 daraus  Sinnlosigkeiten  ergeben,  und  gute  Ergebnisse  nur  durch  Zufall  und  oftmaliges  
 Glück  erreicht werden können, so wird  dies wieder wettgemacht  durch  die Größe  der Massen, 
   die  zur Verfügung stehen.  Oft  erweist sich  aber  auch  gerade  scheinbare Sinnlosigkeit  
 als  günstig,  da  sie  neue  Situationen  schafft,  die  dann  der  Gesamtheit  zugute  kommen. 
 So  ha t die Mannigfaltigkeit  der Nahrung  eine weitere Mannigfaltigkeit  der Form  begünstigt: 
   das  Auftreten  der  Giganten.  Diese Großköpfe  sind  sicher  zunächst  als  eine Art  
 Überbildung aufzufassen,  bei  denen  ein Organ,  der Kopf,  einen  solchen Riesenwuchs  zeigt,  
 daß  die  Harmonie  des  Ganzen  empfindlich  aus  dem  Gleise  gebracht  wird.  Damit  ist  hier  
 wie  auch  in  anderen  Fällen  eine  Belastung  verbunden,  wie  z.  B.  beim  Riesenhirsch,  bei  
 dem  „der  ganze  Organismus  zuletzt  nur  als  Träger  des  Riesengeweihes  erscheint“,  wie  
 B eu r l en   sich ausdrückt. Und wie dieser Riesenhirsch  „aus  seinem  Lebensraum  im Walde  
 in  waldlos  freie Gebiete  gedrängt  wird“,  sind  auch  die  riesigen  Giganten  in  ihrer  eigentlichen  
 Lebenssphäre  nicht mehr  vorhanden;  wir  finden  sie  wenigstens  bei  Atta  nur  mehr  
 in  den  oberen  Gängen  der  Nester,  also  weder in richtigem  Innen-  noch Außendienst. Man  
 müßte  sie  also  eigentlich  als  einen  überflüssigen  Luxus  betrachten,  zumal  da  sie  ja  ta tsächlich  
 nur  bei  reichlichster  Ernährung,  also  Futterüberfluß  im  Gesamtstaat,  auftreten.  
 Dadurch  aber,  daß  sie  da  sind,  wird  die  Verteidigungsmöglichkeit  verstärkt,  so  daß  sie  
 doch  wieder  zu  etwas  nütze  sind.  Daß  wir  sie  dagegen,  wie  dies  manchmal  geschieht,  als  
 besonders  hochgezüchtete  Formen  ansehen,  welche  die  Riesenköpfe  haben, we i l   sie  den  
 Staat verteidigen, halte ich nicht für richtig. Man kann in dem Ve r ha l t e n doch wohl nicht  
 die  Ursache  einer  etwas  monströsen  Bildung  sehen  und  etwa  behaupten,  gewisse  afrikanische  
 Rinder  hätten  daher  übergroße  Hörner,  weil  sie  auf  der Weide  rückwärts  gehen.  
 Die Schriftsteller  der Antike, welche  diese  jetzt bestätigte  Erscheinung  berichteten,  sehen  
 jedenfalls Ursache  und Wirkung  richtiger! 
 In   dieser  Weise  immer  tiefer  in  die  Geheimnisse  der  Attinen-Nester  eindringend,  
 ergab  sich  endlich  der  dritte  große  Reiz  der  wissenschaftlichen  Forschung:  die  Beobach